Das achte Kapitel.

[196] Simplex dem Julus den Kopf sieht abschlagen

Und den Avarus am Galgen verzagen.


Demnach machte sich Julus mit Avaro schleinig auf dem Weg, nachdem er zuvor sein ander Gesinde, als Lakaien, Pagen[196] und dergleichen unnützer, gefräßiger oder vertunlicher Leute mit guten Ehren abgeschaffet. Wollte ich nun der Histori ein Ende sehen, so müßte ich wohl mit; aber wir reiseten mit gar ungleicher Kommodität: Julus ritt auf einem ansehenlichen Hengst, weil er nunmehr nichts Bessers als das Reuten gelernet hatte, und hinter ihm saße die Verschwendung, gleichsam als ob sie seine Hochzeiterin oder Liebste gewesen wäre. Avarus saß auf einen Minchen oder Wallachen, wie man sie nennet, und führete hinter sich den Geiz: das hatte eben ein Ansehen, als wann ein Markschreier oder Storger mit seinem Affen auf eine Kirchmesse geritten wäre. Die Hoffart hingegen flog hoch in der Luft daher, eben als wann sie die Reise nit sonderlich angangen hätte; die übrige assistierende Laster aber marschierten beneben her, wie die Beiläufer zu tun pflegen; ich aber hielt mich bald da, bald dort einem Pferd an den Schwanz, damit ich auch mit fortkommen und Engeland beschauen möchte, dieweil ich mir einbildete, ich hätte bereits viel Länder gesehen, dagegen mir dieses enge ein seltener Anblick sein würde. Wir erlangten bald den Ort der Schifflände, allwo wir hiebevor auch ausgestiegen waren, und segelten in kurzer Zeit mit gutem Wind glücklich über.

Julus fand seine Frau Mutter zu seiner Ankunft auch in letzten Zügen, maßen sie noch gleich denselben Tag ihren Abscheid nahm, also daß er als ein einziger Erbe, der nunmehr aus seinen vogtbaren Jahren getretten, zu einem Mal Herr und Meister über seiner Eltern Verlassenschaft ward. Da gieng nun das gute Leben wieder besser an als zu Paris, weil er eine namhafte Barschaft ererbet: er lebete wie der reiche Mann Lucä am 16., ja wie ein Prinz. Bald hatte er Gäste, und bald ward er wieder zu Gast geladen, und nahm seine Konversation fast täglich zu. Er führete zu Wasser und Land anderer Leut Töchter und Weiber nach engeländischem Gebrauch spazieren, hielte einen eigenen Trompeter, Bereiter, Kammerdiener, Schalksnarrn, Reitknecht, Kutscher, zween Lakaien, einen Page, Jäger, Koch und dergleichen Hofgesind. Gegen solchen, insonderheit aber gegen dem Avaro, den er als seinen getreuen Reisgesellen zu seinem Hofmeister und Faktor oder Faktotum gemachet hatte, erzeigte er sich gar mild, wie er dann auch gedachtem Avaro dasjenige adelige Gut, so er ihm zuvor in Frankreich verhypothecieret, vor Hauptsumma, Interesse und seinen Liedlohn vor frei ledig und eigen gab und verschreiben ließ, wiewohl es viel ein mehrers wert war. In Summa, er verhielt sich gegen jedermann, daß ich nicht allein glaubte, er[197] müßte aus dem Geschlecht der alten Könige sein geboren worden, wie er sich dessen in Frankreich oft gerühmet, sondern ich hielt festiglich darvor, er wäre aus dem Stamm Arturi entsprossen, welcher das Lob seiner Freigebigkeit bis an das End der Welt behalten wird.

Andernteils unterließe Avarus nicht, in solchem Wasser zu fischen und seine Schanze in acht zu nehmen: er bestahl seinen Herrn mehr als zuvor und schacherte darneben ärger als ein 50jähriger Jud. Das loseste Stücklein aber, das er dem Julo tät, war dieses, daß er sich mit einer Dame von ehrlichem Geschlecht verplemperte, folgends selbige seinem Herrn kuppelte und demselben über dreiviertel Jahr den jungen Balg zuschreiben ließ, den er ihr doch selbst angehängt hatte; und weil sich Julus gar nicht entschließen konnte, selbige zu ehelichen, gleichwohl aber ihrer Befreundten halber in Gefahr stehen mußte, trat der aufrichtige Avarus ins Mittel, ließ sich bereden, diejenige wieder zu Ehren zu bringen, deren er ehender und mehr als Julus genossen und sie selbst zu Fall gebracht, wodurch er abermalen ein namhaftes von des Juli Gütern zu sich zwackte und durch solche Treue seines Herrn Gunst verdoppelte. Und dannoch unterließ er nicht, da und dort zu rupfen, solang Pflaumfedern vorhanden, und als es auf die Stupflen losgieng, verschonete er deren auch nicht.

Einsmals fuhr Julus auf der Thems in einem Lustschiff mit seinen nähesten Verwandten spazieren, unter welchen sich seines Vatters Bruder, ein sehr weiser und verständiger Herr, auch befand. Dieser redete damal etwas verträulicher mit ihm als sonsten und führete ihm mit höflichen Worten und glimpflicher Strafe zu Gemüt, daß er keinen guten Haushalter abgeben werde; er sollte sich und das Seinige besser beobachten, als er bishero getan etc. Wann die Jugend wüßte, was das Alter brauchet, so würde sie einen Dukaten eher hundertmal umkehren als einmal ausgeben etc. Julus lachte darüber, zog einen Ring vom Finger, warf ihn in die Thems und sagte: »Herr Vetter, sowenig als mir dieser Ring wieder zuhanden kommen mag, so wenig werde ich das Meinige vertun können.« Aber der Alte seufzete und antwortete: »Gemach, Herr Vetter! es lässet sich wohl eines Königs Gut vertun und ein Brunn erschöpfen. Sehet, was Ihr tut!« Aber Julus kehrete ich von ihm und hassete ihn solcher getreuen Vermahnung wegen mehr, als er ihn darum sollte geliebet haben.

Unlängst hernach kamen etliche Kaufherren aus Frankreich; die wollten um das Hauptgut, so sie ihm zu Paris vorgesetzet,[198] samt dem Interesse bezahlt sein, weil sie gewisse Zeitung hatten, wie Julus lebte, und daß ihm ein reichbeladenes Schiff, so seine Eltern nach Alexandriam geschicket hatten, von den Seeräubern auf dem Mittelländischen Meer wäre hinweggenommen worden. Er bezahlete sie mit lauter Kleinodien, welches eine gewisse Anzeigung war, daß es mit der Barschaft an die Neige gieng; überdas kam die gewisse Nachricht ein, daß ihm ein ander Schiff am Gestad von Brasilien gescheitert und eine englische Flotte, an deren des Juli Eltern am allermeisten interessieret gewesen, unweit den Molukkischen Insulen von den Holländern zum Teil ruiniert und der Rest gefangen worden. Solches alles ward bald landkündig, dannenhero ein jeder, der etwas an Julum zu prätentieren, sich um die Bezahlung anmeldete, also daß es das Ansehen hatte, als wann ihn das Unglück von allen Enden der Welt her bestreiten wollte. Aber alle solche Stürme erschröckten ihn nicht so sehr als sein Koch, der ihm Wunders wegen einen göldenen Ring wiese, den er in einem Fisch gefunden, weil er denselbigen gleich vor den seinigen erkannte und sich noch nur zu wohl zu erinnern wußte, mit was vor Worten er denselbigen in die Thems geworfen.

Er war zwar ganz betrübt und beinahe desperat, schämte sich aber doch, vor den Leuten scheinen zu lassen, wie es ihm ums Herz war. Indem vernimmt er, daß des enthaubten Königs ältister Prinz mit einer Armee in Schottland ankommen wäre, hätte auch glücklichen Sukzeß und gute Hoffnung, seines Herrn Vatters Königreich wiederum zu erobern. Solche Gelegenheit gedachte ihm Julus zunutz zu machen und seine Reputation dadurch zu erhalten. Derowegen mondierte er sich und seine Leute mit demjenigen, so er noch übrig hatte, und brachte eine schöne Kompagnie Reuter zusammen, über welche er Avarum zum Leutenant machte und ihm göldene Berge verhieß, daß er mitgieng, alles unter dem Vorwand, dem Protektor zu dienen. Als er aber sich reisfertig befand, gieng er mit seiner Compagnia in schnellen Marsch dem jungen schottischen König entgegen und konjungierte sich mit dessen Corpo, hätte auch wohl gehandelt gehabt, wann es dem König damals geglückt. Als aber Cromwell dieselbe Kriegsmacht zerstöberte, entrannen Julus und Avarus kaum mit dem Leben und dorften sich doch beide nirgendsmehr sehen lassen. Derowegen mußten sie sich wie die wilden Tiere in den Wäldern behelfen und sich mit Rauben und Stehlen ernähren, bis sie endlich darüber ertappt und hingerichtet wurden, Julus zwar mit dem Beil und Avarus mit dem Strang, welchen er schon längst verdient hatte.[199]

Hierüber kam ich wieder zu mir selber oder erwachte aufs wenigste aus dem Schlaf und dachte mei nem Traum oder Geschicht nach, hielt endlich dafür, daß die Freigebigkeit leichtlich zu einer Verschwendung und die Gesparsamkeit leicht zum Geiz werden könne, wann die Weisheit nicht vorhanden, welche Freigebigkeit und Gesparsamkeit durch Mäßigkeit regiere und im Zaum halte. Ob aber der Geiz oder die Verschwendung den Preis davongetragen, kann ich nicht sagen, glaube aber wohl, daß sie noch täglich miteinander zu Feld liegen und um den Vorzug streiten.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 196-200.
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