Das vierzehnte Kapitel.

[219] Simplex possierliche Sachen bringt vor,

Welche nur glaubt ein einfältiger Tor.


Damal erfuhr ich, daß einer nicht wohl in der Welt fortkommt, der kein Gelt hat, wanngleich einer dessen zu seines Lebens Aufenthalt gern entbehren wollte. Andere Pilger, die Gelt hatten und auch nach Einsiedlen wollten, saßen zu Schiff und ließen sich die See hinaufführen; dahingegen mußte ich durch Umwege zu Fuß forttanzen keiner andern Ursache halber, als weil ich den Fergen nit zu bezahlen vermochte. Ich ließ mich solches aber mitnichten anfechten, sondern machte desto kürzere Tagreisen und nahm mit allen Herbergen vorlieb, wie sie mir anstunden, und hätte ich auch in einem Beinhäusel übernachten sollen. Wann mich aber irgends ein Fürwitziger meiner Seltsamkeit wegen aufnahm, um etwas Wunderliches von mir zu hören, so traktierte ich denselben, wie ers haben wollte, und erzählete ihm allerhand Storgen, die ich hin und wieder auf meinen weiten Reisen gesehen, gehöret und erfahren zu haben vorgab, schämte mich auch gar nit, die Einfälle, Lügen und Grillen der alten Skribenten und Poeten vorzubringen und vor eine Wahrheit darzugeben, als wann ich selbst überall mit und dabei gewesen wäre; exempelsweise: Ich hatte ein Geschlecht der pontischen Völker, so Thybi genannt, gesehen, die in einem Aug zween Augäpfel, in dem andern die Bildnus eines Pferdes haben, und bewiese solches mit Philarchi Zeugnus; ich war bei dem Ursprung des Flusses Gangis, bei den Astomis gewesen, die weder essen noch Mäuler haben, sondern nach Plinii Zeugnus allein durch die Nase vom Geruch[219] sich ernähren; item bei den bithynischen Weibern in Scythia und den Tribalis in Illyria, die zween Augenäpfel in jedem Aug haben; maßen solches Apollonides und Hesigonus bezeugen. Ich hatte vor etlich Jahren mit den Einwohnern des Berges Mili gute Kundschaft gehabt, welche, wie Megasthenes saget, Füße haben wie die Füchse und an jedem Fuß acht Zehen; bei den Troglodytis gegen Niedergang wahrhaftig hatte ich mich auch eine Weile aufgehalten, welche, wie Ktesias bezeuget, weder Kopf noch Hals, sondern Augen, Maul und Nase auf der Brust stehen haben, nicht weniger bei Monoscelis oder Sciopodibus, die nur einen Fuß haben, damit sie den ganzen Leib vor Regen und Sonnenschein beschirmen, und dannoch mit solchem einzigen großen Fuß einen Hirsch überlaufen können. Ich hatte gesehen die Anthropophagi in Scythia und die Caffres in India, die Menschenfleisch fressen, die Andabati, so mit zugetanen Augen streiten und in den Haufen schlagen, die Agriophani, die Löwen- und Panthertierfleisch fressen, die Arimphäi, so unter den Bäumen ohn alle Verwahrung sicher hineinschlaffen, die Bactriani, welche so mäßig leben, daß bei ihnen kein Laster verhaßter ist als Fressen und Saufen; die Samogeden, die hinter der Moskau unter dem Schnee wohnen, die Insulaner im Sinu Persarum als zu Ormus, die wegen großer Hitze im Wasser schlafen, die Grünländer, deren Weiber Hosen tragen, die Berberi, welche alle die, so über 50 Jahre leben, schlachten und ihren Göttern opfern; die Indianer hinter der Magellanischen Straße, am Mare Pacifico, deren Weiber kurze Haar, die Männer selbst aber lange Zöpfe tragen; die Condei, die sich von Schlangen ernähren, die Unteutsche hinter Livland, die sich zu gewissen Zeiten des Jahrs in Werwölfe verwandlen, die Caspii, welche ihre alte nach erlangtem siebenzigstem Jahr mit Hunger hinrichten; die schwarze Tartern, deren Kinder ihre Zähne mit auf die Welt bringen; die Getae, so alle Dinge, auch die Weiber, gemeinhaben; die Himantopodes, welche auf der Erden kriechen wie die Schlangen; Brasilianer, so die Fremde mit Weinen, und die Mosineci, so ihre Gäste mit Prügeln empfangen. Ja, ich hatte auch die selenitische Weiber gesehen, welche, wie Herodotus behauptet, Eier legen und Menschen draus hecken, die zehenmal größer werden als wie in Europa.

Also hatte ich auch viel wunderbarliche Brunnen gesehen, als am Ursprung der Weichsel einen, dessen Wasser zu Stein wird, daraus man Häuser bauet; item den Brunnen bei Zepusio in Ungarn, welches Wasser Eisen verzehret oder, besser zu[220] reden, in eine Materiam verändert, aus deren hernach durchs Feuer Kupfer gemachet wird, da sich der Regen in Viktril verändert; mehr daselbst einen giftigen Brunnen, dessen Wasser, wo der Erdboden damit gewässert wird, nichts anders als Wolfskraut herfürbringet, welcher wie der Mond ab- und zunimmt; mehr daselbst einen Brunnen, der winterszeit warm, im Sommer aber nichts als lauter Eis ist, den Wein damit zu kühlen. Ich hatte die zween Brünnen in Irland gesehen, darin das eine Wasser, wann es getrunken wird, alt und grau, das ander aber hübsch jung machet, den Brunnen zu Ängstlen im Schweizerland, welcher nie lauft, als wann das Viehe auf der Weide zur Tränke kommt; item unterschiedliche Brunnen in Island, da einer heiß, der ander kalt Wasser, der dritte Schwefel, der vierte geschmolzen Wachs herfürbringet; mehr die Wassergruben zu St. Stephan gegen Saanenland in der Eidgnoßschaft, welche die Leute vor einen Kalender brauchen, weil das Wasser trüb wird, wann es regnen will, und hingegen sich klar erzeiget, wann schön Wetter obhanden; nicht weniger den Schantlibach bei Obernähenheim im Elsaß, welcher nit eh fleußt, es solle dann ein groß Unglück, als Hunger, Sterben oder Krieg übers Land gehen; den giftigen Brunn in Arcadia, der Alexandrum Magnum ums Leben brachte; die Wasser zu Sybaris, welche die graue Haare wieder schwarz machen; die Aquae Sinessuanae, die den Weibern die Unfruchtbarkeit benehmen; die Wasser in der Insul Aenaria, welche Gries und Stein vertreiben; die zu Clitumno, darin die Ochsen weiß werden, wann man sie damit badet; die zu Solennio, welche die Wunden der Liebe heilen; den Brunn Aleos, dadurch das Feuer der Liebe entzündet wird; den Brunn in Persia, daraus lauter Öl, und einen unfern von Kronweißenburg, daraus nur Karchsalb und Wagenschmier quillet; die Wasser in der Insul Naxo, darin man sich kann trunken trinken; den Brunnen Arethusam, darin lauter Zuckerwasser. Auch wußte ich alle berühmte Paludes, Seen, Sümpfe und Lachen zu beschreiben, als den See bei Zircknitz in Kärnten, dessen Wasser Fisch, zwo Ellen lang, hinderläßt, folgends wann solche gefangen, von den Bauren besamet, abgemähet und eingeerntet, hernach aber auf den Herbst wieder von sich selbst 18 Ellen tief mit Wasser angefüllet wird, welches den künftigen Frühling abermal eine solche Menge Fische zum besten gibet; das Tode Meer in Judäa, der See Leomondo in der Landschaft Lemnos, welcher 24 Meilen lang und viel Insulen, darunter auch eine schwimmende Insul hat, die mit Viehe und allem, was drauf ist, vom[221] Wind hin und her getrieben wird. Ich wußte zu sagen vom Federsee in Schwaben, vom Bodensee bei Costnütz, vom Pilatussee auf dem Berg Fractmont, vom Camarin in Sicilia, von dem Lacu Bebeide in Thessalia, vom Gigeo in Lydia, vom Mareote in Ägypten, vom Stymphalide in Arcadia, vom Lasconio in Bythinia, vom Icomede in Äthiopia, vom Thesprotio in Ambratia, vom Trasimeno in Umbria, vom Maeotide in Scythia und vielen andern mehr.

So hatte ich auch alle namhafte Flüsse in der Welt gesehen, als Rhein und Donau in Teutschland, die Elbe in Sachsen, die Moldau in Böhmen; den Inn in Bayern, die Wolgau in Reußen, die Thems in England, den Tagum in Hispania, den Amphrisum in Thessalia, den Nilum in Ägypten, den Jordan in Judäa, den Hypanim in Scythia, den Bagradam in Afrika, den Gangem in India, Rio de la Platta in Amerika, den Eurotam in Laconia, den Euphratem in Mesopotamia, die Tyber in Italia, den Cidnum in Cilicia, den Acheloum zwischen Aetolia und Acarnania, den Boristhenem in Thracia und den Sabbaticum in Syria, der nur sechs Tage fleußt und den siebenden verschwindet; item in Sicilia einen Fluß, in welchem nach Aristotelis Zeugnus die erwürgte und erstückte Vögel und Tiere wieder lebendig werden; sodann auch den Gallum in Phrygia, welcher nach Ovidii Meinung unsinnig machet, wann man daraus trinket. Ich hatte auch des Plinii Brunnen zu Dodona gesehen und selbst probieret, daß sich die brennende Kerzen ausleschen, die ausgeleschte aber anzünden, wann man solche daranhält. So war ich auch bei den Brunn zu Apollonia gewesen, des Nymphaei Becher genannt, welcher denen, so daraus trinken, wie Theopompus meldet, alles Unglück zu verstehen gibet, so ihnen noch begegnen wird.

Gleichermaßen wußte ich auch von andern wunderbarlichen Dingen in der Welt aufzuschneiden, als von den Calaminischen Wäldern, die sich von einem Ort zum andern treiben lassen, wo man sie nur haben will; so war ich auch in dem Ciminischen Wald gewesen, allwo ich meinen Pilgerstab nicht in die Erde stecken dorfte, weil alles, was dort in die Erde kommt, stracks einwurzelt, daß man es nicht wieder herauskriegen kann, sondern geschwind zu einem großen Baum wird. So hatte ich auch die zween Wälder gesehen, deren Plinius gedenket, welche bisweilen dreieckicht, bisweilen viereckicht und bisweilen stumpf sein; nicht weniger den Felsen, den man zuzeiten mit einem Finger, bisweilen aber mit keiner Gewalt bewegen kann.[222]

In Summa Summarum, ich wußte von seltsamen und verwunderungswürdigen Sachen nicht allein etwas daherzulügen, sondern hatte alles selbst mit meinen eignen Augen gesehen, und sollten es auch berühmte Gebäu, als die sieben Wunderwerke der Welt, der babylonische Turn und dergleichen Sachen gewesen sein, so vor vielen hundert Jahren abgangen. Also machte ich es auch, wann ich von Vögeln, Tieren, Fischen und Erdgewächsen zu reden kam, meinen Beherbergern, die solches begehrten, die Ohren damit zu krauen. Wann ich aber verständige Leute vor mir hatte, so hieb ich bei weitem nicht so weit über die Schnur, und also brachte ich mich nach Einsiedlen, verrichtete dort meine Andacht und begab mich gegen Bern zu, nicht allein auch dieselbige Stadt zu besehen, sondern von dar durch Savoya in Italia zu gehen.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 219-223.
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