An Herrn Pesne

[76] Maler, male meine Freunde!

Kleist soll, mitten unter Helden,

Auf das Lob der Gottheit sinnen.

Mal ihn unter tausend Blumen;

Mal ihn, daß er an dem Himmel,

Regenbogen vor sich siehet!

Adler soll dem wilden Menzel

Mit dem krummen Schwerdte drohen,

Und zugleich den Maasstab halten.

Donop soll satirisch lächeln.

Seidlitz soll der Braut entfliehen,

Die ihm seine Mutter bringet.

Venus soll, mit ofnen Armen,

Ihm vergnügt entgegen eilen,

Und, Adonis an der Seite,

Soll den Pfeil, der ihn erobert,

Einem Plutus spöttisch zeigen.

... soll der Tugend folgen,

Die ihm himmlisch freundlich winket.

Kannst du wol die Tugend malen?

Male sie wie seine Schwester.

Fromm soll reife Weitzenähren

Um das Haupt der Ceres winden.

Lamprecht soll, umringt von Lastern,

Gütig mit den Lastern streiten.

Mal um ihn die Laster heßlich![76]

Male sie, daß man sich fürchtet,

Wie Lucan die Hexen malet!

Naumann soll, mit starren Augen,

Einen Liebesgott betrachten,

Der ihn wiederum betrachtet;

Gieb auch beiden Pfeil und Bogen,

Daß sie auf einander zielen.

Sulzer soll, am schönsten Morgen,

Auf der schönsten Aue schleichen.

Laß uns sehn, wie er sich freuet,

Wenn er neue Blumen findet,

Wie er, wenn ein Freund erscheinet,

Auch die Blumen gleich verlässet,

Und dem Freund entgegen eilet.

Uz, wie laß ich dich doch malen?

Siehst du nicht dem Wachsbild ähnlich,

Das Anakreon bestellte?

Maler, mal ihn nach dem Bilde:

Mal ihn, hinter Rosenbüschen,

An dem Ufer eines Teiches.

Laß ihn lauschen, laß ihn sehen,

Wie sich eine Venus badet.

Maler, dis sind meine Freunde.

Male mich, daß ich sie küsse,

Und dann male meinen Vater

An der Seite seines Zabels,

An der Hand des besten Priesters,

Daß er meine Freunde siehet.

Wenn du meinen Vater malest,

Must du, mit beseelten Zügen,

Seine Redlichkeit bezeichnen.

Denn es soll sein wehrtes Bildnis,

Wenn ichs meinen Freunden zeige,

Mich und sie zur Tugend reitzen.

Maler, nun kannst du mir danken,

Wenn die Bilder treuer Männer

Deinem Pinsel Ehre bringen.

Sollen Bilder treuer Schönen,[77]

Deinem Pinsel Ehre bringen;

O so mal auch ihre Mädchen.

Geh, und frage meine Freunde:

Sagt, wo habt eure Mädchen?

Quelle:
Johann Wilhelm Ludwig Gleim: Versuch in scherzhaften Liedern und Lieder, Tübingen 1964, S. 76-78.
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