Das zweiundzwanzigste Kapitel.

[250] Simplex allein auf der Insel verbleibet,

Weil der Tod seinen Zimmermann aufreibet.


Dieweil wir nun sahen, daß wir verbleiben mußten, wo wir waren, fiengen wir auch unsre Haushaltung anderst an: mein Kamerad machte von einem schwarzen Holz, welches sich beinahe dem Eisen vergleichet, wann es dürr wird, vor uns beide Hauen und Schaufelen, durch welche wir erstlich die obgesetzte drei Kreuzen eingruben, zweitens das Meer in Gruben leiteten, da es sich, wie ich zu Alexandria in Ägypten gesehen, in Salz verwandelte; drittens fiengen wir an, einen lustigen Garten zu machen, weil wir den Müßiggang vor den Anfang unsers Verderbens schätzten; viertens gruben wir das Bächlein[250] ab, also daß wir dasselbe nach unserm Belieben anderwärts hinwenden, den alten Fluß ganz trocken legen und Fische und Krebse, soviel wir wollten, gleichsam mit trockenen Händen und Füßen darauf aufheben konnten; fünftens befanden wir neben dem besagten Flüßlein eine überaus schöne Hafnererde, und obzwar wir weder Scheibe noch Rad, zumalen auch keinen Bohrer oder andere Instrumenten hatten, uns dergleichen etwas zuzurichten, um uns allerhand Geschirr zu drehen, obwohl wir das Handwerk nicht gelernet, so ersonnen wir doch einen Vortel, durch welchen wir zuwegen brachten, was wir wollten; dann nachdem wir die Erde geknetet und zubereitet hatten, wie sie sein sollte, machten wir Würste daraus in der Dicke und Länge, wie die englische Tabakspfeifen sein. Solche kleibten wir schneckenweis aufeinander und formierten Geschirr daraus, wie wirs haben wollten, beides, groß und klein, Häfen und Schüßlen zum Kochen und Trinken. Wie uns nun der erste Brand geriete, hatten wir keine Ursache mehr, uns über einigen Mangel zu beklagen; dann obwohl uns das Brod abgieng, hatten wir jedoch hingegen dürre Fische vollauf, die wir vor Brod brauchten. Mit der Zeit gieng uns der Vortel mit dem Salz auch an, also daß wir endlich gar nichts zu klagen hatten, sondern wie die Leute in der ersten göldenen Zeit lebeten. Da lerneten wir nach und nach, wie wir aus Eiern, dürren Fischen und Zitronenschälen, welche beide letztere Stücke wir zwischen zweien Steinen zu zartem Mehl rieben, in Vögelschmalz, so wir von den Walchen (so genannten Vögeln) bekamen, anstatt des Brods wohlgeschmackte Kuchen backen sollten. So wußte mein Kamerad den Palmwein gar artlich in große Häfen zu gewinnen und denselben ein paar Tage stehen zu lassen, bis er verjohren; hernach soff er sich so voll darin, daß er torkelte; und solches tät er auf die Letzte gleichsam alle Tage, Gott gebe, was ich darwider redete; dann er sagte, wann man ihn über die Zeit stehen ließe, so würde er zu Essig, welches zwar nicht ohn ist. Antwortete ich ihm dann, er sollte auf einmal nicht so viel, sondern die bloße Notdurft gewinnen, so sagte er hingegen, es sei Sünde, wann man die Gaben Gottes verachte; man müsse den Palmen beizeiten zu Ader lassen, damit sie nicht mit ihrem eignen Blut erstickten. Also mußte ich seinen Begierden den Zaum lassen, wollte ich anderst nicht mehr hören, ich gönnete ihm nicht, was wir die Völle umsonst hätten.

Also lebten wir, wie abgemeldet, als die erste Menschen in der göldenen Zeit, da der gütige Himmel denselbigen ohn[251] einzige Arbeit alles Gutes aus der Erde hervorwachsen lassen. Gleichwie aber kein Leben in dieser Welt so süß und glückselig ist, das nit bisweilen mit Galle des Leidens verbittert werde, also geschahe uns auch; dann um wieviel sich täglich unsre Küche und Keller besserte, um so viel wurden unsere Kleidungen von Tag zu Tag je länger je blöder, bis sie uns endlich gar an den Leibern verfauleten. Das beste vor uns war dieses, daß wir bishero noch niemal keinen Winter, ja nicht die geringste Kälte inworden, wiewohl wir damal, als wir anfiengen, nackend zu werden, meinen Kerbhölzern nach bereits über anderthalb Jahr auf dieser Insul zugebracht; sondern es war jederzeit Wetter, wie es bei den Europäern im Majo und Junio zu sein pflegte, außer, daß es ungefähr im Augusto und etwas Zeit zuvor gewaltig stark zu regnen und zu wittern pfleget. So wird auch allhier, von einem Solstitio zum andern, Tag und Nacht nicht wohl über fünf Viertelstunden länger oder kürzer als das andermal. Wiewohl wir nun allein sich auf der Insul befanden, so wollten wir doch nicht wie das unvernünftige Vieh nackend, sondern als ehrliche Christen aus Europa bekleidet gehen. Hätten wir nur vierfüßige Tiere gehabt, so wäre uns schon geholfen gewesen, ihre Bälge zu Kleidung anzuwenden; in Mangel derselbigen aber zogen wir dem großen Geflügel, als den Walchen und Pingwins die Häute ab und machten uns Niederkleider draus. Weil wir sie aber aus Mangel beides, der Instrumenten und zugehörigen Materialien, nit recht auf die Daur bereiten konnten, wurden sie hart, unbequem und zerstoben uns vom Leib hinweg, eh wir sich dessen versahen. Die Kokosbäume trugen uns zwar Baumwolle genug, wir konnten sie aber weder weben noch spinnen; aber mein Kamerad, welcher etliche Jahre in Indien gewesen, wies mir an denen Blättern vorn an den Spitzen ein Ding wie ein scharfer Dorn; wann man selbiges abbricht und am Grad des Blatts hinzeucht, gleichsam wie man mit den Bohnenschelfen, Phaseoli genannt, umgehet, wann man selbige von ihren Gräten gereiniget, so verbleibet an demselbigen spitzigen Dorn ein Faden hangen, so lang als der Grad oder das Blatt ist, also daß man dasselbige anstatt Nadel und Faden brauchen kann. Solches gab mir Ursache und Gelegenheit an die Hand, daß ich uns aus denselben Blättern Niederkleider machte und solche mit obgemeldten Faden ihres eigenen Gewächses zusammenstach.

Indem wir nun so miteinander hausen und unsere Sache so weit gebracht, daß wir keine Ursache mehr hatten, uns über[252] einige Arbeitseligkeit, Abgang, Mangel oder Trübsal zu beschweren, zechte mein Kamerad im Palmwein immerhin täglich fort, wie ers angefangen und nunmehr gewohnt hatte, bis er endlich Lung und Leber entzündete und, eh ich mich recht versahe, mich, die Insul, und den Vin de Palm durch einen frühzeitigen Tod zugleich quittierte. Ich begrub ihn so gut, als ich konnte, und indem ich des menschlichen Wesens Unbeständigkeit und anders mehr betrachtete, machte ich ihm folgende Grabschrift:


»Daß ich hier und nicht ins Meer bin worden begraben,

Auch nicht in der Höll, macht, daß um mich gestritten haben

Drei Ding: das erste, der wüttende Ozean,

Das zweit, der grausam Feind, der höllische Satan!

Diesen entranne ich durch Gottes Hülf aus mein'n Nöten,

Aber vom Palmwein, dem dritten, ließ ich mich töten.«


Also ward ich allein ein Herr der ganzen Insul und fieng wiederum ein einsiedlerisches Leben an, worzu ich dann nicht allein mehr als gnugsame Gelegenheit, sondern auch einen steifen Willen und Vorsatz hatte. Ich machte mir die Güter und Gaben dieses Orts zwar wohl zunutz mit herzlicher Danksagung gegen Gott, als dessen Güte und Allmacht allein mir solche so reichlich bescheret hatte, befliß mich darneben, daß ich deren Überfluß nicht mißbrauchte. Ich wünschte oft, daß ehrliche Christenmenschen bei mir wären, die anderwärts Armut und Mangel leiden müssen, sich der gegenwärtigen Gaben Gottes zu gebrauchen; weil ich aber wohl wußte, daß Gott dem Allmächtigen mehr als müglich (dafern es anders sein göttlicher Wille wäre), mehr Menschen leichtlicher- und wunderbarlicherweise hieher zu versetzen, als ich hergebracht worden, gab mir solches oft Ursache, ihm um seine göttliche Vorsehung und daß er mich so vätterlich vor andern viel 1000 Menschen versorget, und in einen solchen geruhigen und friedsamen Stand gesetzet hatte, demütig zu danken.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 250-253.
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