Nachricht wegen der zweyten Auflage.

[16] Mit dem innigsten Vergnügen vernahm ich es vorigen Winter, daß bereits im Februar, die Abdrücke der ersten Auflage meiner Sprachkunst verkaufet waren. Ein so schleuniger Abgang eines Buches, das sonst eben nicht die meisten Käufer vermuthen konnte; weil es weder zur Lust, und zum Zeitvertreibe, noch zum Brodverdienen gereichen kann: schien mir einestheils ungewöhnlich; anderntheils aber auch sehr merkwürdig zu seyn.

Man übereile sich nicht, mir dieses als eine Pralerey auszulegen: wie man mir wohl neulich die billige Blödigkeit und Behutsamkeit in der ersten Vorrede, für ein ich weis nicht was, anrechnen wollen. Andere Schriftsteller, die ihrer großen Verdienste nur mehr, als zu gewiß sind, mögen die reißende Abnahme ihrer Werke, als ein unstreitiges Merkmaal ihrer Verdienste ansehen. Ich weis es, aus einer langen Erfahrung, daß nicht eben die besten Schriften am häufigsten, die schlechtesten aber am langsamsten abgehen. Die Todtengespräche, und die Schriften gewisser Poeten haben mich längst eines andern überführet. Ich bin also weit davon entfernet, daß ich aus dem baldigen Verkaufe dieser Sprachlehre, einen völligen Beyfall der Leser, in allem, was ich vorgetragen, schließen sollte. Die meisten haben sonder Zweifel mein Buch genommen; bevor sie noch den ganzen Inhalt desselben gewußt. Und wie kann ich es wissen, ob sie alle damit zufrieden gewesen, nachdem sie es gelesen hatten1?[16]

Es sind ganz andere Ursachen, die mein oben erwähntes Vergnügen gewirket haben. Wer eine Sprachkunst von seiner eigenen Muttersprache kaufet, der muß diese sonder Zweifel lieben: der muß begierig seyn, ihren rechten Grund einzusehen; der muß willens seyn, sich gewisse Zweifel auflösen zu lassen, die ihn darinnen beunruhigen. Dieses ist der vortheilhafte Schluß, den ich für unsere ganze Nation daraus ziehe; der aber Deutschland überhaupt, nicht mir insbesondere, Ehre machet. Es ist schon eine lange Zeit verflossen, daß unsre Landesleute vielmehr auf ausländische, als auf inländische Sprachen und Sachen begierig gewesen. Wieviel französische, italienische und englische Grammatiken sind nicht gedrucket, und vielmals aufgeleget worden; indessen daß nur eine einzige deutsche herausgekommen, und abgegangen? Und ist gleich des Clajus deutsche Sprachkunst seit hundert und funfzig, und mehr Jahren, so glücklich gewesen, eilfmal aufgelegt zu werden: so hat doch weder Schottel, noch Bödicker, sich dieses Glückes rühmen können. Ja ich sehe es, zu meiner großen Demüthigung, gewiß vorher: daß meine Sprachkunst wohl das Glück niemals erleben wird, welches PEPLIERS französische Grammatik, in oft wiederhohlten Ausgaben, bisher unter uns erlanget hat.

Gleichwohl ist es ein erwünschter Zeitpunct, den wir erlebet haben: da Deutschland eine so ansehnliche Zahl von Liebhabern ihrer Muttersprache in seinem Schooße heget; da man wiederum begierig ist, von seiner Mundart Regeln zu wissen; weil man glaubet, daß man dieselben nöthig habe, um darinnen etwas richtiger, als der Pöbel, zu reden und zu schreiben. Ich selbst hatte mir dieses niemals eingebildet; und war höchlich erfreuet, als ich aus einem so deutlichen Merkmaale, diese patriotische Gesinnung unserer Landesleute wahrnehmen konnte.

Was würde mir aber lieber seyn, als wenn ich auch eben so gewiß versichert wäre, daß meine Sprachkunst dem Verlangen und der Erwartung dieser guten Patrioten eine Gnüge[17] geleistet hätte! So sehr ich solches wünsche: so viele schriftliche und öffentliche Zeugnisse ich auch davon in Händen habe: so wenig bin ich noch zur Zeit davon versichert. Ich mag mich aber damit nicht breit machen. Vieleicht hat die Freundschaft eben so viel Theil daran gehabt, als der Werth meines Buches. Nur so viel will ich sagen, daß mir verschiedene Gönner und Freunde die größte Gefälligkeit dadurch erwiesen, daß sie mir ihre Namen nicht einmal gemeldet haben; die ich doch desto lieber gewußt hätte, je scharfsinniger und gründlicher mehrentheils ihre Beobachtungen waren. Anderntheils aber haben sie mirs ausdrücklich untersaget, ihrer Namen keine Erwähnung zu thun: wenn ich mich gleich ihrer Erinnerungen bedienen würde.

Ich habe dieses mit desto größerm Vergnügen gethan, je unparteyischer und redlicher sie sich, in Abfassung derselben, bewiesen haben. Was ist einem wohlgeordneten Herzen eine größere Lust, als Lehren anzunehmen; wenn sie aus guter Absicht, ohne Stolz und Bitterkeit gegeben werden? Ich bin so glücklich gewesen, solche patriotische und wohlmeynende Lehrer zu bekommen: und mein Buch wird an unzähligen Stellen zeigen, daß ich gelehrig gewesen. Die meisten Zusätze und Anmerkungen, die mit kleinerer Schrift gedruckt sind, habe ich diesen freundschaftlichen Erinnerungen zu danken. Habe ich aber ja, in einigen Stücken, auch meine alten Meynungen behauptet: so schätze ich doch die Urheber der mir gemachten Einwürfe vollkommen hoch; und werde ihre gegen mich bezeugte Güte allemal rühmen müssen.

Allein, auch außer dem, habe ich hin und wieder meine Gedanken, theils ausführlicher erkläret, theils mit neuen Gründen bestätiget, theils mit mehrern Exempeln erläutert. Die Verzeichnisse der Wörter bey einigen Regeln sind etwas vollständiger gemachet; die Ausnahmen bey einigen sind genauer und richtiger eingeschränket: und in der Prosodie sind auch so gar einige mehrere Zeugnisse, zu Bekräftigung meiner[18] Grundsätze, angeführet worden. Außer dem hat auch die Wortfügung ein Paar neue Hauptstücke bekommen: die zwar nichts wesentliches betreffen; gleichwohl aber auch, bey einer guten Sprachkunst nicht für überflüßig zu achten sind.

Indessen dörfen doch diejenigen, welche mit der ersten Ausgabe dieses Buches versehen sind, nicht denken, daß ihre Sprachkunst nunmehr abgedanket, und zum Gebrauche untüchtig geworden sey. Nein, es sind noch alle Hauptstücke, Abänderungen der Nennwörter, Abwandelungen der Zeitwörter, und Regeln der Wortfügung eben dieselben geblieben. So wenig sich unsere Sprache in Jahresfrist hat ändern können: so wenig hat auch diese Sprachlehre ganz umgeschmolzen werden dörfen. Es sind nur Kleinigkeiten und zufällige Zusätze, die hier geändert oder beygefüget worden; und dergleichen werden sich noch bey allen künftigen Ausgaben nach und nach machen lassen: wenn ich anders meinem Versprechen nachkommen will, lebenslang an der Verbesserung dieses Buches zu arbeiten.

In Pelissons Historie der französischen Akademie, findet sich ein Urtheil von der französischen Sprachkunst des Abts Regnier, welcher sehr vortheilhaft für sie ist; zumal da es nach dem Tode ihres Urhebers gefället worden. Kann meine Sprachkunst dereinst nach meinem Ableben, eben dieses Zeugniß von verständigen Sprachkennern erlangen: so wird meine darauf verwandte Arbeit reichlich belohnet seyn. Allein, ebendaselbst a.d. 64 S. finde ich, daß es nicht dienlich sey, durch gar zu viele Anmerkungen eine Grammatik zu vermehren, und immer weitläuftiger zu machen. Man behauptet mit dem besten Grunde von der Welt, daß eine Sprachkunst in Folio (ja ich möchte hinzusetzen eine in 4to) weder von Einheimischen, noch von Ausländern gelesen werden würde. Ein großes Buch schrecket die meisten Leser ab: zumal wenn es von so trocknem Inhalte ist, als eine Grammatik.[19]

Was zieht man aber für eine Folge daraus? Diese, daß man über eine gute Sprachlehre wohl Anmerkungen machen könne und müsse; aber daß selbige nicht alle in die Sprachlehre selbst gehören. Diesem zu Folge werde ich auch meine Sprachkunst künftig nicht immer zu vergrößern suchen. Die gegenwärtige Größe soll sie beständig behalten: damit sie nicht unbequem und unbrauchbar werde. Was mir aber für fernere Anmerkungen von grammatikalischen Sachen beyfallen sollten, das will ich in dem neuen Büchersaale der schönen Wissenschaften und freyen Künste mittheilen. Sollten auch guten Sprachkennern und patriotischen Liebhabern der deutschen Sprache, hier und da Zweifel wider mein Buch einfallen: so werden sie mich verbindlich machen, wenn sie mir dieselben mittheilen werden. Ich verspreche sie alle von Wort zu Wort dem Drucke zu übergeben, und nach meiner geringen Einsicht zu beantworten: wie ich schon neulich eine Probe davon im Vten Stücke des VIIIten Bandes gegeben habe. So werden die Liebhaber der Sprachrichtigkeit eher ihren Zweck erhalten, als wann sie erst eine neue Auflage meiner Sprachkunst erwarten sollten.


Geschrieben im Carlsbade,

1749 im August.

Gottsched.

Fußnoten

1 Wenigstens ist ein gewisser Wende so aufrichtig gewesen, sich, und alle diejenigen für Thoren zu erklären, die ihren Gulden für mein Buch ausgegeben hätten.


Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 8, Berlin und New York 1968–1987, S. 16-20.
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