[241] In des Waldes Kathedrale
Rauscht das Laub als Sonntagsglocken,
Glühn als goldne Ampelstrahle
Hell der Sonne Lichterflocken.
Und die gläub'gen Vöglein wallen,
Sonntaglich an Leib und Feder,
Zu des Buchbaums grünen Hallen,
Wo ein Ast ragt als Katheder.
Dompfaff Gimpel predigt dorten,
Der die Frau'n und Herrn begeistert,
Weil er klug mit Salbungsworten
Jene rührt und diese meistert.
Läßt nicht gut von schwarzem Sammet
Ihm das Soli-deo-käppchen?
Roth die Domherrnweste flammet,
Zierlich fällt das schwarze Schleppchen.
[242]
Seine engbestrumpften Beine
Weiß er anstandsvoll zu stellen,
Dem Asketeneifer feine
Weltmanieren zu gesellen.
»O ihr Sünder, unbußfertig,
Wandelnd auf des Irrfals Wegen,
Seid des Götterzorns gewärtig,
Der euch allwärts droht entgegen.
Meidet die Gewohnheitsünden
Kirschen, Hanfkorn, Weizenähren,
Laßt euch nicht von Lust entzünden
Zu Wachholders schnöden Beeren!
Denn Leimruthen, Netze, Kloben
Drohn euch dort als Fegefeuer,
Drin in Qual ihr werdet toben,
Und aus dem Befreiung theuer.
Wehe! Den verstockten Bösen
Gähnt die Hölle Vogelbauer,
Daraus nimmer ein Erlösen,
Drin der Pips und ew'ge Trauer!
Nun geht heim und unbethöret
Weiter am Wachholderhage;
Denkt der Predigt, bis ihr höret
Deren Ende heut acht Tage.«
[243]
Doch am nächsten Festesmorgen
Unbesetzt ragt der Katheder;
Wo der Pred'ger sich verborgen,
Sucht mit Angst und Neugier Jeder.
Am Wachholder düstre Reste!
An den Kloben sein Gefieder!
Ein Stück Mantel, ein Stück Weste!
Ach, kein Auge sah ihn wieder.
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