741. Die Zerstörung der Irminsäule.859

[702] Auf einem Berge an der Dimel lag zu den Zeiten Carls d. Gr. die alte Veste Eresburg (das heutige Stadtberg) und hier stand die Bildsäule des Nationalgötzen Irmin, deren eigentliche Bestimmung heute noch nicht recht klar ist, weil Einige glauben, man habe sie Arminius, dem einstigen Befreier Deutschlands vom Römerjoche errichtet, Andere aber sie für eine Statue des Hermes oder Mercurius oder gar des Mars halten.860 Angeblich war es die Gestalt eines Gewappneten in voller Rüstung mit Schwert und fliegendem Banner an einer Lanze; auf dem Helme erblickte man den kampflustigen Hahn, den Lieblingsvogel des Mars, auf dem Bruststücke des Harnisches war ein dahin schreitender Bär zu sehen und in der Linken hielt er eine Waage, welches Sinnbild in dem Schilde wiederholt war, über einen schreitenden Löwen schwebend, dessen eine Hinterpfote auf Rosen tritt.

Nun hatte Clodoald, der Statthalter eines großen Landstrichs in Dänemark, nach dem Tode seiner Gemahlin noch drei Kinder am Leben, nämlich zwei Söhne, den Clodoald und Hyacinth, und eine Tochter, Namens Hildegardis. Letztere wurde ihm in ihrem siebenten Jahre geraubt, nach Sachsen gebracht und zur Priesterin bei der Irminsäule bestimmt. Der älteste Sohn Clodoald wurde von Seeräubern entführt und kam zu einem Schäfer in Afrika, mit dessem Sohne Faustinus er in der Folge unter dem Namen Ischyrion auf Abenteuer ausging. Der unglückliche Vater Clodoald reisete nun mit seinem jüngsten Sohne Hyacinth überall umher, um seine verlorenen Kinder wieder aufzusuchen und besuchte endlich auch seine Verwandten in der Gegend von Eresburg. Daselbst verfolgte er einst in der Hitze der Jagd einen Eber bis in den schaudervollen Wald, wo der Götze Irmin durch Menschenopfer versöhnt ward. Kaum hatte er den Eber erlegt, da verkündete eine fürchterliche Stimme den Zorn des Gottes und tausend Plagen, wofern man keine Genugthuung leiste. Clodoald ward auf der Stelle blind, Kräuter und Gras vertrockneten unter seinen Füßen, doch schenkte man ihm das Leben, wenn er das zum Opfer brächte, was ihm zuerst aus seinem Hause begegnen würde. Das Schicksal traf den Hyacinth. Dieser unterhandelte mit den Priestern um seine Befreiung, ward aber gleich ergriffen und zum künftigen Opfer bestimmt. Auf das Gerücht hin entschlossen sich zwei fremde Ritter, die sich gerade in der Gegend befanden, etwas für die Rettung desselben zu wagen. Beide – es waren Ischyrion und Faustinus – schlichen sich des Abends in den schaudervollen Wald, sahen am folgenden Morgen den Zug, in welchem der unglückliche Hyacinth mit Blumen bekränzt zum Opferplatze geführt wurde, und stürzten mit ihren Waffen zwischen die zahlreiche Begleitung. Die Priester drängen sich um Hyacinth, die Ritter befürchten[702] aber, er möchte von denselben erdrückt werden, und erbieten sich für seine Befreiung mit den Thieren des Waldes zu kämpfen. Die Bedingung wird angenommen und die Löwen und Bären, welche den Götzen bewachen und die Schlachtopfer verzehren mußten, fallen durch die Hände der Ritter. Nun schreien aber die Priester über neue Beleidigungen des Gottes und drohen mit allerhand Plagen. Hyacinth und die beiden Ritter werden in dunkele Höhlen geworfen und sollen nächstens geopfert werden. Hildegardis, jetzt Oberpriesterin, hat aber Mitleid mit den Schlachtopfern, will selbige retten, wird aber entdeckt und selbst zum Schlachtopfer bestimmt. Die vier Unglücklichen sehen noch im Kerker ihrem traurigen Ende entgegen, da erscheint Karl der Große mit seinem Heere und erobert die Eresburg (772). Clodoald klagt ihm sein Schicksal, läßt sich in der christlichen Religion unterrichten und wird in der Taufe wieder sehend. Nach der Oeffnung der Gefängnisse empfängt er den Hyacinth zurück und erkennt auch seine beiden anderen Kinder Clodoald und Hildegardis, die dann insgesammt die christliche Religion annehmen.

859

S.G.J. Besser, Geschichte des Bisthums Paderborn. Paderborn 1820. Th. I. S. 42 etc. und ausgeschmückt bei Stahl S. 253.

860

Nach anderen Ansichten stand die Statue jedoch in der Gegend von Fürstenberg oder an dem Bullerborn bei Altenbeck. (S. Wagner, Handbuch der heidnischen Alterthümer S. 74.)

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 702-703.
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