Das vierzehnte Kapitel.

[120] Simplex nach einem glückseligen Leben

Muß sich den tollen Kroaten ergeben.


Von dieser Zeit an besaß ich meines Herrn Gnade, Gunst und Liebe vollkömmlich, dessen ich mich wohl mit Wahrheit rühmen kann; nichts mangelte mir zu meinem besserm Glück, als daß ich an meinem Kalbskleid zu viel und an Jahren noch zu wenig hatte, wiewohl ich solches selbst nicht wußte. So wollte[120] mich der Pfarrer auch noch nicht witzig haben, weil ihn solches noch nicht Zeit und seinem Nutzen vorträglich zu sein bedunkte. Und demnach mein Herr sahe, daß ich Lust zur Musik hatte, ließ er mich solche lernen und verdingte mich zugleich einem vortrefflichen Lautenisten, dessen Kunst ich in Bälde ziemlich begriff und ihn um so viel übertraf, weil ich besser als er darein singen konnte. Also dienete ich meinem Herrn zur Lust, Kurzweile, Ergetzung und Verwunderung. Alle Offizierer erzeigten mir ihren geneigten Willen, die reicheste Bürger verehrten mich, und das Hausgesind neben den Soldaten wollten mir wohl, weil sie sahen, wie mir mein Herr gewogen war. Einer schenkte mir hier, der ander dort, dann sie wußten, daß Schalksnarren oft bei ihren Herren mehr vermügen als etwas Rechtschaffenes, und dahin hatten auch ihre Geschenke das Absehen, weil mir etliche darum gaben, daß ich sie nicht verfuchsschwänzen sollte, andere aber eben deswegen, daß ich ihrentwegen solches tun sollte, auf welche Weise ich ziemlich Geld zuwegen brachte, welches ich mehrenteils dem Pfarrer wieder zusteckte, weil ich noch nicht wußte, worzu es nutzete. Und gleichwie mich niemand scheel ansehen dörfte, als hatte ich auch von nirgendsher keine Anfechtung, Sorge oder Bekümmernüs. Alle meine Gedanken legte ich auf die Musik, und wie ich dem einen und dem andern seine Mängel artlich verweisen möchte. Daher wuchs ich auf wie ein Narr im Zwiebelland: der Hurnspiegel wurde mir glatt, und meine Leibskräfte nahmen handgreiflich zu; man sahe mir in Bälde an, daß ich mich nicht mehr im Wald mit Wasser, Eicheln, Buchen, Wurzeln und Kräutern mortifizierte, sondern daß mir bei guten Bißlein der rheinische Wein und das hanauische Doppelbier wohl zuschlug, welches in so elender Zeit vor eine große Gnade von Gott zu schätzen war; dann damals stund ganz Teutschland in völligen Kriegsflammen, Hunger und Pestilenz; und Hanau selbst war mit Feinden umlagert, welches alles mich im geringsten nicht kränken konnte. Nach aufgeschlagner Belägerung nahm ihm mein Herr vor, mich entweder dem Kardinal Richelieu oder Herzog Bernhard von Weimar zu schenken; dann ohn daß er hoffte, einen großen Dank mit mir zu verdienen, gab er auch vor, daß ihm schier unmüglich wäre, länger zu ertragen, weil ich ihm seiner verlornen Schwester Gestalt, deren ich je länger je ähnlicher würde, in so närrischem Habit täglich vor Augen stellete. Solches widerriet ihm der Pfarrer; dann er hielt davor, die Zeit wäre kommen, in welcher er ein Mirakul tun und mich wieder zu einem vernünftigen Menschen machen wollte, gab demnach dem Gubernator den Rat,[121] er sollte ein paar Kalbfelle bereiten und solche andern Knaben antun lassen, hernach eine dritte Person bestellen, die in Gestalt eines Arztes, Propheten oder Landfahrers mich und bemeldte zween Knaben mit seltsamen Zeremonien ausziehe, und vorwenden, daß er aus Tieren Menschen und aus Menschen Tiere machen könnte. Auf solche Weise könnte ich wohl wieder zurechtgebracht und mir ohn sonderliche große Mühe eingebildet werden, ich sei wie andere mehr, wieder zu einem Menschen worden. Als ihm der Gubernator solchen Vorschlag belieben ließe, kommunizierte mir der Pfarrer, was er mit meinem Herrn abgeredet hätte, und überredete mich leicht, daß ich meinen Willen darein gab. Aber das neidige Glück wollte mich so leichtlich aus meinem Narrenkleid nicht schliefen, noch mich das herrliche gute Leben länger genießen lassen. Dann indem als Gerber und Schneider mit den Kleidern umgiengen, die zu dieser Komödia gehörten, terminierte ich mit etlichen andern Knaben von der Festung auf dem Eis herum; da führte, ich weiß nicht wer, unversehens eine Partei Kroaten daher, die uns miteinander anpackten, auf etliche leere Baurenpferde satzten, die sie erst gestohlen hatten, und miteinander davonführten. Zwar stunden sie erstlich im Zweifel, ob sie mich mitnehmen wollten oder nicht, bis endlich einer auf Böhmisch sagte: Mih weme doho Blasna sebao, bowe deme ho gbabo Oberstwoi. Dem antwortete ein anderer: Prschis am bambo ano, mi ho nagonie possadeime, wan rosumi niemezki, won bude mit Kratock wille sebao. Also mußte ich zu Pferd und inwerden, daß einem ein einzig unglückliches Stündlein aller Wohlfahrt entsetzen und von allem Glück und Heil dermaßen entfernen kann, daß es einem sein Lebtag nachgehet.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 120-122.
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