159. Wie Eulenspiegel nach Stendal kam.217

[146] Als Eulenspiegel auf seinen vielen Wanderungen auch aus dem Magdeburgischen in die Altmark kam, da ergrimmte er gewaltig über den vielen Sand, den er durchwaten mußte, und über die vielen Tannen und Fichten, deren Geruch ihm gar nicht sonderlich gefiel. Erst in der Gegend des Landsberges verließ ihn die böse Laune wieder, und als es bergab ging, ward er wieder froh und der alte lustige Geselle, der er immer gewesen war. Nun blühte damals zu Stendal keine Zunft mehr als die der Tuchmacher; er beschloß also, sich bei einem Meister derselben als Geselle zu verdingen. Dies that er auch und zwar bei einem, der in der Weberstraße wohnhaft war. Derselbe sprach zu ihm: »Knapp, Ihr Gesellen macht einen Feiertag an dem Montag, und welcher das thut, den habe ich nicht gern in meiner Arbeit, denn ich will, daß meine Gesellen die ganze Woche arbeiten.« Eulenspiegel versetzte: »Meister, das ist mir auch recht.« Und Eulenspiegel stand des Montags Morgens auf und schlug Wolle, des Dienstags auch, das gefiel dem Meister wohl. Nun war aber am Mittwoch ein Aposteltag, derselbe wurde in der ganzen Stadt gefeiert und an ihm durfte nicht gearbeitet werden. Eulenspiegel aber that, als wenn er dies nicht wisse, stand des Morgens früh auf und schlug Wolle, daß man es über die ganze Straße hörte. Der Meister aber sprang erschrocken aus dem Bett und frug den Eulenspiegel, warum er an einem heiligen Tage Wolle schlage? Der aber antwortete, er habe dies gethan, weil der Meister gesagt, seine Gesellen sollten die ganze Woche über arbeiten. Der Wollenweber aber sagte, er habe es nicht so gemeint, er solle keine Wolle weiter schlagen, seinen Lohn aber werde er doch bekommen. Am andern Tag, als Eulenspiegel wieder Wolle schlug, meinte der Meister, er schlage sie nicht hoch genug; da stand Eulenspiegel des andern Tages zeitig auf, ging mit seiner Wolle auf den Boden und schlug sie dort; der Meister aber hörte den Lärm, sprang aus dem Bett und sah, was[146] jener mache. Da sprach Eulenspiegel: »Meister, schlage ich jetzt hoch genug?« Der Meister aber versetzte zornig: »Ständest Du auf dem Dache, so wäre es noch höher.« Das ließ sich Eulenspiegel nicht zweimal sagen, stieg auf das Dach und schlug die Wolle, so daß sie weit über die Dächer flog. Da liefen die Leute auf der Gasse zusammen und riefen den Meister herbei, der schrie wüthend zu Eulenspiegel hinauf: »Was machst Du? Höre auf, man pflegt die Wolle nicht auf dem Dache zu schlagen!« Eulenspiegel aber sprach: »Was wollt Ihr denn, erst habt Ihr gesagt, es wäre noch besser auf dem Dach als auf dem Boden, und jetzt ist es wieder nicht recht!« Der Weber aber sagte: »Willst Du Wolle schlagen, so schlage sie, und willst Du Narrerei treiben, so treibe sie; steige von dem Dach und hoffire bei der Hurt!« Nun ging der Weber in das Haus, Eulenspiegel aber stieg eilends vom Dache, ging ins Haus und that buchstäblich, wie ihn der Weber geheißen. Der Wollenweber kam aber aus dem Hofe, sah was Eulenspiegel gethan hatte und sprach: »Daß Dir nimmer Gutes geschehe! Du thust, wie alle Schälke thun!« Eulenspiegel aber sprach: »Meister, ich habe blos nach Euren Worten gethan!« Der Meister aber sprach: »Geh und nimm weg, was Du gethan hast, und trage es dahin, wo es Niemand hin haben will!« Das that der gehorsame Eulenspiegel auch, er trug es in die Speisekammer. Das ward dem Meister doch zu arg, er nahm ein Holzscheit und trieb damit den Schalksknecht zum Hause hinaus.

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Nach Weihe, Bd. II. S. 11, und der Original-Erzählung im alten Ulespiegel c. 51.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 146-147.
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