Das zwanzigste Kapitel.

[134] Simplex geht mit seim Hofmeister spazieren,

Siehet Leut ihr Geld mit Würfeln verlieren.


Weil mein Hofmeister mehr alt als jung war, also konnte er auch die ganze Nacht nicht durchgehend schlafen; solches war eine Ursache, daß er mir in der ersten Woche hinter die Briefe kam und ausdrücklich vernahm, daß ich kein solcher Narr war, wie ich mich stellete, wie er dann zuvor auch etwas gemerkt und von mir aus meinem Angesicht ein anders geurteilet hatte, weil er sich wohl auf die Physiognomiam verstund. Ich[134] erwachte einsmals um Mitternacht und machte über mein eigen Leben und seltsame Begegnussen allerlei Gedanken, stund auch auf und erzählete Gott dem Allmächtigen danksagungsweise alle Guttaten, die er mir mein Lebtag erwiesen, und alle Gefahren, aus welchen er mich errettet hatte, befahle ihme auch ferner mein Tun und Lassen mit inbrünstiger Andacht und bat nicht allein um Vergebung meiner Sünden, die ich in meinem Narrenstand begienge, sondern auch, daß mich Gott aus meinem Narrenkleid erretten und unter andere vernünftige Menschen rechnen zu lassen gnädiglich belieben wolle; legte mich hernach wieder nieder mit schweren Seufzen und schlief vollends aus.

Mein Hofmeister hörete alles, tät aber, als wann er hart schliefe; und solches geschahe etliche Nächte nacheinander, also daß er sich gnugsam versichert hielt, daß ich mehr Verstand hätte als mancher Betagter, der sich viel einbilde; doch redete er nichts mit mir im Zelt hiervon, weil sie zu dünne Wände hätte und er gewisser Ursachen halber nicht haben wollte, daß noch zurzeit, und eh er meiner Unschuld versichert wäre, jemand anders dieses Geheimnus wüßte. Einsmals gieng ich hinter das Läger spazieren, welches er gern geschehen ließ, damit er Ursache hätte, mich zu suchen, und also die Gelegenheit bekäme, allein mit mir zu reden. Er fand mich nach Wunsch an einem einsamen Ort, da ich meinen Gedanken Audienz gab, und sagte: »Lieber guter Freund! weil ich dein Bestes zu suchen unterstehe, erfreue ich mich, daß ich hier allein mit dir reden kann. Ich weiß, daß du kein Narr bist, wie du dich stellest, zumalen auch in diesem elenden und verächtlichen Stand nicht zu leben begehrest. Wann dir nun deine Wohlfahrt lieb ist und du von Herzen wünschest, was du alle Nacht von Gott bittest, auch zu mir als einem ehrlichen Mann dein Vertrauen setzen willst, so kannst du mir deiner Sachen Vewandtnus erzählen; so will ich hingegen, wo müglich, mit Rat und Tat bedacht sein, wie dir etwan zu helfen sein möchte, damit du aus deinem Narrenkleid kommest.«

Hierauf fiel ich ihm um den Hals und erzeigte mich vor übriger Freude nicht anders, als wann er ein Engel oder wenigst Prophet gewesen wäre, mich von meiner Narrnkappe zu erlösen. Und nachdem wir auf die Erde gesessen, erzählete ich ihm mein ganzes Leben; er beschauete meine Hände und verwunderte sich beides, über die verwichene und künftige seltsame Zufälle, wollte mir aber durchaus nicht raten, daß ich in Bälde mein Narrenkleid ablegen sollte, weil er, wie er sagte, vermittelst der Chiromantia sahe, daß mir mein Fatum eine Gefängnus androhe, die Leib- und Lebensgefahr mit sich brächte. Ich bedankte[135] mich seiner guten Neigung und mitgeteilten Rats und bat Gott, daß er ihm seine Treuherzigkeit belohnen, ihn selber aber, daß er (weil ich von aller Welt verlassen wäre) mein getreuer Freund und Vatter sein und bleiben wollte.

Demnach stunden wir auf und kamen auf den Spielplatz, da man mit Würfeln turnieret und alle Schwüre mit hunderttausend mal tausend Galleen, Rennschifflein, Tonnen und Stadtgräben voll etc. herausfluchte. Der Platz war ungefähr so groß als der Alte Markt zu Köln, überall mit Mänteln überstreut und mit Tischen bestellt, die alle mit Spielern umgeben waren. Jede Gesellschaft hatte drei viereckichte Schelmenbeiner, denen sie ihr Glück vertrauten, weil sie ihr Geld teilen und solches dem einen geben, dem andern aber nehmen mußten. So hatte auch jeder Mantel oder Tisch einen Schunderer (Scholderer wollte ich sagen und hätte doch schier Schinder gesagt). Dieser Amt war, daß sie Richter sein und zusehen sollten, daß keinem unrecht geschehe; sie liehen auch Mäntel, Tische und Würfel her und wußten deswegen ihr Gebühr so wohl vom Gewinn einzunehmen, daß sie gewöhnlich das meiste Geld erschnappten; doch faselt es nicht, dann sie verspieltens gemeiniglich wieder; oder wanns gar wohl angelegt ward, so bekams der Marketender oder der Feldscherer, weil ihnen die Köpfe oft gewaltig geflickt wurden.

An diesen närrischen Leuten sahe man sein blaues Wunder, weil sie alle zu gewinnen vermeineten, welches doch unmüglich, sie hätten dann aus einer fremden Tasche gesetzt, und obzwar sie alle diese Hoffnung hatten, so hieß es doch: Viel Köpfe, viel Sinne, weil sich jeder Kopf nach seinem Glück sinnete; dann etliche trafen, etliche fehlten; etliche gewannen, etliche verspielten. Derowegen auch etliche fluchten, etliche donnerten, etliche betrogen, und andere wurden wieder über den Tölpel geworfen. Dahero lachten die Gewinner, und die Verspieler bissen die Zähne aufeinander; teils verkauften Kleider und was sie sonst liebhatten, andere aber gewannen ihnen das Geld wieder ab; etliche begehrten redliche Würfel, andere hin gegen wünschten falsche auf den Platz und führten solche unvermerkt ein, die aber andere wieder hinwegwurfen, zerschlugen und mit Zähnen zerbissen, und den Scholderern die Mäntel zerrissen. Unter den falschen Würfeln befanden sich Niederländer, welche man schleifend hineinrollen mußte; diese hatten so spitzige Rucken, darauf sie die Fünfer und Sechser trugen, als wie die magere Esel, darauf man die Soldaten setzt. Andere waren oberländisch; denselben mußte man die bayrische Höhe geben, wann man treffen wollte. Etliche waren von Hirschhorn, leicht oben und schwer unten[136] gemacht; andere waren mit Quecksilber oder Blei, und aber andere mit zerschnittenen Haaren, Schwämmen, Spreu und Kohlen gefüttert; etliche hatten spitzige Ecken, an andern waren solche gar hinweggeschliffen; teils waren lange Kolben und teils sahen aus wie breite Schildkrotten. Und alle diese Gattungen waren auf nichts anders als auf Betrug verfertigt; sie taten dasjenige, worzu sie gemacht waren, man mochte sie gleich wippen oder sanft schleichen lassen; da half kein Knüpfens, geschweige jetzt deren, die entweder zween Fünfer oder zween Sechser, und im Gegenteil entweder zwei Eß oder zwei Dauß hatten. Mit diesen Schelmenbeinern zwackten, laureten und stahlen sie einander ihr Geld ab, welches sie vielleicht auch geraubt oder wenigst mit Leib- und Lebensgefahr oder sonst saurer Mühe und Arbeit erobert hatten.

Als ich nun so stund und den Spielplatz samt den Spielern in ihrer Torheit betrachtete, sagte mein Hofmeister, wie mir das Wesen gefalle. Ich antwortete: »Daß man so greulich Gott lästert, gefällt mir nicht; im übrigen aber lasse ichs in seinem Wert und Unwert beruhen als eine Sache, die mir unbekannt ist und auf welche ich mich noch nichts verstehe.« Hierauf sagte mein Hofmeister ferner: »So wisse, daß dieses der allerärgste und abscheulichste Ort im ganzen Läger ist; dann hier suchet man eines andern Geld und verlieret das seinige darüber. Wann einer nur einen Fuß hieher setzt in Meinung zu spielen, so hat er das zehende Gebot schon übertretten, welches will: ›Du sollt deines Nächsten Gut nicht begehren!‹ Spielest du und gewinnest, sonderlich durch Betrug und falsche Würfel, so übertrittest du das siebend und achte Gebot. Ja, es kann kommen, daß du auch zu einem Mörder an demjenigen wirst, dem du sein Geld abgewonnen hast, wann nämlich dessen Verlust so groß ist, daß er darüber in Armut, in die äußerste Not und Desperation oder sonst in andere abscheuliche Laster gerät, davor die Ausrede nichts hilft, wann du sagest: ›Ich habe das Meinige darangesetzt und redlich gewonnen‹; dann du Schalk bist auf den Spielplatz gangen der Meinung, mit eines andern Schaden reich zu werden. Verspielest du dann, so ist es mit der Buße darum nicht ausgericht, daß du des Deinigen entbehren mußt, sondern du hast es, wie der reiche Mann, bei Gott schwerlich zu verantworten, daß du dasjenige so unnütz verschwendet, welches er dir zu dein und der Deinigen Lebensaufenthalt verliehen gehabt! Wer sich auf den Spielplatz begibt, zu spielen, derselbe begibt sich in eine Gefahr, darin er nicht allein sein Geld, sondern auch sein Leib, Leben, ja, was das allerschröcklichste ist, sogar seiner Seelen[137] Seligkeit verlieren kann. Ich sage dir dieses zur Nachricht, liebster Simplici, weil du vorgibst, das Spielen sei dir unbekannt, damit du dich all dein Leben lang davor hüten sollest.«

Ich antwortete: »Liebster Herr! wann dann das Spielen ein so schröcklich und gefährlich Ding ist, warum lassens dann die Vorgesetzte zu?« Mein Hofmeister antwortete mir: »Ich will nicht sagen darum, dieweil teils Offizierer selbst mitmachen; sondern es geschiehet deswegen, weil es die Soldaten nicht mehr lassen wollen, ja auch nicht lassen können; dann wer sich dem Spielen einmal ergeben, oder welchen die Gewohnheit oder vielmehr der Spielteufel eingenommen, der wird nach und nach (er gewinne oder verspiele) so verpicht darauf, daß ers weniger lassen kann als den natürlichen Schlaf; wie man da siehet, daß etliche die ganze Nacht durch und durch raßlen und vor das beste Essen und Trinken hineinspielen, und sollten sie auch ohn Hemd davongehen. Das Spielen ist bereits zu unterschiedlichen Malen bei Leib- und Lebensstrafe verboten und aus Befelch der Generalität durch Rumormeister, Profosen, Henker und Steckenknechte mit gewaffneter Hand offentlich und mit Gewalt verwehret worden. Aber das half alles nicht; dann die Spieler kamen anderwärts in heimlichen Winkeln und hinter den Hecken zusammen, gewannen einander das Geld ab, entzweiten sich und brachen einander die Hälse darüber, also daß man solcher Mord- und Totschläge halber, und vornehmlich auch, weil mancher sein Gewehr und Pferd, ja sogar sein weniges Kommißbrot verspielete, das Spielen nicht allein wieder offentlich erlauben, sondern sogar diesen eigenen Platz darzu widmen mußte, damit die Hauptwacht bei der Hand wäre, die allem Unheil, so sich etwan ereignen möchte, vorkäme, welche doch nicht allezeit verhüten kann, daß nicht einer oder der ander auf dem Platz bleibet. Und weil das Spielen des leidigen Teufels eigne Invention ist und ihm nicht wenig einträget, also hat er auch absonderliche Spielteufel geordnet und in der Welt herumschwärmen, die sonst nichts zu tun haben, als die Menschen zum Spielen anzureizen. Diesen ergeben sich unterschiedliche leichtfertige Gesellen durch gewisse Pakten und Bündnus, daß er sie gewinnen lasse; und wird man doch unter zehentausend Spielern selten einen reichen finden, sondern sie sind gewöhnlich im Gegenteil arm und dürftig, weil ihr Gewinn leicht geschätzet und dahero gleich entweder wieder verspielet oder sonst liederlich verschwendet wird. Hiervon ist das allzu wahre, aber sehr erbärmliche Sprichwort entsprungen, der Teufel verlasse keinen Spieler, er lasse sie aber blutarm werden; dann er[138] raubet ihnen Gut, Mut und Ehre, und verläßt sie alsdann nicht mehr, bis er sie endlich auch gar (Gottes unendliche Barmherzigkeit komme ihm dann zuvor) um ihrer Seelen Seligkeit bringt. Ist aber ein Spieler von Natur eines so lustigen Humors und so großmütig, daß er durch kein Unglück oder Verlust zur Melancholei, Grillen, Schwermütigkeit, Unmut und andere hieraus entspringende schädliche Laster gebracht werden mag, so läßt ihn der arglistige böse Feind deswegen tapfer gewinnen, damit er ihn durch Verschwendung, Hoffart, Fressen, Saufen, Huren und Buben endlich ins Netz bringe.«

Ich verkreuzigte und versegnete mich, daß man unter einem christlichen Heer solche Sachen üben ließe, die der Teufel erfunden sollte haben, sonderlich weil augenscheinlich und handgreiflich soviel zeitliche und ewige Schäden und Nachteile daraus folgeten. Aber mein Hofmeister sagte, das sei noch nichts, was er mir erzählt hätte; wer alles Unheil beschreiben wollte, das aus dem Spielen entstünde, der nähme ihm eine unmügliche Sache vor, weil man sagt, der Wurf, wann er aus der Hand gangen, sei des Teufels; so sollte ich mirs nicht anders einbilden, als daß mit jedem Würfel (wann er aus des Spielers Hand auf dem Mantel oder Tisch daherrolle) ein kleines Teufelchen daherlaufe, welches ihn regiere und Augen geben lasse, wie es seiner Prinzipalen Interesse erfordere. Dabei sollte ich bedenken, daß sich der Teufel freilich nicht umsonst des Spielens so eiferig annehme, sondern ohn Zweifel seinen trefflichen Gewinn darbei zu schöpfen wisse. »Dabei merke ferner, daß, gleichwie neben dem Spielplatz auch einzige Schacherer und Juden zu stehen pflegen, die von den Spielern wohlfeil aufkaufen, was sie etwan an Ringen, Kleidern oder Kleinodien gewonnen, oder, noch zu verspielen, versilbern wollen, daß eben also auch allhier die Teufel aufpassen, damit sie bei den abgefertigten Spielern, sie haben gleich gewonnen oder verloren, andere seelenverderbliche Gedanken erregen und hegen. Bei den Gewinnern zwar bauet er schreckliche Schlösser in die Luft, bei denen aber, so verspielt haben, deren Gemüt ohndas ganz verwirrt und desto bequemer ist, seine schädliche Eingebungen anzunehmen, setzet er ohn Zweifel lauter solche Gedanken und Anschläge, die auf nichts anders als das endliche Verderben zielen. Ich versichere dich, Simplici! daß ich willens bin, von dieser Materi ein ganz Buch zu schreiben, sobald ich wieder bei den Meinigen zu Ruhe komme: da will ich den Verlust der edlen Zeit beschreiben, die man mit dem Spielen unnütz hinbringet; nicht weniger die grausamen Flüche, mit welchen man Gott bei dem[139] Spielen lästert. Ich will die Scheltwort erzählen, mit welchen man einander antastet, und viel schröckliche Exempel und Historien mit einbringen, die sich bei, mit und in dem Spielen zutragen; dabei ich dann die Duell und Totschläge, so Spielens wegen entstanden, nicht vergessen will. Ja, ich will den Geiz, den Zorn, den Neid, den Eifer, die Falschheit, den Betrug, die Vortelsucht, den Diebstahl und mit einem Wort alle unsinnige Torheiten beides, der Würfel- und Kartenspieler, mit ihren lebendigen Farben dermaßen abmalen und vor Augen stellen, daß diejenige, die solches Buch nur einmal lesen, ein solch Abscheuen vor dem Spielen gewinnen sollen, als wann sie Säumilch (welche man den Spielsüchtigen wider solche ihre Krankheit unwissend eingibt) gesoffen hätten, und also damit der ganzen Christenheit dartun, daß der liebe Gott von einer einzigen Compagnia Spieler mehr gelästert als sonst von einer ganzen Armee bedienet werde.« Ich lobte seinen Vorsatz und wünschte ihm Gelegenheit, daß er solchen ins Werk setzen möchte.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 134-140.
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