Vorrede der dritten Auflage.

[20] Ich habe mich in der Vorerinnerung der ersten Ausgabe dieser Sprachkunst anheischig gemacht, an meiner Sprachkunst immer zu bessern, und sie, so viel mir möglich wäre, der Vollkommenheit zu nähern. Hiermit liefere ich nun einen[20] neuen Beweis, daß es mir mit diesem Versprechen ein Ernst gewesen. Die veränderte und etwas größere Gestalt meines Buches ist gar nicht, um des bloßen Wohlstandes und Zierraths halber, erwählet worden. Die vielen Zusätze und Vermehrungen desselben haben mich und den Herrn Verleger genöthiget, dieses neue Format zu erwählen: weil sie sonst das Buch, in der vorigen kleinern Gestalt, gar zu dick und unbequem gemachet haben würden.

Glaube aber nicht, geehrter Leser, daß du alle Verbesserungen und Zusätze meines Buches mir allein zu danken hast. Nein, ich bin, wie bey der zweyten Ausgabe, also auch bey der dritten, meines Wunsches gewähret worden. Verschiedene Gönner und Freunde haben sich die Mühe nicht dauren lassen, mir die patriotische Liebe ihrer Muttersprache dadurch bekannt zu machen, daß sie mir allerhand Anmerkungen und Zweifel über meine Sprachkunst zugefertiget. Ich rühme dieses öffentlich, mit einer wahren Erkenntlichkeit; und würde ihre Namen nennen, wenn sie solches nicht aus Bescheidenheit abgelehnet hätten. Einestheils sind dieselben nach ihrem Stande, und ihren Bedienungen, über die kleine Ehre weit erhaben, die ihnen aus einigen grammatischen Erinnerungen irgend zuwachsen könnte: anderntheils aber sind sie schon durch eigene, weit wichtigere Schriften, der Welt so bekannt, daß ihnen ebenfalls, durch solche Kleinigkeiten, kein neuer Ruhm entstehen würde.

Zwar haben auch andere, vieleicht nicht in so freundschaftlichen Absichten, meine Sprachkunst entweder zu bessern, oder doch wenigstens zu tadeln gesuchet. Ich schließe dieses daraus, daß sie ihre Anmerkungen nicht mir zugesandt, sondern in öffentlichen Schriften vorgetragen haben; um dadurch vor aller Welt als meine Lehrer und Meister zu erscheinen. Ich misgönne ihnen dieses Ansehen nicht; sondern weis es wohl, daß, wer am Wege bauet, viele Meister erdulden muß. Da ich aber auch das wenigste davon zu sehen bekommen, vielweniger gelesen, (denn wer kann heutiges[21] Tages alles lesen, was herauskömmt?) so haben auch diese geschickten Kunstrichter ihren Lohn dahin! Die Welt, und sonderlich der sprachliebende Theil unsers Vaterlandes, wird ihnen den Dank abstatten, den sie verdienen: ich aber bin des Vortheils beraubet worden, den ich aus ihren Erinnerungen für meine Sprachkunst hatte ziehen können.

Indessen bin ich doch bey meiner Arbeit auch selbst nicht saumselig gewesen. In allen Theilen dieser Sprachkunst, und an allen Stellen, wo bey genauer Prüfung etwas zu fehlen schien, habe ich theils durch Verbesserungen eingeschlichener Mängel, theils durch Ergänzung unvollständiger Verzeichnisse, theils durch andere Zusätze und Anmerkungen, die Vollkommenheit derselben zu befördern gesuchet. Bisweilen habe ich die Regeln mehr eingeschränket; bisweilen mehr Ausnahmen beygefüget; bisweilen mehr Beyspiele gegeben; bisweilen auch in der Ordnung und Deutlichkeit des Vortrages etwas geändert. Zweifel, die mir vorgetragen worden, oder mir bey reifem Nachsinnen selbst beygefallen, habe ich beantwortet; Scheingründe, die mir zuwider waren, habe ich beleuchtet, und Gründe von manchen Regeln angegeben, wo sie noch gefehlet hatten. Ja ich habe mich hier zuweilen genöthiget gesehen, bis in die ältesten Denkmäler unserer Sprache zurück zu gehen, und Schriftsteller anzuführen, die vieleicht nicht allen Liebhabern des Deutschen zu Gesichte gekommen, oder nur dem Namen nach bekannt geworden.

In den Zeitwörtern sonderlich, habe ich eine grammatische Kätzerei gewaget. Ich habe dieselben mit zwoen neuen Zeiten vermehret, die in unsern alten Sprachlehrern nicht vorkommen. Ich habe sie aber nicht selbst gemachet; sondern, da ich sie im Reden und in den besten Schriftstellern eingeführet fand, nur mit Namen versehen, und an ihren Ort eingerücket. Ich hoffe aber damit eben so wenig etwas verbrochen zu haben, als derjenige Sprachlehrer: der im Griechischen zuerst zween AORISTOS, und drey FUTURA angemerket, und in seine Grammatik gesetzet hat.[22]

Ich habe aber auch der Wortfügung noch einen Anhang, von einem Auszuge deutscher Sprüchwörter hinzugesetzet: weil ich bemerkete, daß das Verzeichniß der vornehmsten Kernredensarten im Deutschen, bey vielen Beyfall gefunden hatte. Dieses neue aber ist noch etwas stärker gerathen: ob ich gleich bey weitem nicht alles genommen, was in andern größern Sammlungen davon zu finden war.

In der Tonmessung habe ich hauptsächlich die Historie des deutschen Syllbenmaaßes noch sorgfältiger durch alle Jahrhunderte geführet, und mit mehrern Beweisen und Zeugnissen alter Dichter erläutert. Ich habe auch die Grundlehren von der Prosodie, mit Anführung gelehrter Schriften überall bestärket: weil ich gesehen, daß einige dieselben für meine Einfälle, und bloß willkührlich angenommene Meynungen halten wollen; andere aber, die doch die Alten kennen wollten, dennoch die wahren Gründe der Prosodie in ihnen nicht angemerket hatten.

Endlich habe ich auch einen Anhang hieher gebracht, den ich vor fünf und zwanzig Jahren zuerst aufgesetzet, nach der Zeit ziemlich verbessert, itzo aber noch vollständiger gemachet habe. Es ist solches die Erörterung der Frage, ob man deutsch oder teutsch schreiben solle; und die Zugabe von dem Rechtshandel der doppelten Buchstaben; die ich als eine Nachahmung des lucianischen JUDICII VOCALIUM, vor vielen Jahren aufgesetzet hatte. Beydes wird vieleicht in dieser Erneuerung nicht unwürdiger seyn, gelesen zu werden, als es damals bey der Nachricht von der hiesigen deutschen Gesellschaft gewesen; und als es nachmals geschienen, da etliche wienerische Gönner und Freunde, auf eigene Kosten, eine neue Auflage davon veranstaltet hatten. Und warum sollten diese grammatikalischen Stücke hier keinen Platz finden; da sie gleichsam die ersten Vorbothen und Vorspiele meiner Sprachkunst gewesen sind?

In kurzem wird zu Straßburg in Herrn Königs Verlage, eine deutsche Sprachlehre, zum Gebrauche der Franzosen,[23] in ihrer Sprache herauskommen, die hauptsächlich auf den Grund der meinigen gebauet ist. Ich kann derselben desto sicherer das Lob einer großen Richtigkeit beylegen, da der Herr Verfasser mir seine Handschrift zur Einsicht gesandt hat, ehe sie zum Drucke befördert worden, wie ich mir in den vorigen Ausgaben gewünschet hatte. Wie nichtig ist also nicht der Zorn eines Gegners darüber gewesen, der sich nicht einmal mäßigen können, ihn nicht öffentlich zu verrathen!

Übrigens lasse sich der geneigte Leser meinen Eifer, ihm und den schönen Wissenschaften zu dienen, bestens gefallen, und bleibe mir ferner gewogen.


Geschrieben

Leipzig, den 21 April,

1752.

Joh. Chr. Gottsched.

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 8, Berlin und New York 1968–1987, S. 20-24.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Grundlegung der deutschen Sprachkunst
Grundlegung der deutschen Sprachkunst
Grundlegung Einer Deutschen Sprachkunst: Nach Den Mustern Der Besten Schriftsteller Des Vorigen Und Jetzigen Jahrhunderts Abgefasset, Und Bey Dieser Dritten Aufl. Merklich Vermehret (German Edition)