(CXLV.)

Die verliebte Selbst-Mörderin.

[511] Die Liebes Neigung bey der Jugend kan mit Fug blind genennet werden / in dem der Verstand dardurch so geblendet und vertunkelt wird / daß ein solcher auch wider sich selbsten zu wüten und zu rasen pfleget /daher Sirach recht ermahnet man solle doch in allen Sachen das Ende bedencken / so werde uns solches von den Sünden abhalten. Wann man aber dollkühn durchbrechen wil / so setzet man sich unbedacht in Leibs und Seelen Gefahr / wie / unter andern / auch aus folgender Geschichte zu ersehen seyn wird.

2. Ein Rechtsgelahrter zu Orleans hatte eine sehr schöne Tochter / Namens Margarita / welcher höfliche und holdselige Sitten über alle massen liebte ein Student / Wilhelm genannt / dessen Jugend / gute Geberden und Verstand der Jungfrauen nicht entgegen waren. Einsten / als sie mit andrer Gesellschafft spatzierten / und dem Studenten zu singen aufgeleget wurde / sein Pfand in dem Gesprächspiele wieder zu lösen / hat er ein Liedlein folgendes Inhalts von dem Irrgarten bey welchem sie waren / hören lassen.[511]


1.

Meine Sinne sind verwirret /

und auf jedem Weg verirret /

mehr als dieser Labyrinth.

ich pfleg' hin und her zu wallen /

bald zu stehen / bald zu fallen /

folgend einem blinden Kind.


2.

Ich bin Theseus welcher jrret /

den der Zweiffel-Gang verwirret:

aber aus dem Labyrinth /

werd ich durch den Faden wallen /

Ariadne zu gefallen /

den ich an den Eingang bind.


4. Nach deme nun unter diesen zweyen aus der Kundschafft Freundschafft / aus der Freundschafft Vertrauligkeit / aus der Vertrauligkeit brünstige Liebe worden / sind sie bey einer Basen der Margareta vielmals zusammen gekommen / weil ihr Vater ein ernstlicher Mann / und die Studenten in seinem Hause nicht gerne gesehen / sondern als unverschämte Mucken von dem Honig Wax verjaget. Beeder Verliebten Absehen war der H. Ehestand / und hetten lieber tausend Tod gewůnschet / als sich sündlich zu vergreiffen. Auf einen Abend sange er in sein Lautenspiel folgende Verßlein.


Sonnet oder Klingreimen.

Du bist mein treuer Zeug / O finstre Schatten Nacht!

Du weist was ich erdult' in meinem jungen Hertzen.

Du hörest meine Klag in dem ich bin erwacht /

und weist wie mich der Traum pflegt in dem Schlaff zu schertzen.

Ich spüre fort und fort der Liebe starcke Macht /

ich schau' / als mich bedünckt / Cupido Flammen Kertzen.[512]

Wann ich die schöne Sonn' entschlaffend hab betracht /

so brennet mich die Glut mit angenehmen Schmertzen.

Wann kommet doch der Tag / der meine Plage heilet?

Wann kommet doch die Zeit die meinen Sinn vergnüget?

Was mir das Liecht versagt / der Schatten Traum ertheilt /

und mit der Liebsten Bild erfreuet und betrüget.

Wann kommet doch die Stund / das Monat oder Jahr /

Daß dieser falsche Traum im Werke werde wahr.


5. Hierdurch wurde auch anders theils die Liebes Neigung außgewürket / daß diese beede je mehr und mehr entbranden / durch die Poetischen Gedichte (welche jener mit Fug der Liebe Zunder und Schwefel Holtz genennet) gleichsam angezündet. Diese papierene Waare / ich sage die Verse / sind dem Studenten unschwer gefallen / und hat er keine Begebenheit unterlassen / solche anzubringen. Als sie auf eine Zeit /mit einander spatzirten / und Margareten Rößlein angetroffen / hat er ohne vorsinnen / folgenden Inhalts gesungen.


1.

Mir behaget lieb zu kosen

diese Margariten Rosen /

aller Blumen Ruhm und Preiß.

Ich betrachte mit verlangen

ihre Farbe rot und weiß

wie der Margariten Wangen.

Dieser holden Blumen Ruch' /

ist mein allerliebstes Buch.


2.

Eine Musa mir beliebet /

die mich in den Versen übet.[513]

Was die andren mögen seyn /

laß ich in der Schule stehen /

als gemalter Göttin Stein:

Diese pflegt mit mir zu gehen.

Sie erfreuet meinen Mut /

mit der Schönheit Heurat-Gut.


3.

Mir behaget ihre Tugend /

ihr Verstand und ihre Jugend /

ihre Stimm und roter Mund

ihre Lippen und Geberden

weisen ihres Hertzen Grund /

dem Verliebsten auf der Erden.

doch verlang' ich nichts nicht mehr /

als was willigt Zucht und Ehr.


7. Also hat sich dieser beeden jungen Leuten Liebe / wol angefangen / und wie wir melden wollen / sehr übel geendet. Ich sage junge Leute / dann die Jungfrau nicht über 18. der Student aber bey 20. Jahren auf sich hatte. Als sie nun fast täglich mit einander Sprache zu halten pflegten / ist bey vielen / so sie gesehen ungleicher Verdacht entstanden / daß die Base /in welcher Behausung sie zusammen gekommen /Margaritam gewarnet / sie solte zu böser nachrede nicht Ursach geben / und gedenken / daß solche ihrem Herrn Vatern zu Ohren / und sie dardurch in grosse Ungunst kommen könte. Die Jungfrau antwortete /daß ihre Liebe zu ehlicher Verbindnis ziele und in den Schrancken der Erbarkeit verbleibe / daß sie sich also dieses Studenten nicht zu schämen. Die Base verwunderte sich über diesen Schluß / und wiese sie auf ihrer Eltern Einwilligen / unter welcher Gewalt sie were /und nicht leicht geschehen lassen würden / daß sie ein Fremder solte ausser Land führen / etc.

8. Nach dem ihr nun die Base versprochen / mit ihrem Bruder von ihrer Verehlichung zu reden / fügte sich / daß der alte Mousson / der Margareta Vater in verbeygehen seine Tochter in deß Studenten[514] Armen ersiehet / deßwegen er sich zwar sehr erzörnet / doch verbey gegangen und seinen Grimm außzuschütten andre Gelegenheit erwartet. Als er nun nachgefraget wer dieses Studenten Eltern / und erfahren / daß es eine anständige Heurat für seine Tochter / hat er doch verschworen sie ihme nicht zu lassen / weil er ihn nicht ansprechen und wie gebräuchlich / die Werbung bey ihme eh angebracht / als er zu ungleichen Gedanken und bösen Nachreden Ursache gegeben.

9. So bald nun Margareta nach Hause kommet /verbietet ihr Vater / daß sie ohne Gesellschafft ihrer Mutter / nicht mehr aus dem Hause gehen solte / bey verlust seiner Gunsten / und Enterbung seiner Güter. Hierauf antwortete sie gar sehr verständig / daß ihme /als einem Vater gebühre Gesetze für zu schreiben / ihr als seine Tochter demselben zu gehorsamen. Der Mutter hatte er auch Befehl gethan / sie solte dieser den Zaum nicht mehr so lang lassen / daß die Freyheit der Jugend ein rechter Irrgarten / darinnen sie sich leichtlich verlieren können.

10. Was nun vorgegangen / berichtete Margareta an ihren Studenten / und sendete ihm den Brief /durch ihre vertraute Magd zu / benebens Versicherung / daß sie in ihrer Liebe beständig bleiben wolte / und keinen / oder ihn zu einem Ehegatten haben. Er hingegen verschriebe sich zu ihrem leibeignen Knecht / der biß in den Tod der ihrige verbleiben würde / etc. »So bald sie solches verstanden / hat sie sich endlich entschlossen lieber zu sterben / als einen andern zu freyen / und ein Denkmal zu hinterlassen daß die Eltern der Kinder Willen nicht tyrannisiren / und ohne genugsame Ursachen / zwingen und gewältigen sollen.«

11. Der Vater hatte sie nun einem andern versprochen / deme sie nicht wiedersprechen dörffen / und wurde der Tag ihrer Trauung benennet / darauf sie sich auch gefast machte / und die Nacht darvor an ihren Vater und an ihren Liebsten Briefe geschrieben /[515] in welchen sie von ihnen mit erbärmlichen Worten Urlaub nahme / und in ihren schönsten Kleidern / als eine Braut geschmücket in dem Hof auf- und abspatziret / und sich nach etlichen vermeinentlich andächtigen Gebetlein / von dem bösen Geist so verblenden lassen / und sie sich in den Brunnen zu stürtzen gewillet / und als sie ihre Magd von sich geschicket ein Betbuch zu holen / hat sie gesagt: Mein Liebster /weil ich mit dem Munde gewilliget / einen andern als dich zu lieben / so wil ich auch mit dem Munde büssen / und dardurch mein Leben enden.

12. Nach diesen Worten wendete sie sich gegen ihres Vaters Schlafkammer / und schrie mit lauter Stimme: Komm nun du Tyrannischer Kinder Mörder /schaue an das Opfer deiner einigen Tochter! Wann du meinen Tod bereuest / so solt du wissen / daß deine Grausamkeit dergleichen verdienet hat. Mit diesen Worten / weil sie ein Gerausch in der Kammer gehört / und ihre Magd wiederkommen / hat sie sich in den Brunnen gestürtzet. Die Magd und der Vater sind zwar fast unbekleidet zu gelauffen / haben ihr zugeruffen / und sie gebetten / sie solte sich an die Brunnen Eimer halten / und versprochen alles zu thun was sie wolte / solte doch nur sich selbsten nicht üm das Leben bringen. Sie aber hat geschrien: Mein Gott erbarme dich meiner / und so stark sich an den Brunnen Seil gehalten / daß der Vater und die Magd sie wiederum heraus gezogen.

13. Weil sie sich nun zerstossen und zerfallen hatte / war zwar der Vater wiederum ein wenig getröstet /liesse sie in ihre Kammer tragen / und verhoffte ihre Genesung; sie aber erkennte ihre Sünde / die sie wieder Gott / ihre Eltern und wieder sich selbst begangen / begehrte deßwegen ihren Beichtvater / der sie nach wahren Zeichen der Buse / GOttes Barmhertzigkeit versichert / und hat sie also mit anbrechendem Morgen ihren Geist aufgegeben. Der Vater hat den hinterbliebenen Brief gelesen / und bitterlich darüber geweinet / wie auch ihre Mutter /[516] die doch an der That nicht schuldig ware / und ihrem Mann vielmals gesagt / daß er / in seinem hohen Alter noch nicht studiret /wie einer verliebten Jungfrauen üm das Hertze sey. Uber diesen Todesfall hat sich am meisten betrübet der Student / welcher aus den hinterlassnen Brieflein verstanden / daß sie wegen seiner lieber sterben / als einem andern zu theil werden wollen: darüber er folgende Grabschrifft gestellet.


14. Unter den berühmten Frauen.

hat Lucretia die Ehr:

so der reinen Keuschheit Lehr /

durch den Selbstmord lassen schauen.

Aber unter den Jungfrauen

hat die Margeris den Preiß

die beständig ohn Geheiß /

ihr den Tod selbst wollen trauen.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 511-517.
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