An die Frau Kammerräthin Holzmann

[62] Gröningen1, den 13. Juni 1773.


In einem Städtchen, das vor Jahren

Noch eines Bischofs Huld genoß,

Der, weil er da zu ganzen Schaaren

Die Hirsche und die Keuler schoß,

Der großen Hirsch' und Keuler wegen,

Zuletzt aus Gnaden gar beschloß,

Die Hofstadt selbst hierher zu legen,

Und so denn Stadt und Land verband,

Ein mächtig Schloß ihm aufzuführen,[63]

Worin er über sie regieren,

Das heißt, wie bald nachher sich fand,

Der guten Narren halbe Rente

Fein gnädiglich verzehren könnte;

Der, als das Schloß nun fertig war,

Die armen Hörnerträger gar

Zwang, einen langen Gang zu bauen,

Durch welchen mit Bequemlichkeit,

Ihn, ungesehn, zu jeder Zeit,

So gut die Mädchen als die Frauen,

(Zumal des Müllers schönes Weib,)

Besuchen könnten, Seel' und Leib

Bei ihrem Hirten zu erbauen2;[64]

Der, als auch fertig war der Gang,

Die Tonnenbinder-Gilde zwang,

(Und unter allen, im Vertrauen!

Verzeih' ich ihm am ersten das!)

Ein ungeheures großes Faß

Für Seine Heiligkeit zu bauen3;

Und somit wurde stracklichst auch

Ein halber Eichwald umgehauen,

Damit das Faß mit Bischofs Bauch

Und Bischofs Durst nach altem Wein',

Verhältnißmäßig möchte seyn;

Woraus sich Ihro Heiligkeiten

Mit dummer Laien hübschen Bräuten

Recht gütlich thaten, bis ihn so,

Wie einst den König Salomo,[65]

Die Narrenpossen auch gereuten,

Daher er aus Gewissensdrang

Die Männer seiner Weiber zwang,

Ihm eine Kirche zu bereiten,

Um da durch Predigt und Gesang,

So Lieb' als Wein, die Eitelkeiten!

Als neuer Heil'ger, zu bestreiten.

In diesem Städtchen, das zur Gnüge

In vierzig Versen mich gequält,

Von dem, wenn ja noch etwas fehlt,

Herr Peter Leukfeld4 manche Lüge,

Und manche Wahrheit mehr erzählt:

Da sitz' ich jetzt in einem Hause,

Vom Urgroßvater noch erbaut,

Das, wie die Schweizer Berg-Carthause5,

Mit Gänsestoppeln schon die Haut[66]

Dem überzieht, der es beschaut,

So gothisch, und so öd' und grause,

Daß mir vor meinem eignen Laut'

Darin am hellen Tage graut;

Da sitz' ich jetzt in einem Zimmer,

(Zur Reitbahn' wär' es herrlich groß!)

Worin dein Freund am Silberschimmer

Des Mondes, sich als Säugling immer

Gefreut auf seiner Mutter Schooß;

Da sitz' ich jetzt in einem Stuhle,

Worin mein Eltervater schon

Betstunde, Mittagsruh' und Schule

Gehalten hat, und ich, zum Lohn'

Für meine Faulheit, leider schon

Die zweite neue Federspule

Zernag', um ausgereimt zu haben,

Eh' heute noch der Postillon

Von Magdeburg hieher wird traben;

Doch horch! fürwahr da bläßt er schon![67]

Zwar weißt du endlich, wo ich bin.

Doch heißt das nicht, die Neugier mehren?

Was liegt am Ort'? Wie ich darin

Gelebt? das willst du lieber hören! –

Nun, Schwager, reit' denn immerhin!

Hier, wo mich nun seit ehegestern

Ein Zirkel drei geliebter Schwestern

Auf meinem großen Stuhl' umgibt,

Die sich nicht selten gar entzweien,

Wer unter ihnen allen dreien,

Am zärtlichsten den Bruder liebt;

Hier sitz' ich, Freundin, und erzähle

Von dir und deinem lieben Mann',

Bis ich vor Heiserkeit der Kehle

Kaum noch verständlich reden kann.

Ja! tränk' ich selbst das Rheinweinhaus

Des Bischofs, sie zu netzen, aus,

So gingen doch, nach deinem Mann'

Und dir, die Fragen wieder an.[68]

Doch wenn ich auch von selbst nicht schon

So herzlich gern von Euch erzählte,

Ich hielte dennoch sanften Ton,

So sehr mich auch ihr Bitten quälte.

Denn, nimm dieß aus, so haben sie

Nur immer ihres Bruders Willen;

Nie ist's zu spät, und nie zu früh,

Um meiner raschen Phantasie

Den sonderbarsten Wunsch zu stillen.

Bald schlendern wir in Morgentracht

In eines Erlenbusches Nacht;

Ein Feuer, von uns angefacht,

Kocht uns, aus der Levante Bohnen,

Den Trank, der lüsternen Matronen

Im Hessischen6, itzt manche Nacht

Vor lauter Seufzern, schlaflos macht.[69]

Bald, um des Herzens Fibern alle

Zur Freud' heranzuziehen, rauscht

Gleich einem raschen Wasserfalle,

Christinens Finger durch die Saiten

Der Harfe, daß dem Ton' von weiten

Die Nachtigall verwundernd lauscht,

Und, um die Harfe zu begleiten,

Ihr Nest mit unserm Baum' vertauscht,

Nicht mehr in Trauerliedern wimmert,

Und, wie wir Menschen, unbekümmert,

Sich in der Freude mit berauscht.

So opfr' ich hier, von Morgens früh

Bis in die späte Mitternacht,

Der reitzenden Philosophie,

Die einen Nord zum Zephir macht,

Zum wenigsten aus kalt nur kühle;

Doch freilich nehm' ich mich in Acht,

Daß ich, vom Hof- und Stadt-Gewühle

Nicht irr' in meinem Text' gemacht,[70]

Stets meine Roll' im Stillen spiele.

Beneid' ich einen andern Stand:

So werde schier durch meine Lieder

Der Kenner Pfeife angebrannt;

So falle selbst mir niemals wieder

Zur Auslösung, ein Busenband

Von deinem Mühmchen, in die Hand;

So werde Holzmanns glatte Stirne

Mit Runzeln von mir weggewandt,

Und du, du fromme Seele, zürne

Und mach' ein Kreuz mit deiner Hand,

So oft du einen Namen nennest,

Den, seit du dieses Herz hier kennest,

Du ohne Lächeln nie genannt.

Fußnoten

1 Ein Städtchen bei Halberstadt, worin der Bischof Heinrich Julius im sechzehnten Jahrhundert ein großes Schloß erbauen ließ.


2 Dieser Gang, der aus dem ehemaligen Schlafzimmer des Bischofs, in die Mühle geht, steht noch jetzt. Jeder Einwohner in Gröningen weiß durch die Tradition, daß er zu dem angezeigten Zwecke angelegt worden, und das Andenken der schönen Müllerin ist noch nicht erloschen. In einem Zimmer des Schlosses sieht man auch noch die Geweihe der Sechszehn- und Zwanzig-Ender, die der Bischof in dortiger Gegend erlegt hat.


3 Dieses Faß schenkte König Friederich II. dem Domdechanten, Freiherrn v. Spiegel zu Halberstadt, der es nach den Spiegelbergen bei Halberstadt bringen, und in einem dazu erbauten Keller wieder zusammensetzen ließ.


4 Er hat antiquitates groeningenses geschrieben; eine Chronik vom gewöhnlichen Schlage.


5 S. Blainville's Reisen, 1. B.


6 Der Gebrauch des Kaffee war gerade damals den niedern Ständen im Hessen-Casselschen untersagt worden.


Quelle:
Leopold Friedrich Günther von Goeckingk: Gedichte.Teil 1–4, Teil 1, Frankfurt a.M. 1821, S. 62-71.
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