Die Kirschenblüthe

[147] Und wieder wandl ich unter Blüthenbäumen:

weiss alle Zweige, hellbraun erst die Blätter.

In mir ist Ruh, als ob ich horchen müsste,

und sinnend schau ich in das Abendroth. –

Da brech ich eine kleine Kirschenblüthe

und hefte sie mir ernsthaft an den Rock

und gehe weiter. Weiter schau ich schweigend

nach Westen, und mir ist, als würd es dunkler.


Da füllen Thränen plötzlich meine Augen.

Ich wende sie vom Horizonte ab ..

ich bin gequält, doch weiss ich nicht wodurch ..

und ich gewahre, dass die Kirschenblüthe,

die weisse, kaumerschlossne Frühlingsblüthe

mir schon entfallen ist. Umsonst – umsonst

brachst du sie nun, sie haftet nicht bei dir.

Quelle:
Otto Erich Hartleben: Meine Verse. Berlin 1905, S. 147-148.
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