Das Lied von Gott

[128] »Ob wohl ein Gott im Himmel ist?«

Dacht' ich in meinem Zelt;

»Krieg hat der Türke, hat der Christ,

Krieg hat die ganze Welt!


Und wär ein Gott, so müßt' er wohl

Ein Gott des Friedens seyn!

Daß all' das Böse gut seyn soll,

Das will mir gar nicht ein!


Darum so scheints, es ist kein Gott;

Ein Gott hätt' alle Macht,

Zu tilgen aller Spötter Spott,

Und aller Fürsten Schlacht!


Was ists, daß er sie nicht gebraucht?

Den Frieden nicht gebeut?

Und daß noch manche Stäte raucht,

Von Kriegesgrausamkeit?


Ein Wort, dächt' ich, so wär' in Ruh

Das ganze Erdenrund!«

»Du Maulwurf!« dacht ich gleich hinzu

Mich schlagend auf den Mund!


Das Erdenrund ist nun einmal

Des Bösen Vaterland,

Wird aber einst ein Wonnethal

In seines Schöpfers Hand!


So dacht' ich! Und so denk' ich noch,

Und gehe meinen Pfad!

Bin, denk' ich einsam, bin ich doch

Ein ehrlicher Soldat!
[129]

Als solcher komm' ich doch einmal

Nach dieser kurzen Zeit,

Zu Gott dem Herrn ins Wonnethal

Der langen Ewigkeit!


Und sing' auf einem schönen Stern,

Ein ehrlicher Soldat,

Ein Loblied meinem Gott und Herrn,

Das sich gewaschen hat!

Quelle:
Johann Wilhelm Ludwig Gleim: Gedichte, Stuttgart 1969, S. 128-130.
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