Von der Schreibart des brittischen Ramblers.

[325] Gestern in einer Gesellschaft bey E**, als Jemand, (ich will ihn nicht nennen) mit grosser Lebhaftigkeit und vielem Kunstrichterwitze, die Satire Lexiphanes für ein Meisterstück der Kritik erklärte, das in England Epoche zu machen verdiente, weil es Samuel Johnsons gezwungne, geschraubte, affektirte Schreibart, (Worte strömten ihm zu, da er den Verfasser des Ramblers nannte), für Jedermann, der noch nicht allen Geschmack an Simplicität verlohren hätte, auf eine überzeugende Art lächerlich gemacht habe; und nun dieser Jemand sich durch viel freundliches Kopfnicken des boshaften B *** aufgefodert glaubte, uns alle, die wir von den Quellen des Geschmacks in Deutschland so fern sind, vermittelst seines Lächerlichen gleichfalls zu überzeugen; – unterbrach ihn E **, der, wie Sie leicht denken können, bey einer solchen Veranlassung nie lange schweigen wird, plötzlich mit einer Anrede, die ich Ihnen ganz mittheilen zu können wünschte. Einige Anmerkungen habe ich doch daraus, so ziemlich mit seinen eignen Worten, behalten, und es ist schon der Mühe werth. Ihnen von einer Sache zu schreiben, die Ihren Liebling, Ihren Johnson, angeht.

»Nichts mehr, hub er an, nichts mehr, wenn ich bitten darf, von dem engländischen Possenreisser, der uns durch seine Gaukeleyen um einen zweiten Tullius, vielleicht den Einzigen unter den Neuern, zu bringen hofft. Kein[326] Cäcilius Calactinianus, kein Buteo, kein Vaticinius, kein Pädariodes hat abgeschmackter des ersten gespottet. Wie können Sie ihn vertheidigen? dessen Vernünfteley in dem seltsamsten Misbrauche irgend einer kahlen Regel, einer Bemerkung, eines Kunstworts besteht, von deren Entstehungsart, Einschränkung und Anwendung er offenbar nicht den mindesten Begriff hat. Wie können Sie ihn vertheidigen?«

Nach verschiednen allgemeinen Betrachtungen über die verfehlte Absicht fast aller Parodisten, die das, was sie tadeln wollen, zuvor in Carricatur bringen, ohne zu merken, daß ihre Satire nun nur ihre eigne Carricatur treffe, u. dergl. mehr, ging er endlich zu den nähern Betrachtungen des Styls über, die ich Ihnen so ohne Verbindung, wie sie mir nach und nach einfallen, aus dem Gedächtnisse abschreiben will.

»Jede Gattung der Schreibart, sagte er, hat freylich ihre eigne Idee, die vom Inhalt abhängt. Das ist aber nur ihre roheste Seite. Wenn es nöthig wäre, daß alle Schriftsteller Einer Classe die Form ihrer Seele ganz in die Form der Sache umprägten, so würde nichts einförmiger seyn, als Schreibart: Styl wäre nicht Styl mehr. Allein anders verhält es sich in der Natur, und gut ists, daß es sich anders verhält. Der klassische Scribent besitzt ausser der Form, die er der Sache abgewonnen hat, noch seine besondre Form der Vorstellung, durch welche sich die todte Materie zu einer zweyten Schöpfung verarbeitet, die reich an Mannigfaltigkeit, und mit der göttlichen Schönheit einer Seele geschmückt, hervortritt.«

»Die Griechen, welche die größten Meister des Styls so aufweisen konnten, waren zugleich vor andern Nationen wegen ihrer καινοσπουδὴ bekannt. Plato meisterte noch in seinem achtzigsten Jahre an dem neuen Tone seiner Dialogen: διαλόγους εβοστρύχιζε, wie sich Dionysius von Halicarnaß ausdrückt. Thucydides strebte in den sieben und zwanzig Jahren, da er an seinen acht Büchern vom Peloponnesischen Kriege arbeitete, nach nichts so sehr,[327] als nach jener abstechenden καλλιεπεια, die durch den übergrossen Fleiß, den er darauf verwandte, zuletzt so raffinirt klang, daß sie sogar auf gemeine Köpfe ihre Wirkung verlohr, ob ihr gleich die Kenner einen ausnehmenden Reiz zugestanden. Selbst Xenophons Simplicität, selbst Herodots Naivität haben jede ihre eigne Manier, die von dem Ton der Materie nicht wenig verschieden ist. Und überhaupt gehört alles hieher, was die Griechen Atticismus, die Römer Urbanität nennen.«

»Simplicität, Deutlichkeit, Würde, Eleganz – sind nichts als relative Ausdrücke, die nach den verschiednen Erfordernissen der Schreibart, eben so gut Tadel, als Lob, werden können. Es giebt frostige, tändelhafte, affektirte Simplicität: zweifeln Sie nicht daran; wir haben der Beyspiele genug. Deutlichkeit hat so verschiedne Grade in Beziehung auf die Leser oder Zuhörer, daß es unmöglich ist, sie in eine absolute Regel zu verwandeln. Nichts ist lächerlicher, als Würde am unrechten Orte, und Eleganz eines Gesetzes wäre das Schlimmste, was man von einem guten Gesetz sagen könnte.«

»Simplicität, spricht der Eine,1 hat ihren Sitz in einem gewissen körnigten Ausdruck, wo jeder Gedanke eine geziemende Ausdehnung besitzt. Kein Wunder, daß für ihn der körnigte, geziemende Einfall der Sevigne – die Kanone, die den Marschall Turenne tödtete, war von Ewigkeit her geladen! – ein Ingredienz derjenigen Schreibart seyn soll, deren Hauptcharakter ihm Simplicität ist. Sie ist nicht die blutreichste, lehrt uns ein Andrer,2 aber Säfte hat sie genug, um, wo nicht von der stärksten Natur, doch vollkommen gesund zu seyn. Sehr wohl! Nun komme ein Arzt der guten Schreibart, und messe uns diese Säfte aus, und fingre an ihrem Pulse. Ich fürchte, ich fürchte, es giebt der Kranken mehr, als[328] der Gesunden, wo der Ausspruch so zweifelhaft wird. Noch ein Andrer, oder vielmehr Derselbe,3 rühmt ihre glänzen de Eleganz, ihre studirte Nachläßigkeit, ihr ganzes Geräth des Aufputzes. Wahrhaftig, durch solche Zusätze kann man aus einer Sache machen, was man will, und Shaftesbury ist dann ein so simpler Skribent, als einer in England. Warum nicht lieber gerade heraus gesagt, daß Simplicität des Styls keinen einfachen Begriff habe? daß sie von Zweck und Ort abhange? daß sie angemessen und nicht angemessen seyn könne?«

»Man sieht selten recht, wenn man sich zu sehr an das vielfarbigte Licht der Theorie gewöhnt hat, und statt eines Urtheils von der Sache ein Kunstwort vorschiebt. Wenn Dionysius der Tyrann eine Jungfer einmal nicht πάρϑενον, sondern μένανδρον, μενεκραήτην nannte, mußte ihn darum Athenäus unter dem Vorwande der καινοσπουδὴ verlachen? Ist denn eine Jungfer das nicht, und ist sie es nicht gerne? Cicero4 würde seinem Freunde Varro eine wunderliche Höflichkeit gesagt haben, wenn [329] καινοσπουδὴ allemal Affectation wäre. Es ist gut, es ist nützlich, einseitige Beobachtungen von Zeit zu Zeit in ihre wahre Gränzen zurück zu weisen, daß die Klüglinge sich nicht Meister dünken, wenn sie im Grunde nur mit Kunstwörtern meistern. Es würde weniger Mißverstand unter Autoren und Lesern seyn, wenn beyde sich die Mühe gäben, zu untersuchen, was die Natur der Sache, und nicht, was die Bemerkung dieses oder jenes alten Kunstrichters erfodre.«

»Die meisten Betrachtungen der Kunstrichter sind aus dem Grossen geholt; und nirgends findet mehr Täuschung der Ideen statt, als in Aufsuchung der Fehler. Der Fehler lag oft in der Empfänglichkeit des Lesers, und man sucht ihn lieber ausser sich, als in sich selbst. Der Fehler lag oft im Ganzen, und der Kritiker sucht ihn im Einzelnen; er merket nicht, wie weit er noch zurückgehen müsse, um sich die Ursache von dem Miston anzugeben, der ihm erst in einer sehr unschuldigen kleinen Stelle anstößig ward.«

»Ein Kopf, der von seiner Materie voll ist, sieht Verhältnisse und Umstände, die dem Andern, der sie als ein Fremder ansieht, gar nicht aufstossen. Er sollte erst denken lernen, wies sein Autor gelernt hat, ehe er sich untersteht, über ihn zu richten.«

»Ihr Spötter, fuhr E** fort, betrügt uns zu plump, wenn er uns überreden will, daß sein Johnson mit dem Lexiphanes der Griechen in einerley Falle sey. Der letztere ist ein Mensch, dem ein gutes Brechmittel heilsamere Dienste thut, als die beste Kritik, ein Mensch, der die abgeschmackteste Art mit den abgeschmacktesten Worten sagt.5[330] Wie entfernt Lucian gewesen sey, diese Kakozetie eines Verrückten mit jenem Originaltone, den seine Nation liebte, zu verwechseln, weiß ein Jeder, der den Dialog gelesen hat, worin er einen Prometheus der Worte, (er selbst war das Muster dazu), so gar bis auf die Caprizen der Schreibart, vertheidigt. Und so ein Prometheus, in der edelsten Bedeutung, ist Johnson. Mit dem tiefsten Verstande, den ihm auch sein Tadler selbst nicht abzuparodiren wagt, verbindet er einen Geschmack, eine Kenntniß seiner Sprache und ihrer Bedürfnisse, worinn nur wenig Engländer mit ihm wetteifern können. Niemand ist in der Wahl seiner Ideen, ihrer Anordnung und Ründung, ihrer innern Ausbildung, (denn es giebt auch eine innere vom Ausdruck unabhängige, Ihrem Parodisten ganz unbekannte, Eleganz) bewunderungswürdiger. In seinem Ausdruck oft neu zum Wohlklang, noch öfter neu durch die seltne Richtigkeit seiner Vorstellungen, niemals selbst in den kühnsten Windungen und Gängen, über die Schranken der guten Prose ausschweifend: wenn so ungemeine Züge der Composition keinen klaßischen Scribenten ausmachen, wer ist es denn?«

Herr *** erröthete und lächelte, als wollte er sagen: Ich bin es, Ich, der ich sein fliessend schreibe, und mit allem dem Zeuge da mir den Kopf niemals zerbrochen habe! Er nahm seinen Hut mit einer kalten Gleichgültigkeit in die Hand, bückte sich aufs verbindlichste gegen uns alle, und weg ging er.

1

Batteux IV. S. 307.

2

Cic. De Orat. 22. Etsi enim non plurimi sanguinis est, habeat tamen succum aliquem oportet, vt, etiamsi illis maximis viribus careat, sit, vt ita dicam, integra valetudine.

3

Id. ib. Illa enim ipsa contracta et minuta non negligenter tractanda sunt, sed quaedam etiam negligentia est diligens. Nam vt mulieres esse dicuntur [lll] nonnullae inornatae, quas id ipsum deceat, sic haec subtilis oratio etiam incomposita delectat. Fit enim quiddam in vtroque, quo sit venustius, sed non vt appareat. Tum removebitur omnis insignis ornatus, quasi margaritarum, ne calamistri quidem adhibebuntur; fucati vero medicamenta candoris, ruboris, omnino repellentur.

Elegantia modo et munditia remanebit, acutae crebraeque sententiae ponentur, et nescio vnde ex abrupto erutae.

Verecundus erit vsus oratoriae quasi supellectilis. Supellex enim est quodammodo nostra, quae est in ornamentis, alia rerum, alia verborum. Huic generi orationis aspergantur sales, qui in dicendo mirum quantum valent: quorum duo genera sunt vnum facetiarium dicacitatis etc.

4

Tu vero, Varro, bene etiam meriturus mihi videris de tuis civibus, si eos non modo copia rerum auxeris, vt effecisti, sed etiam verborum. Audebimus ergo nois verbis vti, te auctore, si necesse erit. Man lese die ganze Einleitung der Acad. quaest., die sehr merkwürdig ist.

5

Ζητῶ προς εμαυτον, ὁπόϑεν τὰ τοσαῦτα κακὰ συνελέξω, καὶ εν ὁπόσῳ χρόνῳ καὶ ὅπου κατακλείσας ειχες τοσοῦτον εσμον ἀτόπων καὶ διαστρόφων ὀνομάτω. Luc. Lexiph. Tom I.p. 834, edit. Graeuii. Der grosse Fehler des griechischen Lexiphanes war, daß er sich in beständiger Verlegenheit fand, nicht etwa Worte zu seinen Begriffen, welches schon schlimm genug wäre, sondern Begriffe zu seinen Worten zu finden; da hingegen Johnson gemeinen Lesern, die nicht gerne denken, gerade durch den hohen Grad, womit er alles auszudrücken weiß, was er will, vielleicht am anstössigsten ist. Καὶ μὴν κἀκεινο ου μικρον, μαλλον δὲ το μέγιστον ἁμαρτάνεις, ὅτι ου᾽πρότερον τὰς διανοίας τῶν λέξεων προπαρασκευασμένος, επειτα κατακοσμεις τοις ῥήμασι, καὶ τοις ὀνόμασιν, ἀλλ᾽ ἤν που ῥημα εκφυλου εὕρης, ἢ αυ᾽τος πλασάμενος οιηϑης ειναι καλον, τούτῳ ζητεις διάνοιαν εφαρμόσαι, καὶ ζημίαν ηγη, ἂν μὴ παραβύσης αυτο, κᾂν τω λεγομένῳ μηδ᾽ ἀναγκαιον ᾖ. ib. p. 838.

Quelle:
Heinrich Wilhelm Gerstenberg: Briefe über die Merkwürdigkeiten der Litteratur, Stuttgart 1890, S. 325-331.
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