1082. Der Wintzenburgische Poltergeist Hödecke oder Hütchen.

[879] (S. Hölling S. 36-47. Schuch im Neuen Vaterländ. Archiv. Lüneb. 1833 Bd. III. S. 128-185 [vorzüglich nach Trithem174 Annal. Hirsaug. T.I. S.a. 1132 p. 295.] Seifert, Sagen d. Stadt Hildesheim Th. II. S. 41 etc. 163. I. S. 182 etc.)


Der berüchtigte Hausgeist Hödecke (Hoedecken, Hoidecke, Häutchen oder Hütchen) hat seinen Namen von dem kleinen Bauerhütchen von Stroh (?), das ihm immer wie angenagelt auf seinem sehr dicken Kopfe saß und das er selbst vor vornehmen Personen, sogar nicht einmal vor dem Bischof Bernhard von Hildesheim abzunehmen pflegte. Er trug außerdem noch weite schlotternde Beinkleider, eine kurze Jacke und ein kleines Mäntelchen. Seine Wirksamkeit dauerte von der Zeit an, wo die Besitzer von Wintzenburg noch Heiden waren bis ums Jahr 1606, denn ein gewisser Letzner, der seine ungedruckte Chronik von Hildesheim um diese Zeit schrieb und darin Buch III. Cap. 11 und 12 von ihm spricht, sagt, daß er sich noch zu seiner Zeit vernehmen[879] lasse und allemal erscheine, wenn ein Unglück vorfallen solle. Man erzählt nun von ihm folgende Sagen.

Als der Graf Ruckhard oder Burghard von Wintzenburg, Sohn des Grafen Cuno I., in der im Jahre 752 zwischen den Sachsen und Pipin bei Iburg gehaltenen Schlacht gefangen und nach Frankreich geführt wurde, machte Hödecke viel Geschrei und Affenspiel auf der Wintzenburg, und da nachher der Graf Cuno I. wegen des Verlustes seines Sohnes aus Gram und Betrübniß starb, wiederholte er dieses Geschrei und Lärmen.

Dem Grafen Cuno II. erschien Hödecke in allerhand Gestalten, suchte ihn zu reizen, damit er seinen Bruder, den Grafen Riddag I., Stifter des Klosters Lamspringe, welcher die Grafschaft besaß und auf dessen Tod Cuno II., welcher weniger Einkünfte hatte, hoffte, ermorden solle, allein es gelang ihm nicht, alle Versuche scheiterten an dem festen männlichen Sinne des Grafen Cuno.

Als im Jahre 1001 der Graf Hermann II., Sohn des Grafen Dietrich II. zu Wintzenburg, in den Fluthen der Leine ertrank, machte Hödecke in der Nacht vor diesem unglücklichen Vorfall ein solches Getümmel, Lärmen und Geschrei über dem Schlosse Wintzenburg, daß es Aller Verwunderung erregte, bis man am andern Tage nach vorgefallenem Unglück sich des Geistes Betragen leicht deuten konnte.

Ohne Zweifel hat Hödecke auch den Grafen Dietrich III. zu Wintzenburg angetrieben, den kaiserlichen Gesandten am 20. Juli 1088 zu ermorden. Derselbe Fall ist es auch gewesen, als Graf Hermann V. den Grafen Burghard von Lüchow am 6. August 1130 auf dem Schlosse Wintzenburg erstochen hat. Am Tage vorher, ehe Dietrich III. den Mord verübte, schwebte Hödecke über der Wintzenburg, sang, jauchzte, schrie und pfiff, sowohl die Bewohner der Wintzenburg als die Feldarbeiter hörten seinen Jubel, ein Jeder verwunderte sich darüber, man ahnte wieder ein Unglück, weil man Hödecke's Erscheinen bei bösen Begebenheiten schon kannte. Am andern Morgen, nachdem man die Ermordung des Gesandten erfahren hatte, ward sein Gaukelspiel klar, in der folgenden Nacht hat er wieder über dem Schlosse gewaltig geheult und geschrieen, sich auch seitdem in langer Zeit nicht mehr sehen lassen.

Als Graf Hermann V. den Grafen Burghard ermordete, ließ sich dieser Poltergeist in der Nacht vor und nach diesem Morde sehen und hören, er machte ein seltsames Geschrei. Als die Wintzenburg kurz darauf belagert wurde, entfernte er sich und kam nicht eher wieder zum Vorschein, bis das Schloß mit Sturm bedroht wurde, dann erschien er in der Gestalt eines Raben, heulte kläglich und verschwand wieder, in der darauf folgenden Nacht aber ward das Schloß erstürmt.

Nach der vom Grafen Dietrich III. verübten Mordthat hatte sich Hödecke lange nicht sehen lassen, endlich erschien er wieder in der Gestalt eines Raben und versuchte einem armen Küchenjungen vielen Verdruß und Schaden zu machen. Endlich ward der Küchenjunge jedoch der vielen Neckereien überdrüßig, er vergaß die boshafte Natur seines Feindes und seine Macht und begoß des neckenden Raben schwarzes Gefieder mit siedendem Wasser. Hierdurch ward aber der Grimm des Geistes geweckt und er beschloß sich fürchterlich zu rächen. Eines Abends entfernte sich nun der Küchenmeister von der gräflichen Burg und gab dem Küchenjungen Befehl, am andern Morgen früh aufzustehen, Feuer anzuzünden und die Töpfe mit den kochenden Speisen[880] darauf zu setzen, damit er bei seiner Rückkehr das Fleisch gar und Alles in Ordnung finde. Der Küchenjunge verschläft jedoch die Zeit, Hödecke hatte unterdessen Feuer angezündet, die Töpfe rein gewaschen und aufgesetzt, er ergriff nun den schlafenden Jungen, zerhackte ihn in Stücken, warf ihn in die Töpfe und entfernte sich. Als der Küchenmeister von seiner Wanderung zurückkehrt, findet er zwar seine Befehle vollzogen, und beim ersten Blick Alles in Ordnung, allein mit Erstaunen sieht er die Kleider des Küchenjungen daliegen und der Junge ist nirgends zu finden, er öffnet die Töpfe und sieht mit starrem Entsetzen die zerhackten Theile des Körpers in denselben. Hödecke bewußt, daß er eine böse That begangen, ließ sich nicht sehen, in der darauf folgenden Nacht aber erschien er, schwebte über dem Schlosse, ließ sich freudig vernehmen, frohlockte und rief mit heller Stimme öffentlich aus, daß er die That an dem Küchenjungen verrichtet habe. Der Topf, in welchem der Küchenjunge gekocht worden ist, soll nun noch im Jahre 1606 im Kloster Woltingerode (oder Lamspring) vorhanden gewesen sein, allein dort scheint er verschwunden, wohl aber ist im Jahre 1798 in den Ruinen des Schlosses Wintzenburg ein großer eiserner Topf ausgegraben worden, der jetzt auf der Glashütte zu Schildhorst befindlich ist und zum Pottasche kochen gebraucht wird, und dies soll der fragliche Topf sein.

Als nun, wie gesagt, Hödecke den Küchenjungen abgeschlachtet und seinen zerhackten Körper in dem Topfe zum Feuer gebracht hatte, soll er dem Koche, wie eine andere Sage erzählt, mit starker Stimme zugerufen haben: »Koch, komm schnell, siehe das von mir bereitete Mus.« Der Koch, aufgeschreckt durch das Knattern des Feuers und des Geistes Zuruf, sprang aus dem Bette, ging hinunter und fand die Stücke des zerhackten Knabens in den Töpfen. Entsetzen und Wuth bemächtigten sich seiner, er fluchte auf den Geist und dieser antwortete: »Laß ab vom Fluchen, damit Dir nicht ein ähnliches Schicksal widerfahre, denn ich habe Dich oft gebeten, Du sollest den Küchenjungen von Schmähungen gegen mich abhalten, Du hast aber meine Bitte nicht erfüllt. Siehe, nun habe ich aus Noth gezwungen die mir angethane Schmach gerächt.« Nach einigen Tagen, da der Koch mit Fleischbraten beschäftigt war, trat der Geist herein, und da der Koch, wie wohl öfters geschieht, mit seinen Gedanken abwesend war, zog der Geist aus der an seiner Seite hängenden Tasche große, fette und schreckliche Kröten hervor, drückte selbige stark mit den Händen, spritzte ihre Jauche und Gift auf die Bratenspeisen und sagte: »Koch, für Deine Verfluchungen und Verwünschungen gebe ich Dir diese Jauche von meiner Jad.« Der in tiefe Gedanken versunkene Koch vernahm kaum die Stimme des Geistes, als er wieder zu sich selbst kam und sah, was der Geist gethan hatte. Er ergriff sogleich das gebratene Fleisch und schleuderte es mit Ungestüm kraftvoll auf den Geist los, dieser that, als sei er erzürnt und sagte dem Koch: »Wisse, daß ich diese mir angethane Schmach nicht ungerochen lassen werde, Du sollst es zu gelegener Zeit erfahren.«

Hödecke hielt nun gewöhnlich sein Wort; er pflegte Nachts auf den Thürmen und Mauern der bischöflichen175 Burg nach Art der Wächter[881] Schildwache zu stehen, zu rufen, die auf der Wache befindlichen in Schlaf gefallenen Wachen durch sein Geschrei aufzuwecken und munter zu erhalten. Einstens zu nächtlicher Zeit rief er den nahe dabei sitzenden Koch auf, mit dem Versprechen, ihm etwas Schönes zu zeigen; der Koch steht auf, hält eine von dem Geiste betrüglich gelegte Brücke für eine ordentliche, betritt solche furchtlos, fällt in eine Grube und zerbricht ein Bein. Der heftige Schmerz bringt den Koch zum Weinen, da lachte Hödecke, eilt herbei und sagt dem Unglücklichen: »Nun, Koch, willst Du mich wieder in Deiner Küche durchprügeln? Nun habe ich die mir angethane Schmach, wie ich versprochen, gerächt, in der Folge wirst Du auf Deine Geschäfte sehen und mich nicht beleidigen!«

Ehe Hermann V., der letzte Graf von Wintzenburg sammt seiner Gemahlin von einem ihrer Burgritter am 3. Februar 1153 ermordet wurden, hat Hödecke mehrere Tage und Nächte in und um Wintzenburg sich sehen lassen und vielen Lärm gemacht, er heulte, weinte, klagte und schrie, dann aber sang er auch wieder und frohlockte. Nachdem der Mord geschehen war, begab er sich gleich zu dem Bischof Bernhard von Hildesheim, den er noch im Bette traf; er sagte ihm: Plattner (Plattkopf) stehe auf, die Grafschaft Wintzenburg ist ledig, denn der Graf Hermann und sein Weib sind ermordet.176

Später verbannte aber Bischof Bernhard Hödecken aus dem Lande, allein einige Zeit nachher ward er von einem Bürger und Kaufmann aus Hildesheim, dem er persönlich bekannt gewesen war, in der Stadt Aachen gesehen, als er unter dem Volke herumwandelte. Hödecke redete nun den Kaufmann an und bat ihn mit vielem Ernste, ihm bei dem Bischof Gnade zu verschaffen, indem er wieder zurückkehren könne, allein seine Bitte ward ihm abgeschlagen. Als Kaiser Lothar im Jahre 1130, oder wie Andere behaupten, 1137 das Schloß Wintzenburg mit stürmender Hand eingenommen hatte, und selbiges niederreißen ließ, zeigte Hödecke darüber seinen Verdruß, weil sein Aufenthalt in eine Wüste verwandelt wurde, er heulte, schrie und weinte, als aber hernach das Schloß Wintzenburg wieder aufgebaut und hergestellt werden sollte, frohlockte er gewaltig und zeigte dadurch, daß er diesem Orte seine ganze Anhänglichkeit geschenkt habe.

Die Gräfin Mathilde, des Grafen Cuno III. von Wintzenburg und dessen Gemahlin Mathilde von Beichlingen Tochter, welche 26 Wochen nach ihres Vaters Ableben geboren wurde, war in dem Kloster Lamspring als eine Waise erzogen worden; der Bischof Bernhard verheirathete sie 1149 mit einem edlen Ritter seines Hofes (Heino von Wintzenburg), der ihm lange Zeit treu gedient hatte, bestellte ihn als Drost oder Schloßhauptmann zu Wintzenburg, man fand aber eines Morgens den Ritter sammt seiner Gemahlin todt im Bette, worüber sich Jedermann verwunderte; die Hirten, welche bei den Schafen und sonstigem Viehe in der Nacht gelegen, sollen fest behauptet haben, daß Hödecke in derselben Nacht über dem Schlosse geschwebt, seiner alten Gewohnheit nach auf dem Thurme gesessen, außerordentlich geweint und geheult, sich auch in mancherlei Art und Gestalt habe sehen lassen.[882]

Als der Herzog Magnus zu Braunschweig und Lüneburg in der Nacht der eilftausend Jungfrauen 1371 die Stadt Lüneburg (oder Lauenburg) ersteigen ließ, hielt Hödecke in derselben Nacht auf dem Thurme zu Wintzenburg ein wunderliches Spiel, er beschloß seine Gaukelei mit den Worten: »Sie sind alle hinüber.« Kurz darnach erfuhr man die in der Nacht geschehene Uebersteigung der Mauern von Lüneburg und deutete das Benehmen Hödeckes auf diesen Vorfall.177

Als im Jahre 1400 der Herzog Heinrich von Braunschweig und Lüneburg bei Fritzlar erstochen war, hat der Geist Hödecke sich in der Nacht vorher auf der Wintzenburg durch Schreien und Lärmen furchtbar hören lassen. Als der XXXIX. Bischof zu Hildesheim, Johann, ein Graf von Hoya, 1402 das Schloß Wintzenburg verödet liegen ließ, nahm sich Hödecke seines bisherigen Wohnsitzes sehr an, denn er zeigte sich außerordentlich traurig und verdrießlich, sobald aber der Bischof selbiges wieder aufgebaut hatte und durch Hermann von Bock besetzen und bewohnen ließ, bezeigte unser Poltergeist sich sehr freudig.

Im Jahre 1438 am Tage Conceptionis Mariä zog der Bischof Magnus von Hildesheim zum Erstenmale nach Wintzenburg. Hödecke empfing ihn sehr freundlich, jedoch soll man ihn, so lange der Bischof gelebt hat, daselbst nicht mehr gesehen haben. Vielleicht hat ihn dieser wie Bischof Bernhard durch Exorcismen vertrieben.

Im Jahre 1446 hat Hödecke einen Hopfenfuhrmann nicht ferne von dem Schlosse Wintzenburg in die Irre geführt, sich auch endlich in der Gestalt eines Raben auf dessen Karren gesetzt und auf selbigem allerhand Affenspiel getrieben, noch an demselben Tage aber stürzte des Fuhrmanns Pferd vor dem Karren nieder und stand nicht wieder auf.

Am Tage Dominica Lätare des Jahres 1448 saßen die Mönche zu Clus bei Gandersheim des Abends zusammen und hielten Collation; sie sprachen unter einander von Gespenstern, besonders von dem Wintzenburgischen Schloßgeist Hödecke. Die Klosterbrüder Leonhard Vogel von Wernigerode und Conrad Weiler verabredeten am folgenden Tage sich nach Schloß Wintzenburg zu begeben den Hödecke zu beschwören und ihn zu befragen, »was für ein Geist er sei, woher er gekommen und weshalb er zum Geiste geworden.« Am Montage nach Lätare begaben sie sich früh aus dem Kloster weg; als sie in die Nähe von Wintzenburg gekommen waren und ihre Beschwörung angefangen hatten, erschien Hödecke in der Gestalt eines Raben, flog von einem Baume zum andern, sein Betragen war sehr sonderbar, er wechselte mit Heulen, Weinen, Pfeifen, Singen und Frohlocken; alle Beschwörungsformeln wollten nichts fruchten, er antwortete den Beschwörern auf an ihn gerichtete ernstliche Fragen auch nicht ein Wort. Hödecke endlich müde der vielen Exorcismen fing von seiner Seite an den Klosterbrüdern seine Macht zu zeigen und sein Strafamt zu üben, er führte beide Exorcisten so sehr und auf solche Art in dem Walde in die Irre, daß sie ihr Zurufen zwar wechselseitig hören, jedoch einander nicht finden oder zusammenkommen konnten. Dieses Irreleiten trieb der lose Geist bis den darauf folgenden Freitag; das Schlimmste[883] dabei war, daß der Geist den Geneckten Tag und Nacht keine Ruhe gönnte und sie hungern und dürsten ließ. Endlich nach unsäglichen Leiden, nach erlittenem quälenden Hunger und Durst, nach mehreren unter freiem Himmel zugebrachten Nächten hat sie der Geist am Freitag früh, da sie in den nächstgelegenen Dörfern die Gebetglocken schlagen gehört, nachdem sie ihren unnützen Vorwitz als Unrecht erkannt, auch den lieben Gott um Verzeihung und Gnade angerufen hatten, aus dem magischen Zirkel entlassen, und haben sich beide wieder getroffen, jedoch so ermattet, daß sie nur mit der größten Mühe fortkommen konnten; der eine wurde von dem wüthendsten Hunger, der andere von dem brennendsten Durste geplagt. Sie kehrten bei dem Pfarrer zu Wetteborn ein, dieser ließ ihnen Essen und Trinken reichen, allein es war eine Unmöglichkeit, sie zu sättigen; sie wurden am darauf folgenden Sonnabend äußerst abgemattet und krank in ihr Kloster zu Clus gebracht. Bruder Bernhard starb am darauf folgenden grünen Donnerstag an der Schwindsucht, und Bruder Conrad 1450 am Freitag nach Lätare an der Wassersucht.

Während der Zeit, da der Graf von Wunstorf das Schloß Wintzenburg bewohnte, hat der Geist sich gar nicht sehen lassen, als aber Herzog Wilhelm zu Braunschweig in der Woche nach Michaelis 1451 am Vilshagen, im Amte Grubenhagen, gefangen genommen und auf die Wintzenburg geführt ward, hat Hödecke daselbst alle Nächte erbärmlich geheult, bis der Herzog 1452 am Tage Johannis des Täufers sich gelöst hatte.

Als im Jahre 1519 am Tage der Apostel Peter und Paul die Herzöge zu Braunschweig die Schlacht auf der Soltammer Heide verloren, und Herzog Erich sammt seinem Vater, Herzog Wilhelm, gefangen ward, hat Hödecke in der Nacht vorher ein großes Geheul und erbärmliche Klagen über dem Schlosse Wintzenburg geführt.

In der sogenannten großen Stiftsfehde im Jahre 1522 belagerten die Herzöge von Braunschweig das Schloß Wintzenburg, in welchem damals Hennig von Ruschenplaten lag; es fiel Feuer in das Pulver der Belagerten, wodurch ein Theil ihrer Vertheidigungswerke zerschmettert, ihre Gegenwehr vereitelt und sie genöthigt wurden, das Schloß zu übergeben. Der Dichter der Beschreibung dieser Fehde, welche in niedersächsischen Reimen existirt, sagt darüber178: »Hödecken hadde darmede syn spel | He makede, dat dat für in dat pulver fehl.«

Im Jahre 1606 lebten noch Leute, welche Letznern erzählten, Hödecke habe in der Nacht vor dem 24. Mai 1547, also vor der Drakenburger Schlacht, in der Zeit der Alefeldischen Belagerung (1552), in der Sieverhäusischen Schlacht (a. 9. Juli 1553) und vor dem Tode Herzogs Erich des Jüngern von Braunschweig (a. 8. Novbr. 1584) auf dem Schlosse Wintzenburg sehr geschrieen, geheult und geweint.

Der allgemein bekannte Abt Johannes Trithemius schreibt in seiner fränkischen Chronik179, als er in Sachsen einige Benedictinerklöster wegen den in selbigen befindlichen Alterthümern besucht, habe ihn auf seiner Reise in der Grafschaft Wintzenburg die Nacht überfallen und er habe nicht mehr nach Hildesheim kommen können, er sei deswegen in einem Dörfchen eingekehrt.[884] Seinem Gebrauche gemäß habe er den Pfarrer und einige betagte Männer zu seiner Gesellschaft bitten lassen; nach genossenem Abendessen habe er sich bei der Gesellschaft über den Geist Hödecke erkundigt und der Pfarrer habe ihm dann folgende, von den übrigen anwesenden Männern als wahr bestätigte Geschichte erzählt. Einige Zeit vorher habe in demselben Dorfe, wo jetzt der Abt Trithemius zu bleiben genöthigt worden, ein Roßhändler gewohnt, der ein schönes, aber ungetreues und unersättliches Weib gehabt, wenn nun der Mann wegen seinen Handelsgeschäften fortgereiset sei, habe die Frau in seiner Abwesenheit häufige Besuche von andern Mannspersonen angenommen. Diese üble Aufführung ward endlich dem Roßhändler bekannt, er machte deshalb mit Hödecke einen Vertrag, gemäß welchem dieser in der Abwesenheit des Mannes die Aufsicht über die Frau übernahm und zu verhüten versprach, daß sie während der Abwesenheit ihres Mannes nicht dessen Stelle durch Andere vertreten lasse. Der Roßhändler habe nach dieser Zeit eine Geschäftsreise von vierzehn Tagen gemacht und Hödecke sein Hüteramt angetreten; während dieser Zeit habe aber der sonst so thätige Hödecke so viel zu thun gehabt, um die Liebhaber zu verscheuchen und die übernommene Verpflichtung zu erfüllen, daß er weder Tags noch Nachts einen Augenblick Ruhe genießen können, daher er seines Hüteramts ganz überdrüßig geworden sei, denn es hätten nicht allein alte Bekanntschaften, sondern auch das Anknüpfen neuer müssen verhütet werden. Nur die Gewandtheit und Thätigkeit eines Geistes konnte die Vollführung so vieler Liebeshändel verhüten; offenbare Gewalt durfte er nicht anwenden, er mußte daher blos seine Erfindungskraft wirken lassen. Sobald die Besuchenden sich mit der Frau ins Bett gelegt hatten, zog Hödecke mit Geistesschnelle und Fertigkeit die Decke und das obere Bett ab und verhinderte also den Ehebruch. Nach langen 14 Tagen kehrte endlich der Mann zurück; Hödecke froh seines lästigen Hütungsgeschäftes entlassen zu werden, eilte ihm auf den Weg entgegen, machte ihm eine Beschreibung seiner überstandenen Mühseligkeiten und sagte dabei: »Er wolle lieber alle Säue in Sachsen hüten und weiden, als der Hüter seines Weibes sein.«

Als ein Schäferknecht im Jahre 1574 das mit einer Magd zu Wintzenburg außerehelich gezeugte Kind, welches sie ihm im Felde zur Erziehung und Versorgung übergeben hatte, ermordet und in den Brunnen auf dem verfallenen Schlosse Wintzenburg geworfen hatte, hat Hödecke in der folgenden Nacht auf dem alten Thurme daselbst greulich geheult und geschrieen, wie dies von vielen Menschen gehört worden. Als der Schäfer auch nachher die von ihm zum zweiten Male geschwängerte Magd in den Ruinen der alten Wintzenburg ermordet und in den Brunnen geworfen hatte, machte der Schloßgeist etliche Nächte hindurch nach einander daselbst ein schreckliches Geheul und Geschrei, wodurch der Argwohn gegen den Schäfer besonders entstanden und verstärkt worden sein soll.

Letzner erzählt, ein alter glaubwürdiger Mann aus jener Gegend habe ihm mitgetheilt, er habe einstmals sein Pferd des Nachts in der Gegend von Wintzenburg auf der Weide gehabt und dasselbe gewartet, da sei ihm Hödecke in der Gestalt eines Hasen erschienen, in der folgenden Nacht habe er deshalb seinen Bogen und seine Pfeile mitgenommen, es sei ihm Hödecke abermals erschienen und habe ihm vor den Augen ein Affenspiel gemacht, er aber[885] habe seinen Bogen gespannt, einen Pfeil angelegt und losgedrückt, jedoch sein eigenes Pferd erschossen.180

Als nach dem Tode des letzten Grafen von Wintzenburg Hödecke den Bischof von Hildesheim holte, damit er die Burg in Besitz nehme, begegnete ihnen unterwegs der Herzog von Braunschweig, welcher die Burg auch gern gehabt hätte. »Bischof«, sagte der Herzog, »die Burg ist eigentlich mein, allein wir wollen uns darüber vertragen und es soll dem die Burg gehören, der sie zuerst mit seinem Fuhrwerk erreicht.« – »Topp«, sagte der Bischof, stellte seinen Wagen mit dem des Herzogs in eine Reihe und dann ging's los im Galopp, so schnell nur die Pferde laufen konnten. Als aber der Herzog merkte, daß der Bischof ihm vorfahren würde, griff er zur List und fuhr dem bischöflichen Wagen ein Hinterrad ab. Da lag der Wagen im Dreck und der Braunschweiger fuhr hohnlachend voraus. Aber er hatte zu früh gelacht, denn kaum war der Wagen gefallen, so sprang Hödecken herbei, stellte sich unter die gebrochene Achse und schob des Bischofs Wagen so hurtig und trieb durch Schreien und Pfeifen die Pferde zu so rascher Flucht an, daß des Braunschweigers Wagen weit dahinten blieb und der Herzog das Nachsehen hatte. Seit dieser Zeit ward der Weg, den die beiden Fürsten fuhren, der Rennsteig genannt.

Zu einer Zeit befand sich zu Hildesheim ein Geistlicher, welcher sehr wenig gelernt hatte; diesen traf die Reihe, daß er zu einer Kirchenversammlung von der übrigen Geistlichkeit sollte verschickt werden, aber er fürchtete sich, daß er in einer so ansehnlichen Versammlung durch seine Unwissenheit Schimpf einlegen möchte. Hütchen half ihm aus der Noth und gab ihm einen Ring, der von Lorbeerlaub und anderen Dingen zusammengeflochten war, und machte dadurch diesen Gesandten dermaßen gelehrt und auf eine gewisse Zeit beredt, daß sich auf der Kirchenversammlung Jedermann über ihn wunderte und ihn zu den berühmtesten Rednern zählte.

Einem armen Nagelschmied zu Hildesheim ließ Hütchen ein Stück Eisen zurück, woraus goldene Nägel geschmiedet werden konnten, und dessen Tochter eine Rolle Spitzen, von der man immer abmessen konnte, ohne daß sie sich verminderte.

Seitdem die Wintzenburg zerstört ist, treibt sich Hödecke, oder wie man ihn in der dortigen Gegend auch nennt, Weißhütchen, im Felde umher und macht sich gern mit Pferden und Wagen zu thun, ladet auch wohl Heu auf und geht unsichtbar den Knechten zur Hand. Doch muß man sich hüten, ihn zu beleidigen. Ein Bauer in der Wintzenburger Gegend, der eben auf seinen Acker gehen wollte, sah aus der Ferne ein kleines graues Männchen damit beschäftigt, den Dünger aus einander zu streuen. Der Bauer hatte Niemanden mit diesem Geschäfte beauftragt und beschleunigte seine Schritte, um zu sehen, wer ihm ungerufen den Dienst thäte. Als der Bauer aber zu laufen anfing, stand das Männchen still wie ein Stock, und als der Mann seinen Acker erreichte, sah er dort nichts als den alten grauen Wegweiser, der auf dem Kreuzwege hart am Felde stand. »Du Lork hast mek wat brütet (du Kröte hast mich geneckt)!« brummte der Bauer, der ganz außer Athem war, und[886] gab dem Pfahl einen derben Schlag mit seinem Stocke. Aber wie erschrak der Mann, als der Wegweiser kläglich aufschrie und mit seiner lebendig gewordenen Hand ihm eine Ohrfeige gab, daß er über und über stürzte. Der Bauer raffte sich auf, nahm die Rockschöße unter'n Arm und lief, was er laufen konnte, dem Dorfe zu. Nachher ist er aber immer weit um den Wegweiser herumgegangen.

Als Hans mit dem Hütchen den vermessenen Küchenjungen in den Kessel gesteckt hatte und von der Wintzenburg weggezogen war, ging er nach Hildesheim zu einem Domherrn ins Haus. Da hatte er aber so faule Tage, daß er ganz mißmuthig wurde. Wenn man verstohlen in die Waschküche blickte, so konnte man ihn dort auf einer Tonne sitzen und gähnen sehen. Er hatte lange Hosen und eine kurze grüne Jacke an und den Wünschelhut immer auf dem Kopfe. Als es ihm nun gar zu langweilig bei dem Domherrn wurde, zog er ins Zwergloch bei Hildesheim, da ist er König gewesen bis auf den Tag, an welchem alle Zwerge auswanderten.

174

Derselbe erzählt T.I. S.a. 860 p. 27 Aehnliches von einem Kobold zu Mainz.

175

Sonach scheint die Geschichte mit dem Küchenjungen nicht zu Wintzenburg, sondern zu Hildesheim passirt zu sein. Denn Letzner erzählt, er habe sich unter der Regierung des Bischofs Bernhard wirklich in der bischöflichen Küche fast unausgesetzt aufgehalten und den Köchen bald sichtbar, bald unsichtbar in ihren Verrichtungen geholfen.

176

S. Botho, Sassen-Chronik c. IX. u. XI. Crantz, Saxonia L. VI. c. 11 Chron. episcop. Hildesheim, bei Leibnitz, Scr. Brunsvic. T. II. p. 1912.

177

S. Botho, Sassen-Chronik u.d.J. 1371 fol. 5 und bei Leibnitz, Scr. Brunsvic. T. III. p. 585 u. p. 183.

178

S. Leibnitz, Scr. Brunsvic. T. III. p. 258.

179

In den Annal. Hirsaug. T. I. p. 295 erzählt er aber die Geschichte anders.

180

Hölling S. 43 will dieselbe Geschichte von demselben Manne gehört haben (?), er schrieb aber 1730 und Letzner schon 1606!

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 879-887.
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