Abendlied

[27] G.P.H.


Von der Ewigkeit.


Nach der Stimme: An Wasserflüssen Babylon usw.


1.

Es hat nunmehr die Abendröt

Den Purpur ausgebreitet,

In dem die Sonne Meerwarts geht

Und lange Schatten leitet.

Die Sonn, ein Bild der Ewigkeit,

Tagt wiederumb zur MorgenZeit

Und machet uns bedencken,

Daß unsre Seel' auch ewigt sey

Wie Gott, der sie geschaffen frey,

Ohn Ziel und Zahl-beschrencken.


2.

Gleich wie der guldne Sonnen Stral

Pflegt Pfeilgeschwind zu streichen,

So hat GOTT seiner Allmacht mahl

Den Menschen wollen zeichen.

Er heisst mit Fug der Erst und Letzt,

Der uns so Tags, so Nachts ergötzt

Als Wercke seiner Hände.

Gott ist gewesen vor der Zeit,

Und für ihm bleibets stetig Heut

Ohn Anfang und ohn Ende.[27]


3.

Gott wohnt in einem hellen Liecht,

Das kein Mensch mag erkennen:

So kan niemand bedencken nicht,

Was Ewigkeit zu nennen;

Dann ihre Zahl ist mehr dann viel

Und ist ein Wesen sonder Ziel,

Ein Abgrund ohn ergründen,

Der Gleichnisweis ist eine Nacht,

Die Sinn und Augen finster macht

Und sich nicht lässt erfinden.


4.

Von Ewigkeit zu Ewigkeit

Ist GOTT der HERR gewesen,

Der uns vor aller Zeiten Zeit

Zum Leben auserlesen,

Wenn wir nicht selbst durch Sünd und Schand,

Verlierend solchen Engel Stand,

Der Höllen Tod erwehlen

Und in des Hertzes letztem Bruch

Den Segen wandlen in den Fluch

Zum Schaden unsrer Seelen.


5.

O Ewig, Ewig fort und fort,

Wer kan dich doch ausdencken?

Du bist ein schweres Donner-Wort

Und musst die Sünder kräncken,

Die Ewig leiden alle Qual,

Weil sie versaumt die Gnaden-Wahl

Auf dieses Lebens Schwelle.

Wir bitten dich, HERR Jesu Christ,

Der du uns Ewig gnädig bist:

Behüt uns für der Hölle!


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 5, Hildesheim 1964, S. 27-28.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Rameaus Neffe

Rameaus Neffe

In einem belebten Café plaudert der Neffe des bekannten Komponisten Rameau mit dem Erzähler über die unauflösliche Widersprüchlichkeit von Individuum und Gesellschaft, von Kunst und Moral. Der Text erschien zuerst 1805 in der deutschen Übersetzung von Goethe, das französische Original galt lange als verschollen, bis es 1891 - 130 Jahre nach seiner Entstehung - durch Zufall in einem Pariser Antiquariat entdeckt wurde.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon