An Goldhagen

[56] Den 31. Dezember 1772.


Tausend von den besten Stunden

Dieses Jahres, dank' ich dir!

Um mein Leben hast du mir

Einen Myrtenkranz gewunden,

Seit in dieser Wüste hier,

Ich das höchste Glück, in dir

Einen weisen Freund gefunden;

Seit nicht mehr die kranke Ruhmbegier

Ueber Staub und Motten wacht,

Seit ich klüger, manche halbe Nacht,

Mit Sophien und mit dir,

Weggescherzt und weggelacht.[57]

Niemals sah ich in den letzten Stunden

Eines Jahres, mit so heiterm Blick'

In ein Jahr, das bald verschwunden,

Aber nicht verloren ist, zurück.

Zwar verweilet sich am Grabe

Meines Benjamin1 – der gute Mann!

Weh'! daß ich ihn nicht mehr habe!

Wohl! daß ich ihn wieder finden kann!

Und ich werd' ihn wieder finden,

Wenn ich meine Spanne Raum

Durchgekrochen bin, und dieser Traum

In dem Arm' der Engel wird verschwinden.

Noch, da ich im Traume bin,

Freut mich's, wenn er mich entzückt;

Weislich seh' ich selbst dahin,

Daß der schwere Alp der Sorgen

Mein zufriednes Herz nicht drückt,[58]

Und mein Auge, jeden Morgen,

Heiter nach dem Himmel blickt.

Ob die Großen in Berlin

Von mir hören? an mich denken?

Sollte das mich heimlich kränken,

Und die Stirn in Falten ziehn?

Zu versorgen hab' ich keinen,

Als nur mich, nur mich allein;

Und du weist ja, diesem Einen

Ist sein Häuschen nie zu klein,

Nie sein Tuch zu grob gewebet,

Nie zu leicht sein Frankenwein;

Gut genug mag alles seyn,

Wenn man ohne Sorgen lebet.

Auszufüllen meine kleine Sphäre,

Das sey meine Sorge; damit gut;

Und ein Unverschämter störe

Meinethalb mit Bettelei um Ehre,

Oder Gold, den Mann, der niemals ruht![59]

Mag man Andrer Renten mehren,

Schränke selbst die Meinen ein:

Meinen Schlaf soll das nicht stören,

Nicht vergällen meinen Wein.

Und was soll mir Geld? So Viele

Haben dreimal mehr, als ich;

Rennen nach der Freude Ziele

Täglich außer Athem sich;

Ich geh' auch den Weg im Spiele,

Und der Erst' am Ziel' – bin ich!

Ob der reichsten Schöne Hand

Des Verschwenders List sich weihet,

Ob ein Mädchen voll Verstand

Einem Narren Weihrauch streuet,

Und ein dummes, Weis' entzweiet,

Und ein schönes, unbedacht,

Einem Faune sich ergibt,

Alles das, mein Lieber, macht

Mich nicht fröhlich, nicht betrübt.[60]

Mag die Freundschaft nur mein Herz

Immer mehr an sich gewöhnen!

Liebe, mit Petrarca's Sehnen,

Ist ein gar zu langer Schmerz,

Liebe zu Horazens Schönen,

Ist ein gar zu kurzer Scherz.

Laß die Thoren, die zu Wagen,

So wie die zu Roß und Fuß,

Böses oder Gutes sagen;

Kann ihr schönstes Lob behagen?

Es ist einer Metze Gruß,

Und ihr Tadel zu ertragen.

Wahrlich, hab' ich auch nicht Zeit,

Mich mit ihnen abzugeben;

Der verschwendet nur das Leben,

Wer der Weisheit alten Streit

Mit der Unvernunft erneut.

Freund! dir ist der Rest der Zeit,

Die ich hab', im neuen Jahre,[61]

Wenn du sonst ihn willst, geweiht?

Ach! erspare denn, erspare

Was du kannst, von deiner Zeit!

Tausche, wie in diesem Jahre,

Mit mir um; hast freilich nicht

Dir das beste Loos gezogen,

Doch beim Tausch' wird, wie man spricht,

Einer allemal betrogen.

Hast du doch aus deinen Schätzen

Lange, lange zuzusetzen;

Nimm es so genau denn nicht.

Fußnoten

1 Der Dichter Johann Benjamin Michaelis, starb den 30. September 1772 zu Halberstadt.


Quelle:
Leopold Friedrich Günther von Goeckingk: Gedichte.Teil 1–4, Teil 1, Frankfurt a.M. 1821, S. 56-62.
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