Das neunzehnte Kapitel.

[132] Simplex wird wieder zum Narren erlesen,

Wie er auch war zuvor einer gewesen.


Ich fange meine Historie wieder an und versichere den Leser, daß ich auf dem Bauch liegen blieb, bis es allerdings heller Tag war, weil ich nicht das Herz hatte, mich aufzurichten; zudem zweifelte ich noch, ob mir die erzählte Sachen geträumt hatten oder nicht. Und obzwar ich in ziemlichen Ängsten stak, so war ich doch so kühn zu entschlafen, weil ich gedachte, ich könnte an keinem ärgern Ort als in einem wilden Wald liegen, in welchem ich die meiste Zeit, sint ich von meinem Knän war, zubracht und dahero derselben ziemlich gewohnt hatte. Ungefähr um 9 Uhr vormittag war es, als etliche Furagierer kamen, die mich aufweckten; da sahe ich erst, daß ich mitten im freien Feld war. Diese nahmen mich mit ihnen zu etlichen Windmühlen, und nachdem sie ihre Früchte allda gemahlen hatten, folgends[132] in das Läger vor Magdeburg, allda ich einem Obristen zu Fuß zuteil ward. Der fragte mich, wo ich herkäme und was vor einem Herrn ich zugehörig wäre? Ich erzählte alles haarklein, und weil ich die Kroaten nicht nennen konnte, beschrieb ich ihre Kleidungen und gab Gleichnussen von ihrer Sprache, auch daß ich von denselben Leuten geloffen wäre; von meinen Dukaten schwieg ich still, und was ich von meiner Luftfahrt und dem Hexentanz erzählete, das hielt man vor Einfälle und Narrenteidungen, vornehmlich weil ich auch sonst in meinem Diskurs das Tausende ins Hunderte warf. Indessen sammlete sich ein Haufen Volks um mich her (dann ein Narr machet 1000 Narren): unter denselben war einer, so das vorige Jahr in Hanau gefangen gewesen und allda Dienste angenommen hatte, folgends aber wieder unter die Kaiserlichen kommen war. Dieser kannte mich und sagte gleich: »Hoho, dies ist des Kommandanten Kalb zu Hanau!« Der Obrist fragte ihn meinetwegen mehrere Umstände; der Kerl wußte aber nichts weiters von mir, als daß ich wohl auf der Laute schlagen könnte, item daß mich die Kroaten von des Obrist Corpes Regiment zu Hanau vor der Festung hinweggenommen hätten, sodann, daß mich besagter Kommandant ungern verloren, weil ich gar ein artlicher Narr wäre. Hierauf schickte die Obristin zu einer andern Obristin, die ziemlich wohl auf der Laute konnte und deswegen stetigs eine nachführete; die ließe sie um ihre Laute bitten. Solche kam und ward mir präsentieret mit Befelch, ich sollte eins hören lassen. Aber meine Meinung war, man sollte mir zuvor etwas zu essen geben, weil ein leerer und dicker Bauch, wie die Laut einen hatte, nicht wohl zusammenstimmen würden. Solches geschahe, und demnach ich mich ziemlich bekröpft und zugleich einen guten Trunk Zerbster Bier verschlucket hatte, ließ ich beides, mit der Lauten und meiner Stimme hören, was ich konnte; darneben redete ich allerlei untereinander, wie mirs einfiel, so daß ich mit geringer Mühe die Leute dahinbrachte, daß sie glaubten, ich wäre von derjenigen Qualität, die meine possierliche Kalbskleidung vorstellete. Der Obriste fragte mich, wo ich weiters hin wollte, und da ich antwortete, daß es mir gleich gelte, wurden wir des Handels eins, daß ich bei ihm bleiben und sein Hofjunker sein sollte. Er wollte auch wissen, wo meine Eselsohren hinkommen wären. »Ja,« sagte ich, »wann du wüßtest, wo sie wären, so würden sie dir nicht übel anstehen.« Aber ich konnte wohl verschweigen, was sie vermochten, weil all mein Reichtum darin lagen.

Ich ward in kurzer Zeit bei den meisten hohen Offizieren,[133] sowohl im kursächsischen als kaiserlichen Läger bekannt, sonderlich bei dem Frauenzimmer, welches meine Kappe, Ärmel und abgestutzte Ohren überall mit seidenen Banden zierte von allerhand Farben, so daß ich schier glaube, daß etliche Stutzer die jetzige Mode darvon abgesehen. Was mir aber von den Offizierern an Geld geschenkt ward, das teilte ich wieder mildiglich mit; dann ich verspendierte alles bei einem Heller, indem ichs mit guten Gesellen in Hamburger und Zerbster Bier, welche Gattungen mir trefflich wohl zuschlugen, versoffe; unangesehen ich an allen Orten, wo ich nur hinkam, genug zu schmarotzen hatte.

Als mein Obrister aber eine eigne Laute vor mich überkam, dann er gedachte ewig an mir zu haben, da dorft ich nicht mehr in den beiden Lägern so hin und wieder schwärmen, sondern er stellete mir einen Hofmeister dar, der mich beobachten und dem ich hingegen gehorsamen sollte. Dieser war ein Mann nach meinem Herzen, dann er war still, verständig, wohlgelehrt, von guter, aber nicht überflüssiger Konversation, und was das größte gewesen, überaus gottsförchtig, wohlbelesen und voll allerhand Wissenschaften und Künsten. Bei ihm mußte ich des Nachts in seiner Zelten schlafen, und bei Tag dorfte ich ihm auch nicht aus den Augen. Er war eines vornehmen Fürsten Rat und Beamter, zumal auch sehr reich gewesen; weil er aber von den Schwedischen bis in Grund ruinieret worden, zumaln auch sein Weib mit Tod abgangen und sein einziger Sohn Armut halber nicht mehr studieren konnte, sondern unter der kursächsischen Armee vor einen Musterschreiber dienete, hielt er sich bei diesem Obristen auf und ließ sich vor einen Stallmeister gebrauchen, um zu verharren, bis die gefährliche Kriegsläufe am Elbstrom sich änderten und ihm alsdann die Sonne seines vorigen Glücks wieder scheinen möchte.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 132-134.
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