Der Frühling

[8] Der frohe Frühling kömmt heran,

Der Schnee dem Klee entweichet;

Der Lenz, der bunte Blumenmann,

Mit linden Winden häuchet.

Die Erd' eröffnet ihre Brust,

Mit Saft und Kraft erfüllet;

Der zarte West, der Felder Lust,

Hat nun den Nord gestillet.


Es hat der silberklare Bach

Den Harnisch ausgezogen,

Es jagt die Fluth der Fluthe nach,

Durch bunten Kies gesogen.

Das Thauen nun die Auen frischt,

Die weiße Wollenheerde

Auf neubegrüntem Teppich tischt

Und tanzet auf der Erde.[9]


Man hört die heisre Turteltaub',

Die Schwalb' und Nachtigallen.

Das grünlichweiße Blüthenlaub

Muß aus den Knospen fallen

Und bauen diesen Schattenthron

Den Luft- und Feldergästen.

Die Rose hebt die Dornenkron'

Auf schwachen Stachelästen.


Die Sonne wieder stärker scheint

Und machet früher wachen.

Allein die dürre Rebe weint,

Wann Feld und Wälder lachen.

Die hochgeschätzte Tulipan,

Das Sinnbild auf dem Beete,1

Zieht ihre fremden Kleider an

Und pranget in die Wette.[10]


Ach Gott, der du mit so viel Gut

Bekrönst des Jahres Zeiten,

Laß uns auch mit erfreutem Muth

Zum Paradies bereiten,

Da wir dich werden für und für,

Die höchste Schönheit, finden,

Dagegen diese schnöde Zier

Ist eitler Staub der Sünden.


Fußnoten

1 Tulipae Hortorum Emblemata.


Quelle:
Auserlesene Gedichte von Georg Philipp Harsdörffer, Johann Klaj, Sigmund von Birken, Andreas Scultetus, Justus Georg Schottel, Adam Olearius und Johann Scheffler, Leipzig 1826, S. 8-11.
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