Das zehnte Kapitel.

[36] Simplex fällt aus einem Nachen in Rhein,

Wird doch errettet nach Angst, Not und Pein.


Noch ein paar Stücklein will ich erzählen, eh ich sage, wie ich wieder von der Muskete erlöset worden: eins von großer Leib- und Lebensgefahr, daraus ich durch Gottes Gnade entronnen, das ander von der Seelengefahr, darin ich hartnäckigerweise steckenblieb; dann ich will meine Untugenden so wenig verhehlen als meine Tugenden, damit nicht allein meine Histori ziemlich ganz sei, sondern der ungewanderte Leser auch erfahre, was vor seltsame Kauzen es in der Welt gibet, die sich nämlich wenig um Gott bekümmern.

Wie zu Ende des vorigen Kapitels gemeldet, so dorfte ich auch mit andern auf Partei, so in Garnisonen nit jedem liederlichen Kunden, sondern rechtschaffenen Soldaten, die das Pulver schmecken können, gegönnet wird. Also giengen nun unser neunzehn einsmals miteinander durch die Untermarkgrafschaft hinauf, oberhalb Straßburg einem Baslerischen Schiff aufzupassen, worbei heimlich etliche weimarische Offizierer und Güter sein sollten. Wir kriegten oberhalb Ottenheim einen Fischernachen, uns danit überzusetzten und in ein Werder zu legen, so gar vortelhaftig lag, die ankommende Schiff ans Land zu zwingen, maßen zehen von uns durch den Fischer glücklich übergeführet wurden. Als aber einer aus uns, der sonst wohl fahren konnte, die übrigne neune, darunter ich mich befand, auch holete, schlug der Nachen unversehens um, daß wir also urplötzlich miteinander im Rhein lagen und zwar am allergefährlichsten Ort, wo der Fluß am strengsten war. Ich sahe mich nicht viel nach den andern um, sondern gedachte auf mich selbst. Obzwar nun ich mich aus allen Kräften spreizte und alle Vörtel der guten Schwimmer brauchte, so spielte dannoch der Strom mit mir wie mit einem Ball, indem er mich bald über, bald unter sich in Grund warf. Ich hielt mich so ritterlich, daß ich oft über sich kam, Atem zu schöpfen; wäre es aber um etwas kälter gewesen, so hätte ich mich nimmermehr so lang enthalten und mit dem Leben entrinnen können. Ich versuchte oft, ans Ufer zu gelangen, so mir aber die Würbel nicht zuließen, als die mich von einer Seite zur andern warfen; und obzwar ich in Kürze unter Goldscheur kam, so ward mir doch die Zeit so lang, daß ich schier an meinem Leben verzweifelte. Demnach ich aber die Gegend bei dem Dorf Goldscheur passiert hatte und mich bereits drein ergeben, ich würde meinen Weg durch[36] die Straßburger Rheinbrücke entweder tot oder lebendig nehmen müssen, ward ich eines großen Baums gewahr, dessen Äste unweit vor mir aus dem Wasser herfürreichten. Der Strom gieng streng und recta darauf zu; derhalben wandte ich alle übrige Kräfte an, den Baum zu erlangen, welches mir dann trefflich glückte, also daß ich beides, durchs Wasser und meine Mühe, auf den größten Ast, den ich anfänglich für einen Baum angesehen, zu sitzen kam. Derselbe ward aber von den Strudeln und Wellen dergestalt tribuliert, daß er ohn Unterlaß auf und nieder knappen mußte, und derhalben mein Magen also erschüttert, daß ich Lung und Leber hätte ausspeien mögen. Ich konnte mich kümmerlich darauf halten, weil mir ganz seltsam vor den Augen ward: da mußte alles von mir heraus, was ich auch noch in Frankreich und Westfalen gefressen hatte; und indem ich kotzte wie ein Gerberhund, flossen auch die Hosen voll, welches doch der Rhein gleich wieder hinwegflosse, weil mich der Ast alle Augenblicke einmal hinunter tunkte. Ich hätte mich gern wieder ins Wasser gelassen, befand aber wohl, daß ich nit Manns genug wäre, nur den hunderten Teil solcher Arbeit auszustehen, dergleichen ich schon überstritten hatte; mußte derowegen verbleiben und auf eine ungewisse Erlösung hoffen, die mir Gott ungefähr schicken müßte, da ich anderst mit dem Leben davonkommen sollte. Aber mein Gewissen gab mir hierzu einen schlechten Trost, indem es mir vorhielt, daß ich solche gnadenreiche Hülfe nun ein paar Jahre her so liederlich verscherzt. Jedoch hoffte ich ein Bessers und fieng so andächtig an zu beten, als ob ich in einem Kloster wäre erzogen worden; ich satzte mir vor, inskünftige frömmer zu leben und tät unterschiedliche Gelübde. Ich widersagte dem Soldatenleben und verschwur das Parteigehen auf ewig, schmiß auch meine Patrontäsch samt dem Ranzen von mir und ließ mich nicht anderst an, als ob ich wieder ein Einsiedel werden, meine Sünden büßen und der Barmherzigkeit Gottes vor meine hoffende Erlösung bis in mein Ende danken wollte. Und indem ich dergestalt auf dem Ast bei zwei oder drei Stunden lang zwischen Furcht und Hoffnung zugebracht, kam dasjenige Schiff den Rhein herunter, dem ich hätte aufpassen helfen sollen. Ich erhub meine Stimme erbärmlich und schriee um Gottes und des Jüngsten Gerichts willen um Hülfe; und nachdem sie unweit von mir vorüberfahren mußten und dahero meine Gefahr und elenden Stand desto eigentlicher sahen, ward jeder im Schiff zur Barmherzigkeit bewegt, maßen sie gleich ans Land fuhren, sich zu unterreden, wie mir möchte zu helfen sein.

Weil dann wegen der vielen Strudel und Würbel, die es[37] rund um mich herum gab und von den Wurzeln und Ästen des Baums verursachet wurden, ohn Lebensgefahr weder zu mir zu schwimmen, noch mit großen und kleinen Schiffen zu mir zu fahren war, als erforderte meine Hülfe lange Bedenkzeit. Wie aber mir unterdessen zumut gewesen, ist leicht zu erachten. Zuletzt schickten sie zween Kerl mit einem Nachen oberhalb meiner in den Fluß, die mir ein Seil zufließen ließen und das eine End davon bei sich behielten; das andere Ende aber brachte ich mit großer Mühe ungefähr zuwege und band es um meinen Leib, so gut ich konnte, daß ich also an demselben wie ein Fisch an einer Angelschnur in den Nachen gezogen und auf das Schiff gebracht ward.

Da ich nun dergestalt dem Tod durch Gottes Gnad entronnen, hätte ich billig am Ufer auf die Kniee fallen und der göttlichen Güte vor meine Erlösung danken, auch sonst mein Leben zu bessern einen Anfang machen sollen, wie ich dann solches in meinen höchsten Nöten gelobet und versprochen. Aber ach leider! ich armer Mensch ließ es weit fehlen. Dann da man mich fragte, wer ich sei und wie ich in diese Gefahr geraten wäre, fieng ich an, diesen Burschen vorzulügen, daß der Himmel hätte erschwarzen mögen. Dann ich dachte: wann du ihnen sagst, daß du sie hast plündern helfen wollen, so schmeißen sie dich alsbald wieder in Rhein; gab mich also vor einen vertriebenen Organisten aus und sagte, nachdem ich auf Straßburg gewollt, um über Rhein irgendeinen Schul- oder andern Dienst zu suchen, hätte mich eine Partei ertappt, ausgezogen und in den Rhein geworfen, welcher mich auf gegenwärtigen Baum geführet. Und nachdem ich diese meine Lügen wohl füttern konnte, zumalen auch mit Schwören bekräftigte, ward mir festiglich geglaubt und mit Speis und Trank alles Gutes erwiesen, mich wieder zu erquicken, wie ichs dann trefflich vonnöten hatte.

Beim Zoll zu Straßburg stiegen die meiste ans Land und ich mit ihnen, da ich mich dann gegen dieselbe hoch bedankte und unter andern eines jungen Kaufherrn gewahr ward, dessen Angesicht, Gang und Gebärden mir zu erkennen gaben, daß ich ihn zuvor mehr gesehen, konnte mich aber nicht besinnen, wo, vernahm aber an der Sprache, daß es ebenderjenige Kornett war, so mich hiebevor gefangen bekommen. Ich wußte aber nicht zu ersinnen, wie er aus einem so wackern jungen Soldaten zu einem Kaufmann worden, vornehmlich weil er ein geborner Kavalier war. Die Begierde, zu wissen, ob mich meine Augen und Ohren betrügen oder nicht, trieben mich dahin, daß ich zu ihm gieng und sagte: »Monsieur Schönstein, ist ers oder ist ers[38] nicht?« Er aber antwortete: »Ich bin keiner von Schönstein, sondern ein Kaufmann.« Da sagte ich: »So bin ich auch kein Jäger von Soest nicht, sondern ein Organist oder vielmehr ein landläufiger Bettler.« – »O Bruder!« sagte hingegen jener, »was Teufels machst du? wo ziehest du herum?« Ich sagte: »Bruder, wann du vom Himmel versehen bist, mir das Leben erhalten zu helfen, wie nun zum zweitenmal geschehen ist, so erfodert ohn Zweifel mein Fatum, daß ich alsdann nicht weit von dir sei.« Hierauf nahmen wir einander in die Arme als zwei getreue Freunde, die hiebevor beiderseits versprochen, einander bis in Tod zu lieben. Ich mußte bei ihm einkehren und alles erzählen, wie mirs ergangen, sint ich von L. nach Köln verreist, meinen Schatz abzuholen, verschwieg ihm auch nicht, wasgestalt ich mit einer Partei ihrem Schiff hätte aufpassen wollen, und wie es uns darüber ergieng. Aber wie ich zu Paris gehaust, davon schwieg ich stockstill, dann ich sorgte, er möchte es zu L. ausbringen und mir deswegen bei meinem Weib einen bösen Rauch machen. Hingegen vertraute er mir, daß er von der hessischen Generalität zu Herzog Bernhard, dem Fürsten von Weimar, geschickt worden, wegen allerhand Sachen von großer Importanz, das Kriegswesen betreffend, Relation zu tun und künftiger Kampagne und Anschläg halber zu konferieren, welches er nunmehr verrichtet und in Gestalt eines Kaufmanns, wie ich dann vor Augen sehe, auf der Zurückreis begriffen sei. Benebens erzählte er mir auch, daß meine Liebste bei seiner Abreise großen Leibes und neben ihren Eltern und Verwandten noch in gutem Wohlstand gewesen; item daß mir der Obrister das Fähnlein noch aufhalte, und vexierte mich daneben, weil mich die Urschlechte so verderbt hätten, daß mich weder mein Weib noch das andre Frauenzimmer zu L. vor den Jäger mehr annehmen und mir einige Courtesie erweisen werde etc. Demnach redten wir miteinander ab, daß ich bei ihm verbleiben und mit solcher Gelegenheit wieder nach L. kehren sollte, so eine erwünschte Sache vor mich war. Und weil ich nichts als Lumpen an mir hatte, streckte er mir etwas an Geld vor, damit ich mich wie ein Gadendiener mondierte.

Man saget aber, wann ein Ding nit sein soll, so geschiehet es nicht. Das erfuhr ich auch; dann da wir den Rhein hinunterfuhren und das Schiff zu Rheinhausen visitiert ward, erkannten mich die Philippsburger, welche mich wieder anpackten und nach Philippsburg führeten, allda ich wieder wie zuvor einen Musketierer abgeben mußte, welches meinen guten Kornett ja so sehr verdroß als mich selbsten, weil wir uns wiederum scheiden[39] mußten. So dorfte er sich auch meiner nicht hoch annehmen, dann er hatte mit ihm selbst zu tun, sich durchzubringen.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 36-40.
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