Ungleicher Tausch

[92] Alpensöhne, frei und bieder,

Wenn in unsre Städt' ihr wallt,

Jauchzt ihr auch das Lied hernieder,

Das auf euren Bergen hallt;


Wollt' auch unsern Augen bieten,

Was auf euren Alpen blüht:

Rosen auf den grünen Hüten,

Und wohl Rosen im Gemüth.


Jetzt da ich erklommen habe

Eurer Berge Hochgebiet,

Bring' auch ich euch würd'ge Gabe?

Kranz für Kranz, und Lied für Lied?


Blumen mag ich zwar auch bieten,

Aber frostig, steif und kalt,

Wie der Winter solche Blüthen

Höhnend uns ans Fenster malt.
[93]

Kranz um Kranz auch mag ich tauschen,

Aber dürr und ohne Duft,

Knisternd wie Cypressenrauschen

An gestorb'ner Hoffnung Gruft.


Denn des Thals Gedanken drängen

Sich um mich hier oben auch,

Und als eis'ge Blumen hängen

Sie sich rings an Fels und Strauch.


Auf der Bank der Alpenhütte

Sitz' ich nun zur Abendraft,

In der grünen Triften Mitte,

Schönste Hirtenmaid, dein Gast.


Stolz sehn dort die Tannen nieder,

Ihr Gewand vertauschend nie!

Freiheitsdurst'ge Waffenbrüder,

Haltet Farbe, so wie sie!


Fällt auch eine gleich von diesen

Hier und dort der Aexte Spiel,

Ist's vom Haupt des Bergesriesen

Nur ein Haar, das ihm entfiel.


Seht den Quell Demanten stäuben

Im Gebirg', wo frei er fleußt,

Doch verdämmt nur Mühlen treiben! –

Stäub' Demanten, Menschengeist!


Ha, wie fest die Sennenhütte,

Steinbeschwert, im Sturm sich hält!

Seht's, ihr Bauherrn, die zum Kitte

Eures Baues Blut ihr wählt!
[94]

Seht auch dort das Bergschloß schimmern,

Dessen Mörtel laut'rer Wein!

Wollt ihr auch so dauernd zimmern,

Nehmt auch Kitt, so frisch und rein!


Horch, ein Knall! die Felsenadern

Dort am Bergwerk sprengen sie!

Pulver sprengt wohl einz'le Quadern,

Doch ein Volk von Felsen nie!


Stolzen Haupts im Silberstrahle

Stehn die Riesen unbesiegt,

Während etwas Staub im Thale

Ihnen von den Sohlen fliegt!


Adler, hoch im Blau dich wiegend,

Lieblingslied im Fürstentraum,

Doppelt ihrem Stolz kaum g'nügend

Und erreicht doch einfach kaum!


Thier, flieg in die Sonnenauen,

Laß im Staub den Menschen gehn!

Doch ein Lamm in deinen Klauen!

Ha, war's also zu verstehn? –


Ferne Abendglocken singen

Frieden ins Gebirg hinein,

Und die Alpenhörner klingen

Und die Blumen nicken ein.


Glocke voll der Zauberklänge,

Menschenwort! O daß so traut

Frieden durch das Thal es sänge,

Wo die Menschheit Hütten baut!
[95]

Guten Abend, schöne Dirne,

Ei und bringst du Röslein mir?

Eine Maid mit heit'rer Stirne

Ist die Freiheit auch, gleich dir!


Ach, wann wird sie Rosen pflücken

Aller Welt, so wie du mir?

Wann die Welt ins Aug' ihr blicken

Ach so gerne, wie ich dir?


Alpenblümlein rings im Moose,

Ei, was sagt denn ihr dazu?

Alpendirnlein, schön und lose,

Und was meinst denn du?


Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 1, Berlin 1907, S. 92-96.
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Gedichte
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