Das siebenundzwanzigste Kapitel.

[157] Simplex bei Wittstock selbst sieht in der Schlacht,

Wie es Herzbruder dem Profosen macht.


Denselben Abend, als wir uns kaum gelägert hatten, ward ich zum Generalauditor geführet; der hatte meine Aussage samt einem Schreibzeug vor sich und fieng an, mich besser zu examinieren; ich hingegen erzählte meine Händel, wie sie an sich selbst waren. Es ward mir aber nicht geglaubt, und konnte der Generalauditor nicht wissen, ob er einen Narrn oder ausgestochenen Böswicht vor sich hatte, weil Frage und Antwort so artlich fiel und der Handel an sich selbst seltsam war. Er hieß mich eine Feder nehmen und schreiben, zu sehen, was ich könnte und ob etwan meine Handschrift bekannt oder doch so beschaffen wäre, daß man etwas daraus abnehmen möchte. Ich ergriff Feder und Papier so geschicklich als einer, der sich täglich damit übte, und fragte, was ich schreiben sollte. Der Generalauditor (welcher vielleicht unwillig war, weil sich mein Examen tief in die Nacht hinein verzog,) antwortete: »Hei! schreib: Deine Mutter, die Hure!« Ich satzte ihm diese Wort dahin, und da sie gelesen wurden, machten sie meinen Handel nur desto schlimmer; dann der Generalauditor sagte, jetzt glaube er erst, daß ich ein rechter Vogel sei. Er fragte den Profos, ob man mich visitiert und ob man nichts Argwöhnliches von Schriften bei mir funden hätte. Der Profos antwortete: »Nein! was sollte man an ihm visitieren, weil ihn der Rumormeister gleichsam nackend zu uns gebracht!« Aber ach! das half nichts; der Profos mußte mich in Gegenwart ihrer aller besuchen, und indem er solches mit Fleiß verrichtet, findet er, o Unglück! meine beide Eselsohren mit den Dukaten um meine Arme herumgemacht. Da hieß es: »Was dörfen wir ferner Zeugnus? Dieser Verräter hat ohn Zweifel ein groß Schelmstück zu verrichten auf sich genommen; dann warum sollte sich sonst ein Gescheider in ein Narrenkleid stecken oder ein Mannsbild in ein Weiberkleid verstellen? Warum vermeint man wohl, zu was End er sonst mit einem so ansehnlichen Stück Geld versehen sei, als etwas Großes zu verrichten? Saget er nicht selbst, er habe bei dem Gubernator zu Hanau, den allerverschlagnesten Soldaten in der Welt, lernen auf der Lauten schlagen? Was vermeinet ihr Herren wohl, was er sonst bei denselben Spitzköpfen vor listige Praktiken ins Werk zu setzen begriffen habe? Der nächste Weg ist, daß man morgen mit ihm auf die Folter und, wie ers wird verdient haben, dem Feuer zueile, maßen er[157] sich ohn das bei den Zauberern befunden und nichts Bessers wert ist.« Wie mir damals zumut gewesen, kann sich jeder leicht einbilden; ich wußte mich zwar unschuldig und hatte ein starkes Vertrauen zu Gott; aber dannoch sahe ich meine Gefahr und bejammerte den Verlust meiner schönen Dukaten, welche der Generalauditor zu sich steckte.

Aber ehe man diesen strengen Prozeß mit mir ins Werk satzte, gerieten die Banierische den Unserigen in die Haare; gleich anfänglich kämpften die Armeen um den Vorteil und gleich darauf um das schwere Geschütz, dessen die Unserige stracks verlustigt wurden. Unser sauberer und so schöne Hund machende Profos hielt zwar ziemlich weit mit seinen Leuten und den Gefangenen hinter der Batallia; gleichwohl aber waren wir unsrer Brigade so nahe, daß wir jeden von hinterwärts an den Kleidern erkennen konnten; und als eine schwedische Eskadron auf die unserige traf, waren wir sowohl als die Fechtende in Todsgefahr; dann in einem Augenblick flog die Luft so häufig voller singenden Kugeln über uns her, daß es das Ansehen hatte, als ob die Salve uns zu Gefallen wäre gegeben worden. Davon duckten sich die Forchtsame, als ob sie sich in sich selbst hätten verbergen wollen; diejenige aber, so Courage hatten und mehr bei dergleichen Scherz gewesen, ließen solche unverblichen über sich hinstreichen. Im Treffen selbst aber suchte ein jeder seinem Tod mit Niedermachung des Nächsten, der ihm aufstieß, vorzukommen. Das greuliche Schießen, das Gekläpper der Harnische, das Krachen der Piken und das Geschrei beides, der Verwundten und Angreifenden, machten neben den Trompeten, Trommeln und Pfeifen eine erschreckliche Musik! Da sahe man nichts als einen dicken Rauch und Staub, welcher schien, als wollte er die Abscheulichkeit der Verwundten und Toden bedecken. In demselbigen hörete man ein jämmerliches Wehklagen der Sterbenden und ein lustiges Geschrei derjenigen, die noch voller Mut staken; die Pferde selbst hatten das Ansehen, als wann sie zu Verteidigung ihrer Herren je länger je frischer würden, so hitzig erzeigten sie sich in dieser Schuldigkeit, welche sie zu leisten genötiget waren. Deren sahe man etliche unter ihren Herrn tot darniederfallen, voller Wunden, welche sie unverschuldterweise zu Vergeltung ihrer getreuen Dienste empfangen hatten; andere fielen um gleicher Ursache willen auf ihre Reuter und hatten also in ihrem Tod die Ehre, daß sie von denjenigen getragen wurden, welche sie in währendem Leben tragen müssen. Wiederum andere, nachdem sie ihrer herzhaften Last, die sie kommandiert hatte, entladen worden,[158] verließen die Menschen in ihrer Wut und Raserei, rissen aus und suchten im weiten Feld ihre erste Freiheit. Die Erde, deren Gewohnheit ist, die Toten zu bedecken, war damals an selbigem Ort selbst mit Toten überstreut, welche auf unterschiedliche Manier gezeichnet waren. Köpf lagen dorten, welche ihre natürliche Herrn verloren hatten, und hingegen Leiber, die ihrer Köpfe mangleten; etliche hatten grausam- und jämmerlicherweise das Ingeweid heraus, und andern war der Kopf zerschmettert und das Hirn zerspritzt. Da sahe man, wie die entseelte Leiber ihres eigenen Geblüts beraubet und hingegen die Lebendige mit frembdem Blut beflossen waren. Da lagen abgeschossene Arme, an welchen sich die Finger noch regten, gleichsam als ob sie wieder mit in das Gedräng wollten; hingegen rissen Kerles aus, die noch keinen Tropfen Bluts vergossen hatten. Dort lagen abgelöste Schenkel, welche, obwohl sie der Bürde ihres Körpers entladen, dannoch viel schwerer waren worden, als sie zuvor gewesen. Da sahe man zerstümmelte Soldaten um Beförderung ihres Tods bitten, ohnangesehen sie dem gewissen Tod nahe genug waren; hingegen fanden sich andere, die um Quartier und Verschonung ihres Lebens baten. Summa Summarum, das war nichts anders als ein elender, jämmerlicher Anblick! Die schwedische Sieger trieben unsere Überwundene von der Stelle, darauf sie so unglücklich gefochten, nachdem sie solche zuvor zertrennt hatten, sie mit ihrer schnellen Verfolgung vollends zerstreuende, bei welcher Bewandnus mein Herr Profos mit seinen Gefangenen auch nach der Flucht griff, wiewohl wir mit einziger Gegenwehr um die Überwinder keine Feindseligkeit verdienet hatten; und indem der Profos uns mit dem Tod bedrohete und also nötigte, samt ihm durchzugehen, jagte der junge Herzbruder daher mit noch fünf Pferden und grüßte ihn mit einer Pistoln: »Sehe da, du alter Hund!« sagte er, »ist es noch Zeit, junge Hündlein zu machen? Ich will dir deine Mühe bezahlen!« Aber der Schuß beschädigte den Profos so wenig als einen stählernen Amboß: »Oho, bist du der Haar?« sagte Herzbruder, »ich will dir nicht vergeblich zu Gefallen herkommen sein; du Hundsmacher mußt sterben, und wäre dir gleich die Seele angewachsen!« nötigte darauf einen Musketierer von des Profosen bei sich gehabter Wache, daß er ihn, dafern er anderst selbst Quartier haben wollte, mit einer Axt zu Tod schlug. Also bekam der Profos seinen Lohn; ich aber ward vom Herzbruder erkannt, welcher mich meiner Ketten und Bande entledigen, auf sein Pferd setzen und durch seinen Knecht in Sicherheit führen ließ.[159]

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 157-160.
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