447. Der Bruder Bertram zu Wimmelburg.536

[380] Nicht weit von Eisleben liegt ein Klostergut, Wimmelburg genannt, welches in den Jahren 1700-1710 im Besitz einer Obristlieutnantin von Wohwasser war. Auf dieser Zeit hat man gewisse Nachricht, daß sich allda ein Gespenst, welches man gewöhnlich den Bruder Bertram nennt, hat sehen und hören lassen. Es soll derselbe bis auf das Ende des vorigen Jahrhunderts herab durch ein gewisses Fenster im Schlosse, vor welchem sein Grab und Leichenstein, mit einem Stacket umgeben, zu sehen ist, seinen Aus- und Eingang genommen haben. In dem daselbst angelegten neuen Gebäude hat nun besagter Geist sich öfter bei der Frau von Wohwasser eingefunden und mit ihr, wie auch mit andern Leuten gesprochen, sich auch wohl gar zu ihr auf das Bett gesetzt, zu welcher Zeit er aber rauch wie ein Ziegenbock gewesen ist. Er hat nicht leiden können, daß, weil die Straße durch den Hof geht, die Leute mit dem Geschirr an den Leichenstein anfuhren. Wenn sie aber solches gleichwohl gethan, dann hat er ihnen des Nachts darauf auf allerhand Art zugesetzt und sie gequält. Unter Anderem hat es sich zugetragen, daß, da sich drei Bedienten des damaligen Amtmanns Wurm auf besagten Leichenstein verwegener Weise gesetzt und auf demselben eins herum getrunken, er dieselben des Nachts fast bis auf den Tod ausgeprügelt hat. Da nun aber die[380] Frau von Wohwasser das alte Kloster hat abbrechen und an dessen Stelle ein neues aufführen wollen, so hat dieser Bertram als Stifter desselben Klosters nicht verstattet, daß sie etwas Weniges von der Kirche abbrechen durften. Wie selbige sich nun deswegen bei dem damaligen Generalsuperintendenten zu Eisleben Raths erholt hat, hat ihr der Bruder Bertram auf dem Rückwege ein Paar derbe Maulschellen versetzt und sich nicht gescheut, dem Duellmandat zuwider den Straßenfrieden zu brechen. Im Uebrigen hat derselbe Bertram im Schlosse selbst die Leute zu äffen gesucht, sich an die Thüren gestellt und Niemanden hindurch gehen lassen, auch wenn er dieselben auf allerhand Art verführt, sie nachmals noch höhnisch ausgelacht. Einstmals ging er des Sonntags unter der Predigt in die Küche und bot der Köchin seine Dienste zum Bratenwenden an; als diese nun darauf, um etwas zu holen, in den Keller gegangen war, hat er sie dermaßen bethört, daß sie den Rückweg nicht wieder finden konnte. Unterdessen aber hat er alle Speisen am Feuer verderben lassen, so daß die gute Frau Obristlieutenantin ihres sonntäglichen Bratens für diesmal hat entbehren müssen. Ueberhaupt hat er keinen Schimpf, so seinem Grabe widerfuhr, ungerochen vorbeigehen lassen.

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S. Monatliche Unterredungen von dem Reiche der Geister, Bd. II. S. 605 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 380-381.
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