Das sechsundzwanzigste Kapitel.

[154] Simplex wird als ein Verräter gefangen,

Muß als ein Zaubrer in Fesselen prangen.


Als es nun Tag worden, gab mich mein Herr den Reuterjungen preis, eben als beide Armeen völlig aufbrachen; das war nun ein Schwarm von Lumpengesind, und dahero die Hatze desto größer und erschrecklicher, die ich auszustehen hatte. Sie eileten mit mir einem Busche zu, ihre viehische Begierden desto besser zu sättigen, wie dann die Teufelskinder im Brauch haben, wann ihnen ein Weibsbild dergestalt übergeben wird. So folgeten ihnen auch sonst viel Bursche nach, die dem elenden Spaß zusahen, unter welchen mein Hans auch war. Dieser ließ mich nicht aus den Augen, und als er sahe, daß es mir gelten sollte, wollte er mich mit Gewalt erretten, und sollte es seinen Kopf kosten. Er bekam Beiständer, weil er sagte, daß ich seine versprochne Braut wäre. Diese trugen Mitleiden mit mir und ihm und begehrten, ihm Hülfe zu leisten. Solches war aber den Jungen, die besser Recht zu mir zu haben vermeineten und eine so gute Beute nicht aus den Händen lassen wollten, allerdings ungelegen; derowegen gedachten sie, Gewalt mit Gewalt abzutreiben. Da fieng man an, Stöße auszuteilen von beiden Seiten her; der Zulauf und der Lärmen ward je länger je größer, also daß es schier einem Turnier gleichsahe, in welchem jeder um einer schönen Dame willen das Beste tut. Ihr schröcklich Geschrei lockte den Rumormeister herzu, welcher eben ankam, als sie mich hin und her zerreten, mir die Kleider vom Leib gerissen und gesehen hatten, daß ich kein Weibsbild war. Seine Gegenwart machte alles stockstill, weil er viel mehr geförchtet ward als der Teufel selbst; auch verstoben alle diejenige, die wider einander Hand ausgeleget hatten; er informierte sich der Sache kurz, und indem ich hoffte, er würde mich erretten aus allen meinen Nöten, nahm er mich dargegen gefangen, weil es ungewöhnliche und fast argwöhnische Sache war, daß sich ein Mannsbild bei einer Armee in Weiberkleidern sollte finden lassen. Dergestalt wanderten er und seine Bursch mit mir neben den Regimentern daher (welche alle im Feld stunden und[154] marschieren wollten), der Meinung, mich dem Generalauditor oder Generalgewaltiger zu überliefern. Da wir aber bei meines Obristen Regiment vorbeiwollten, wurde ich erkannt, angesprochen, schlechtlich durch meinen Obristen bekleidet und unserm alten Herrn Profosen gefänglich überliefert, welcher mich an Händen und Füßen an die Eisen schloß.

Es kam mich gewaltig sauer an, so in Ketten und Banden zu marschieren; so hätte mich auch der Schmalhans trefflich gequälet, wann mir der Secretarius Olivier nicht spendiert hätte; dann ich dorfte meine Dukaten, die ich noch bisher davonbracht hatte, nicht an des Tages Liecht kommen lassen, ich hätte dann solche miteinander verlieren und mich noch darzu in größere Gefahr stecken wollen. Gedachter Olivier kommunizierte mir noch denselbigen Abend, warum ich so hart gefangen gehalten würde, und unser Regimentsschultheiß bekam gleich Befelch, mich zu examinieren, damit meine Aussage dem Generalauditor desto ehender zugestellet werden möchte; dann man hielt mich nicht allein vor einen Kundschafter und Spionen, sondern auch gar vor einen, der hexen könnte, dieweil man kurz hernach, als ich von meinem Obristen ausgetretten, einige Zauberinnen verbrannt, die bekannt hatten und darauf gestorben wären, daß sie mich auch bei ihrer Generalzusammenkunft gesehen hätten, da sie beieinander gewesen, die Elbe auszutrücknen, damit Magdeburg desto eher eingenommen werden könnte. Die Punkten, darauf ich Antwort geben sollte, waren diese:

Erstlich, ob ich nicht studiert hätte oder aufs wenigste Schreibens und Lesens erfahren wäre.

Zweitens, warum ich mich in Gestalt eines Narrn dem Läger vor Magdeburg genähert, da ich doch in des Rittmeisters Diensten sowohl als jetzt witzig genug sei.

Drittens, aus was Ursachen ich mich in Weiberkleider verstellet.

Viertens, ob ich mich nicht auch neben andern Unholden auf dem Hexentanz befunden.

Fünftens, wo mein Vatterland und wer meine Eltern gewesen sein.

Sechstens, wo ich mich aufgehalten, ehe ich in das Läger vor Magdeburg kommen.

Siebendens, wo und zu was End ich die Weiberarbeit, als wäschen, backen, kochen etc. gelernet; item das Lautenschlagen.

Hierauf wollte ich mein ganzes Leben erzählen, damit die Umstände meiner seltsamen Begegnüssen alles recht erläutern und diese Fragen mit der Wahrheit fein verständiglich unterscheiden könnten. Der Regimentsschultheiß war aber nicht so[155] kurios, sondern vom Marschieren müd und verdrossen; derowegen begehrte er nur eine kurze runde Antwort auf das, was gefragt würde. Demnach antwortete ich folgendergestalt, daraus man nichts Eigentliches und Gründliches fassen konnte, und zwar

auf die erste Frage: Ich hätte zwar nicht studiert, könnte aber doch Teutsch lesen und schreiben;

auf die zweite: Weil ich kein ander Kleid gehabt, hätte ich wohl im Narrnkleid aufziehen müssen;

auf die dritte: Weil ich meines Narrnkleids müd gewesen und keine Mannskleider haben können;

auf die vierte: Ja, ich sei aber wider meinen Willen hingefahren, könnte aber gleichwohl nicht zaubern;

auf die fünfte: Mein Vatterland sei der Spessert und meine Eltern Bauersleute;

auf die sechste: Zu Hanau bei dem Gubernator und bei einem Kroatenobrist, Corpes genannt;

auf die siebende: Bei den Kroaten habe ich wäschen, backen und kochen wider meinen Willen müssen lernen, zu Hanau aber das Lautenschlagen, weil ich Lust darzu hatte.

Wie diese meine Aussage geschrieben war, sagte er: »Wie kannst du leugnen und sagen, daß du nicht studiert habest, da du doch, als man dich noch vor einen Narrn hielt, einem Priester unter währender Messe auf die Worte Domine, non sum dignus auch in Latein geantwortet, er dörfte solches nicht sagen, man wisse es zuvor wohl.« – »Herr!« antwortete ich, »das haben mich damals andere Leute gelernet und mich überredet, es sei ein Gebet, das man bei der Messe sprechen müßte, wann unser Kaplan den Gottesdienst verrichte.« – »Ja, ja,« sagte der Regimentsschultheiß, »ich sehe dich vor den Rechten an, dem man die Zunge mit der Folter lösen muß.« Ich gedachte: »So helfe Gott, wanns deinem närrischen Kopf nach gehet.«

Am andern Morgen früh kam Befehl vom Generalauditor an unsern Profos, daß er mich wohl in acht nehmen sollte, dann er war gesinnt, sobald die Armeen still lägen, mich selbst zu examinieren, aus welchen Fall ich ohn Zweifel an die Folter gemüßt, wann es Gott nicht anderst gefügt hätte. In dieser Gefangenschaft dachte ich stetigs an meinen Pfarrer zu Hanau und an den verstorbenen alten Herzbruder, weil sie beide wahrgesaget, wie mirs ergehen würde, wann ich wieder aus meinem Narrnkleid käme. Ich betrachtete auch, wie schwer und unmöglich es hergehe, wann ein armes Mägdlein seine Jungferschaft im Krieg unverletzt durchbringen und erhalten sollte.[156]

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 154-157.
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