776. Der Schatz bei Schwerte.896

[727] Auf dem Weidenhofe bei Schwerte liegt schon seit undenklichen Zeiten ein reicher Schatz vergraben, von dem man aber nichts anderes weiß, als daß eine verwünschte Jungfrau ihn bewachen muß. Als im dreißigjährigen Kriege viele Soldaten in der Stadt lagen, gingen einst zwei von diesen des Abends nach einem Wirthshause, welches da stand, wo jetzt die Schwerter Mühle liegt. Gegen Mitternacht kehrten sie nach ihrem Quartiere zurück, ihr Weg führte sie über den Weidenhof. Als sie auf diesem ankamen, sahen sie hier plötzlich eine weiße Jungfrau vor sich stehen, worüber sie sehr erschracken und davon laufen wollten. Aber die Jungfrau rief einen von[727] ihnen beim Namen; da faßte sich dieser ein Herz und fragte sie: »Was wandelst Du hier?« worauf sie antwortete: »Ich bewache hier einen Schatz!« mit dem Hinzufügen, daß der Soldat den Schatz heben solle, wenn er sie erlösen werde; er solle morgen Nacht in derselben Stunde wiederkommen, aber allein! Darauf verschwand sie, aber der Soldat fürchtete sich und kam in der folgenden Nacht nicht wieder. Nicht lange nachher wurde ein Schwerter Bürger auf gleiche Weise von der Jungfrau angeredet. Dieser versprach wiederzukommen und hielt sein Wort. Die Jungfrau war schon da, sie sagte zu ihm: »Fang an zu hacken!« Er aber entgegnete ihr: »Hacke Du selbst!« Sie that dies und hackte in der Erde ein glänzendes Schloß los, das an einer Kellerthür befindlich war, die sich von selbst öffnete. Der Bürger ging hinein und sah nichts als Gold und Silber. Er packte alle seine Taschen voll, die Jungfrau aber rief ihm zu: »Vergiß das Beste nicht!« Er meinte, er solle blos das Gold nehmen und das Silber liegen lassen, und er griff daher blos nach dem Gold und trat dann wieder heraus und die Kellerthüre schlug hinter ihm zu. Da sprach seufzend die Jungfrau: »Hättest Du auch den Schlüssel mitgenommen, so wäre ich erlöst und Du der reichste Mann auf Erden!« Mit diesen Worten verschwand sie. Schloß und Kellerthüre hat man nie wiedergesehen; die Jungfrau aber geht noch oft um Mitternacht herum und seufzt und weint.

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S. Stahl S. 118.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 727-728.
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