3. Ninive

[182] Und zum zweitenmal geschah des Herren

Wort zu Jona: Mach dich auf und wandre

in die grosse Ninive und predige

von dem heiligen Zorne deines Gottes,

denn es ist vor mich heraufgekommen

ihre Bosheit, und ich will sie strafen.


Jona hörte und gehorchte. Eilends

brach er auf zum Lande der Assyrer.

Und er kam nach Ninive, der grossen,

die drei Tagereisen lang sich ausdehnt.

Stumm ging Jona eine Tagereise,[182]

aber dann erhob er seine Stimme,

predigte und sprach: Noch vierzig Tage

wird die stolze Ninive sich brüsten –

doch nach vierzig Tagen wird der Herr sie

züchtigen zu ihrer Sünden Ernte

und zerreissen ihrer Mauern Kranz.


Da die Leute solche Predigt hörten,

zog die Furcht in ihre raschen Herzen,

und sie glaubten Gott. Alsbald erhub sich

Wehgeschrei und Klagen durch die Strassen.

Und die Kunde kam auch vor den König.

Der stand auf von seinem goldnen Throne,

legte seinen Purpur ab und hüllte

sich in einen Sack. Drauf liess er ausschrein

als Befehl und aus Gewalt des Königs:


Dass vielleicht sich Gottes Zorn noch wende,

sollen alle, alle Wesen fasten,

Gross und Klein und Mensch wie Thier. Sie sollen

alle sich in härene Säcke hüllen

und sich niederwerfen in die Asche.

Darben soll was Odem haucht und niemand

soll sich selber Speis und Trank gewähren

noch ein Thier zur Tränk und Weide treiben.

Sondern jeder soll vom bösen Wege

ab sich kehren und von seiner Hände

Frevel! – Dass vielleicht wir Gnade fänden,

dass vielleicht sich Gottes Zorn noch wende!
[183]

Als nun Gott die Werke ihrer Reue

sah, erbarmte sich sein Herz des Volkes,

und das Übel, das er durch die Stimme

Jonas, seines Dieners über jene

schon verhängte – that er ihnen nicht an.

Quelle:
Otto Erich Hartleben: Meine Verse. Berlin 1905, S. 182-184.
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