Vorrede der vierten Auflage.
Geneigter Leser!

[24] Seit dem ich dir die größere und merklich vermehrte Ausgabe meiner Sprachkunst geliefert, hat sich fast eine allgemeine Liebe unserer Muttersprache hervorgethan. Ich habe solches aus den vielen Sprachlehren schließen müssen, die an verschiedenen Orten ans Licht getreten. Es haben sich sehr viele Gelehrte im obern und mittlern Deutschlande, um die Wette bemühet, derselben durch Sprachlehren und eifrige Kritiken wider die Misbräuche in derselben aufzuhelfen. Und ich kann nicht läugnen, daß ich sie alle gelesen; so feindselig sich auch einige davon wider mich, und meine Bücher erkläret haben.

Nichts wäre natürlicher, und selbst erlaubter gewesen, als wider solche Feinde meiner Lehrsätze und Arbeiten, mit[24] gewaffneter Hand zu Felde zu ziehen. Es ist längst Sitte unter den Gelehrten gewesen, keinen Widerspruch zu dulden, und seine angefochtenen Meynungen eifrig zu vertheidigen. Man hat mich so gar öffentlich dazu aufgefodert, und mich bereden wollen: mein ganzer Ruhm und guter Namen stünde in Gefahr, wenn ich nicht allen Gegnern antwortete. Manche haben es gar als einen Spott gebrauchet, wenn sich andere Schriftsteller gerühmet, nicht wider meine Sprachkunst verstoßen zu haben. Allein, ich habe ganz still gesessen, und allen diesen Angriffen gelassen zugesehen. Die Ursachen meines kaltsinnigen Verfahrens will ich kürzlich entdecken.

Fürs erste, ist meine Gemüthsart gar nicht zum Neide geneigt. Ich gönnete also einem jeden denjenigen Ruhm, den er sich auf eben der Bahn erwerben können, die ich zu laufen mir erwählet hatte. Ich wußte ja, daß ich von des Kaisers und Reichs wegen kein Ausschließungsrecht auf die deutsche Sprachkunst erhalten hatte. Was also mir frey gestanden hatte; mußte einem jeden andern, der seine Kräfte fühlte, auch erlaubet seyn. Und wäre es nicht lächerlich gewesen, zu begehren: daß die ganze gelehrte Welt auf einmal die Feder niederlegen sollte, sobald ich mich unterfangen hätte, von irgend einer Sache zu schreiben.

Da ich ferner seit 30 und mehr Jahren eifrig gewünschet; daß Deutschland seine Sprache mehr lieben, und zu besserer Richtigkeit und Schönheit bringen möchte: so habe ich es nicht anders, als gern sehen können, daß viele an ein so wichtiges und schweres Werk Hand angeleget. Zwey Augen sehen nicht alles: und zwo Hände konnten nicht alles bewerkstelligen, was hier zu thun übrig war. Je mehrere sich also bey dieser Arbeit als Gehülfen angaben, desto lieber mußte mirs natürlicher Weise seyn; wenn sie nur nebst einem guten Willen, auch die nöthige Geschicklichkeit und sattsame Kräfte mit sich brachten.

Nun ist es aber freylich nicht zu läugnen, daß einige unter den neuen Sprachlehrern gelehrte, und für die Ehre Deutschlandes[25] recht eifrige Männer gewesen. Denn so unbillig bin ich nicht, ihnen diese Verdienste abzusprechen: so uneinig sie auch übrigens in vielen Meynungen mit mir sind. Ich gebe ihnen hiermit öffentlich dieses Zeugniß; gesetzt, daß Sie mirs in vielen Stücken versaget hätten. Denn ich bin so rachgierig nicht, als Sie vielleicht denken. Sie kennen mich nicht sattsam. Aber ich hoffe, sie auch hierdurch eines bessern zu belehren.

Es ist wahr, wer die seit sechs Jahren ans Licht getretenen Sprachlehren ansieht, und genau gegen einander hält, der sollte bey nahe denken, daß er die Arbeiter beym babylonischen Thurmbaue vor sich sähe; und zwar in dem Zeitpuncte, da die Verwirrung ihrer Mundarten geschah. Sie waren alle eifrig, das Ihre zu thun: aber sie verstunden einander nicht. Ein jeder meynte, er redete recht, und verdammte seinen Mitarbeiter, der sich anders ausdrückte. Darüber blieb nun das ganze Werk liegen, und der Bau gerieth ins Stecken. Vieleicht ist meine und meiner Mitwerber bisherige Bemühung, vielen unsrer Zuschauer eben so lustig vorgekommen.

Dem sey nun, wie ihm wolle, so habe ich mich doch von meiner Arbeit und Bemühung durch keinen Widerspruch, ja auch durch keinen Zorn meiner Gehülfen abwendig machen lassen. Ich habe sie nach Ihrer Einsicht arbeiten lassen, ohne sie zu stören; und gethan, als ob ich es nicht wüßte, daß sie mich hindern wollten, nach meiner Art fortzufahren. Deutschland ist der Richter gewesen, wer es unter uns am besten getroffen. Ich habe seinen Ausspruch mit Gelassenheit erwartet, und ihn weder durch Drohen und Pochen; noch durch niedrige Künste zu erzwingen, oder zu erschleichen gesuchet. Denn was ist es nicht für ein sehr seichtes Vergnügen, wenn man sich bewußt ist, einen eingebildeten Beyfall, mit so schnöden Kunstgriffen erlanget zu haben?

Der gute Abgang der größern Sprachkunst, hat es nicht gehindert, daß auch mein Kern der deutschen Sprachkunst[26] zugleich Liebhaber, und bereits in zwoen Auflagen Käufer gefunden hätte. Sehr viele gelehrte und wackere Schulmänner haben denselben bey ihren Untergebenen brauchbar befunden, und eingeführet; sonderlich seit dem ich ihnen auch meine Vorübungen der Redekunst, und neulich noch die Vorübungen der lat. und deutschen Dichtkunst, zum Gebrauche der obern Schulclassen geliefert habe. Was konnte ich nun aus dem allen anders schließen, als daß meine grammatischen Lehrsätze, an unzähligen Orten, und zwar bey guten Kennern und gehörigen Richtern, Beyfall gefunden haben müßten?

Hierzu kam nun vorigen Sommer das Begehren des Herrn Verlegers, daß ich auch meine vollständige Sprachkunst, zu einer neuen Auflage nochmals übersehen, und wo nöthig, erläutern möchte. Ich hatte kaum die straßburger französische Ausgabe aus den Händen geleget, als welche gleichfalls zu einer neuen Auflage gediehen war, und von mir abermal in einigen Stücken verbessert worden: und selbst von dem pariser Auszuge meldete man mir einen Druck an, der in Wien veranstaltet würde. Alles dieses nun bestärkte mich in der Meynung, daß ich nichts nützlichers thun könnte, als daß ich ein Buch zu aller möglichen Vollkommenheit brächte, welches an so vielen Orten mit einer erwünschten Aufnahme beehret ward.

Hier kann ich nun ein offenherziges Geständniß thun. Fast alle Verbesserungen, die ich in dieser neuerläuterten Sprachkunst, an sehr vielen Orten gemachet habe, hat der geneigte Leser mehr andern, als mir, zu verdanken. Hatte sich bey der zweyten Auflage ein gelehrter Gönner in Schlesien gefunden, der mich mit Einwürfen, Zweifeln, und Anmerkungen in den Stand gesetzet, sie vollkommener zu machen; so haben sich itzo in Niedersachsen, ein paar redliche deutsche Patrioten gezeiget, die mich mit sehr vielen Erinnerungen, Fragen, und Gegengründen aufmerksam gemachet; wo es meinen Lehrsätzen und Regeln noch an etwas fehlen möchte.[27] Diesen beyden gelehrten Kennern haben meine Leser bey nah alle die neuen Zusätze, und Änderungen zu danken, wodurch diese Auflage sich von der vorigen unterscheidet.

Wie gern wollte ich diesen wackern Patrioten, den ihnen gebührenden Dank auch namentlich abstatten! Allein, bey allen den freundschaftlichen Gesinnungen gegen mich und mein Buch, die durchgehends so deutlich ins Auge fallen, haben Sie mir gleichwohl die Kenntniß ihrer Personen noch zur Zeit versaget. Die Anmerkungen des ersten hatte ich schon vor ein paar Jahren bekommen. Sie waren auf etlichen ziemlich starken Heften in Fol. geschrieben, und der Herr Verfasser hatte allemal einen breiten Rand übrig gelassen, daß ich meine Antworten auf seine Fragen und Zweifel beyschreiben konnte. Ich würde einem so bescheidenen, einsehenden, und vernünftigen Gegner längst gewillfahret haben, wenn mir sein Namen und Aufenthalt bekannt gewesen wäre.

Allein, seine Erinnerungen waren auch viel zu erheblich, als daß ich sie nur ingeheim hätte heben sollen. Er hatte mit solcher Scharfsinnigkeit, die nur sehr wenigen Geistern beywohnet, Unvollkommenheiten an meiner Sprachkunst wahrgenommen, die gewiß unter tausend Lesern nicht einer bemerken wird. Er war in die innersten Geheimnisse der Sprache gedrungen, und ich sah mich genöthiget, ihm in sehr vielem Recht zu geben. Er hatte aber auch hier und da Druckfehler und andere kleine Nachläßigkeiten wahrgenommen, darinn ich selbst, wider meine eigene Regeln verstoßen hatte. Solche Schwachheiten kleben uns Schriftstellern so lange an, als wir Menschen sind: und wir sind glücklich, wenn wir Freunde finden, die sie uns auf eine so liebreiche Art entdecken, daß wir sie ohne Beschämung annehmen können.

Von eben der rühmlichen Art ist mein zweyter Gönner, der mir seine Einwürfe und Zweifel nur vorige Michaelmesse, in 8. abgeschrieben, durch einen jungen Braunschweiger zugefertiget hat, der studirenshalber herkam, und von mir der[28] Universitäts-Matrikel einverleibet ward. Auch dieser hat mir unbekannt bleiben wollen; so vielen Dank ich ihm für seine Bemühungen schuldig geworden. Er hat mir ebenfalls in sehr vielen Puncten gegründete, in den übrigen aber solche Einwürfe gemachet, die beantwortet zu werden verdienten. Wo er recht hatte, habe ich ihm stillschweigend nachgegeben, und mein Buch durch seine Einsicht verbessert. Das geringste Zeichen meiner Erkenntlichkeit wird seyn, daß ich beyden erwähnten Gönnern, wenn sie es durch beglaubete Bothen fodern werden, Abdrücke von dieser durch ihre Hülfe verbesserten Ausgabe überliefern werde.

Dennoch aber bin ich auch selbst nicht müssig gewesen, meinem Buche hin und wieder zu größerer Richtigkeit zu verhelfen. Die Vergleichung mit der vorigen Ausgabe wird solches an unzähligen Orten zeigen: ungeachtet dadurch das ganze Buch kaum ein Paar Bogen stärker geworden. Indessen ist in den Hauptstücken dadurch nichts verändert, ja auch in den wesentlichen Regeln und Ausnahmen nichts abgeschaffet worden. Die Exempel sind bisweilen mit Zusätzen bereichert, oder in bessere Ordnung gebracht, auch wohl einige Anmerkungen mit beygefüget worden.

Endlich habe ich die Anhänge theils nochmals übersehen und etwas vermehret; theils noch mit einer dritten Zugabe bereichert. Es ist selbiger ein orthographisches Bedenken, welches schon 1748 von dem gel. Hrn. Verf. der vergnügten Abendstunden, meiner Freundinn und Gehülfinn öffentlich abgefodert worden. Die aufgeweckte Art, womit sie es abgefasset, ist geschickt, die trockensten Materien zu beleben: und ich habe also geglaubet, meinen Lesern ein angenehmes Geschenk damit zu machen, wenn ich es nochmals abdrucken ließe. Vieleicht dienet es auch, manche neuere orthographische Heterodoxen, auf eine lustige Art bey der guten Lehre zu erhalten.

Ich war zwar willens, auch noch nach lucianischer Art, ein Gespräch, unter dem Titel Solöcista, oder der Sprachschnitzler[29] beyzufügen; imgleichen eine kurze Historie der deutschen Sprache, als einen Vorbericht zur Sprachkunst abzufassen. Allein, mein itziges beschwerliches Rectorat, hat mir bey der Eile, womit diese Ausgabe, innerhalb zween Monathen gedrucket werden müssen, um die Begierde der Nachfragenden zu vergnügen, so viel Muße nicht gelassen. Es würde auch in der That das Buch dadurch etwas zu stark geworden seyn: und seinen Preis zu erhöhen, hat weder dem Hrn. Verleger, noch mir rathsam geschienen.

Nichts ist übrig, als daß ich noch diejenigen, so die dritte Auflage schon besitzen, um Vergebung bitten muß, daß diese ein merkliches verbesserter und vermehrter erscheint. Ein Tag lehret ja den andern: soll ich denn nicht lernen, so lange ich lebe? Wollten Sie es künftigen Käufern misgönnen, daß sie weniger Fehler in ihren Büchern hätten; so würden Sie unbillig seyn. Alles nähert sich ja ordentlich seiner Vollkommenheit: sollte nur meiner Sprachkunst dieses nicht vergönnet seyn? Ich will nicht hoffen, daß man ihr und mir so ein hartes Gesetz vorschreiben wird. Vielmehr bitte ich alle Sprachkenner, die etwas zum gemeinen Besten beytragen wollen, mir noch ferner hülfliche Hand darinnen zu leisten; damit diese Sprachkunst dereinst nicht mehr meine, sondern des ganzen gelehrten Deutschlandes seine heißen könne.


Geschr. den des Christm.

1756.

Gottsched.

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 8, Berlin und New York 1968–1987, S. 24-30.
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