Das achte Kapitel.

[106] Simplex zum andernmal freiet, hört an,

Wer seine Eltern gewesen, vom Knan.


Ich ließ trefflich zur Hochzeit zurüsten, dann der Himmel hieng mir voller Geigen: das Baurengut, darauf meine Braut geboren worden, lösete ich nicht allein ganz an mich, sondern fieng noch darzu einen schönen neuen Bau an, gleich als ob ich daselbst mehr hof- als haushalten hätte wollen; und ehe ich die Hochzeit vollzogen, hatte ich bereits über dreißig Stücke Viehe dastehen, weil man so viel das Jahr hindurch auf demselben Gut erhalten konnte. In Summa, ich bestellet alles auf das beste, auch sogar mit köstlichem Hausrat, wie es mir nur meine Torheit eingab. Aber die Pfeife fiel mir bald in Dreck, dann da ich nunmehr vermeinete, mit gutem Wind in Engeland zu schiffen, kam ich wider alle Zuversicht in Holland, und damals, aber viel zu spat, ward ich erst gewahr, was Ursache mich meine Braut so ungern nehmen wollen; das mich aber am allermeisten schmerzete, war, daß ich mein spöttlich Anliegen keinem Menschen klagen dorfte. Ich konnte zwar wohl erkennen, daß ich nach dem Maß der Billigkeit Schulden bezahlen mußte, aber solche Erkänntnus machte mich darum nichts desto gedultiger, viel weniger frömmer; sondern weil ich mich so betrogen befand, gedachte ich, meine Betrügerin wieder zu betrügen, maßen ich anfieng, grasen zu gehen, wo ich immer[106] mehr zukommen konnte; überdas stak ich mehr bei guter Gesellschaft im Saurbrunn als zu Haus: in Summa, ich ließ meine Haushaltung allerdings ein gut Jahr haben. Andernteils war meine Frau Gemahlin ebenso liederlich: sie hatte einen Ochsen, den ich ins Haus schlagen lassen, in etliche Körbe eingesalzen; und als sie mir auf eine Zeit ein Spänsau zurichten sollte, unterstund sie, solche wie einen Vogel zu ropfen, wie sie mir dann auch Krebse auf dem Rost, einen Hasen brühen und Forellen an einem Spieß braten wollen. Bei diesen paar Exempeln kann man unschwer abnehmen, wie ich im übrigen mit ihr bin versorgt gewesen. Nicht weniger trank sie auch das liebe Weinchen gern und teilete andern guten Leuten auch mit, das mir dann in mein künftig Verderben prognostizierte.

Einsmals spazierte ich mit etlichen Stutzern das Tal hinunter, eine Gesellschaft im untern Bad zu besuchen; da begegnete uns ein alter Baur mit einer Geiß am Strick, die er verkaufen wollte; und weil mich dünkte, ich hätte dieselbe Person mehr gesehen, fragte ich ihn, wo er mit dieser Geiß herkäme. Er aber zog sein Hütlein ab und sagte: »Gnädiger Hearr, eich darffs ouch werli neit sän.« Ich sagte: »Du wirst sie ja nicht gestohlen haben?« – »Nein,« antwortete der Baur, »sondern ich bringe sie aus dem Städtechen unten im Tal, welches ich eben gegen dem Herrn nicht nennen darf, dieweil wir von einer Geiß reden.« Solches bewegte meine Gesellschaft zum Lachen, und weil ich mich im Angesicht entfärbte, gedachten sie, ich hätte einen Verdruß oder schämte mich, weil mir der Baur so artlich eingeschenkt. Aber ich hatte andere Gedanken; dann an der großen Warze, die der Baur gleichsam wie das Einhorn mitten auf der Stirn stehen hatte, ward ich eigentlich versichert, daß es mein Knän aus dem Spessert war, wollte derhalben zuvor einen Wahrsager agieren, eh ich mich ihm offenbaren und mit einem so stattlichen Sohn, als damals meine Kleider auswiesen, erfreuen wollte, sagte derhalben zu ihm: »Mein lieber alter Vatter, seid Ihr nicht im Spessert zu Haus?« – »Ja Hearr!« antwortete der Baur. Da sagte ich weiter: »Haben Euch nicht vor ungefähr 18 Jahren die Reuter Euer Haus und Hof geplündert und verbrannt?« – »Ja, Gott erbarms!« antwortete der Baur, »es ist aber noch nicht so lang.« Ich fragte weiter: »Habet Ihr nicht damals zwei Kinder, nämlich eine erwachsene Tochter und einen jungen Knaben, gehabt, der Euch der Schaf gehütet?« – »Hearr,« antwortete mein Knän, »die Tochter war mein Kind, aber der Bub nicht; ich habe ihn aber an Kindes Statt aufziehen wollen.«[107] Hieraus verstunde ich wohl, daß ich dieses groben Knollfinken Sohn nicht sei, welches mich einenteils erfreuete, hingegen aber auch betrübete, weil mir zugefallen, ich müßte sonsten ein Bankert oder Findling sein, fragte derowegen meinen Knän, wo er dann denselben Buben aufgetrieben, oder was vor Ursache er gehabt, denselben an Kindes Statt zu erziehen. »Ach,« sagte er, »es ist mir seltsam mit ihm gangen: der Krieg hat mir ihn geben, und der Krieg hat mir ihn wieder genommen.« Weil ich dann besorgte, es dürfte wohl ein wunderliches Fazit herauskommen, das mir wegen meiner Geburt nachteilig sein möchte, verwandte ich meinen Diskurs wieder auf die Geiß und fragte, ob er sie der Wirtin in die Küche verkauft hätte, das mich befremde, weil die Sauerbrunngäste kein alt Geißfleisch zu genießen pflegten. »Ach nein, Hearr,« antwortete der Baur, »die Wirtin hat selber Geißen genug und gibt auch nichts vor ein Ding. Ich bringe sie der Gräfin, die im Saurbrunn badet, und hat ihr der Doktor Hans in allen Gassen etliche Kräuter geordnet, so die Geiß essen muß, und was sie dann vor Milch davon gibt, die nimmt der Doktor und machet der Gräfin noch so ein Ärtznei drüber; so muß sie die Milch trinken und wieder gesund davon werden. Man säit, es mangle der Gräfin am Gehäng, und wann ihr die Geiß hilft, so vermag sie mehr als der Doktor und seine Abdecker miteinander.« Unter währender solcher Relation besann ich, auf was Weise ich mehr mit dem Baur reden möchte, bot ihm derhalben einen Taler mehr um die Geiß, als der Doktor oder die Gräfin darum geben wollten; solches gieng er gleich ein (dann ein geringer Gewinn persuadieret die Leute bald anders), doch mit dem Beding, er sollte der Gräfin zuvor anzeigen, daß ich ihm einen Taler mehr darauf gebotten; wollte sie dann so viel darum geben als ich, so sollte sie den Vorkauf haben, wo nicht, so wollte er mir die Geiß zukommen lassen und, wie der Handel stünde, auf den Abend anzeigen.

Also gieng mein Knän seines Wegs, und ich mit meiner Gesellschaft den unserigen auch; doch wußte, konnte und mochte ich nicht länger bei der Kompagnie bleiben, sondern drehete mich ab und gieng hin, wo ich meinen Knän wiederfand: der hatte seine Geiß noch, weil ihm andere nicht so viel als ich darum geben wollten, welches mich an so reichen Leuten wunderte und doch nicht kärger machte. Ich führte ihn auf meinen neu erkauften Hof, bezahlte ihm seine Geiß, und nachdem ich ihm einen halben Rausch angehängt, fragte ich ihn, woher ihm derjenige Knab zugestanden wäre, von dem wir heut geredet.[108] »Ach Herr,« sagte er, »der Mansfelder Krieg hat mir ihn beschert, und die Nördlinger Schlacht hat mir ihn wieder genommen.« Ich sagte: »Das muß wohl eine lustige Histori sein!«, mit Bitte, weil wir doch sonst nichts zu reden hätten, er wollte mirs doch vor die Langeweile erzählen. Darauf fieng er an und sagte: »Als der Mansfelder bei Höchst die Schlacht verlor, zerstreuete sich sein flüchtig Volk weit und breit herum, weil sie nicht alle wußten, wohin sie sich retirieren sollten. Viel kamen in Spessert, weil sie die Büsche suchten, sich zu verbergen; aber indem sie dem Tod auf der Ebne entgiengen, fanden sie ihn bei uns in den Bergen, und weil beide kriegende Teile vor billig achteten, einander auf unserm Grund und Boden zu berauben und niederzumachen, griffen wir ihnen auch auf die Hauben. Damals gieng selten ein Bauer in den Büschen ohne Feuerrohr, weil wir zu Haus bei unsern Hauen und Pflügen nicht bleiben konnten. In demselben Tumult bekam ich nicht weit von meinem Hof in einem wilden ungeheuren Wald eine schöne junge Edelfrau samt einem stattlichen Pferd, als ich zuvor nicht weit davon etliche Büchsenschüsse gehöret hatte. Ich sahe sie anfänglich vor einen Kerl an, weil sie so mannlich daherritt; aber indem ich sie beides, Händ und Augen, gegen dem Himmel aufheben sahe und auf Welsch mit einer erbärmlichen Stimme zu Gott rufen hörete, ließ ich mein Rohr, damit ich Feuer auf sie geben wollte, sinken und zog den Hahn wieder zurück, weil mich ihr Geschrei und Gebärden versicherten, daß sie ein betrübtes Weibsbild wäre und mich alsobald zum Mitleiden bewegte. Mithin näherten wir uns einander, und da sie mich sahe, sagte sie: ›Ach! wann Ihr ein ehrlicher Christenmensch seid, so bitte ich Euch um Gottes und seiner Barmherzigkeit, ja um des Jüngsten Gerichts willen, vor welchem wir alle um unser Tun und Lassen Rechenschaft geben müssen, Ihr wollet mich zu ehrlichen Weibern führen, die mich durch göttliche Hülfe von meiner Leibesbürde entledigen helfen!‹ Diese Worte, die mich so großer Dinge erinnerten, samt der holdseligen Aussprache und zwar betrübten, doch überaus schönen und anmutigen Gestalt der Frau zwangen mich zu solcher Erbärmde, daß ich ihr Pferd beim Ziegel nahm und sie durch Hecken und Stauden an den allerdicksten Ort des Gesträuchs führete, da ich selbst mein Weib, Kind, Gesind und Viehe hingeflehnt hatte. Daselbst genaß sie ehender als in einer halben Stunde desjenigen jungen Knaben, von dem wir heut miteinander geredet haben.«

Hiermit beschloß mein Knän seine Erzählung, weil er eins[109] trank; dann ich sprach ihm gar gütlich zu. Da er aber das Glas ausgeleeret hatte, fragte ich: »Und wie ist es darnach weiter mit der Frau gangen?« Er antwortete: »Als sie dergestalt Kindbetterin worden, bat sie mich zu Gevattern, und daß ich das Kind ehistens zu der Taufe fördern wollte, sagte mir auch ihres Manns und ihren Namen, damit sie möchten in das Taufbuch geschrieben werden; und indem tät sie ihr Felleisen auf, darin sie wohl vortreffliche und sehr köstliche Sachen hatte, und schenkte mir, meinem Weib und Kind, der Magd und sonst noch einer Frau so viel, daß wir wohl mit ihr zufrieden sein können. Aber indem sie so damit umgieng und uns von ihrem Mann erzählete, starb sie uns unter den Händen, als sie uns ihr Kind zuvor wohl befohlen hatte. Weil es dann nun so gar ein großer Lärmen im Land war, daß niemand bei Haus bleiben konnte, vermochten wir kaum ein Pfarrherrn, der bei der Begräbnus war und das Kind taufte; da aber endlich beides geschehen, ward mir von unserm Schulzen und Pfarrherrn befohlen, ich sollte das Kind aufziehen, bis es groß würde, und vor meine Mühe und Kosten der Frauen ganze Verlassenschaft behalten, ausgenommen etliche Paternoster, Edelgesteine und so Geschmeiß, welches ich vor das Kind aufbehalten sollte. Also ernährte mein Frau das Kind mit Gaißmilch, und wir behielten den Buben gar gern und dachten, wir wollten ihm, wann er groß würde, unser Mädchen zur Frau geben; aber nach der Nördlinger Schlacht habe ich beides, das Mägdlein und den Buben, verloren samt allem dem, was wir vermochten.«

»Ihr habet mir«, sagte ich zu meinem Knän, »eine artliche und recht annehmliche Geschicht erzählet und doch das Beste vergessen; dann Ihr habet nicht gesagt, weder wie die Frau, noch ihr Mann oder das Kind geheißen.« – »Herr,« antwortete er, »ich habe nicht gemeint, daß Ihrs auch gern hättet wissen mögen. Die Edelfrau hieße Susanna Ramsi, ihr Mann Kapitän Sternfelß von Fuchsheim; und weil ich Melchior hieß, so ließ ich den Buben bei der Taufe auch Melchior Sternfelß von Fuchsheim nennen und ins Taufbuch schreiben.«

Hieraus vernahm ich umständlich, daß ich meines Einsiedlers und des Gubernator Ramsay Schwester leiblicher Sohn gewesen; aber ach leider! viel zu spat, dann meine Eltern waren beide tot, und von meinem Vetter Ramsay konnte ich anders nichts erfahren, als daß die Hanauer ihn mitsamt der schwedischen Garnison ausgeschafft hätten, weswegen er dann vor Zorn und Ungedult ganz unsinnig worden wäre.[110]

Ich deckte meinen Petter vollends mit Wein zu und ließ den andern Tag sein Weib auch holen. Da ich mich ihnen nun offenbarete, wollten sie es nicht eher glauben, bis ich ihnen zuvor einen schwarzen haarigen Flecken aufgewiesen, den ich vorn auf der Brust hatte.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 106-111.
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