Zehnte Szene

[339] GREGORY tritt auf.

Mein Kardinal, dich bringt ein einzger Ruck

Vielleicht zum Ziel, und meines Schraubenzugs

Bedarfs nicht mehr. Dein Prinz Demetrius

Stach eben einen Odowalsky nieder.

LEGAT.

Um nichts, nicht wahr?

GREGORY.

Ich weiß nicht, wie es kam.

LEGAT.

Das wußte man auch nie bei seinem Vater.

GREGORY.

Die Polen halten über ihn Gericht,

Er selbst bestand darauf.

LEGAT.

Das kann ich denken.

GREGORY.

Der Tod ist ihm gewiß.

LEGAT.

Wenn du versäumst,

Ihm seine letzte Beichte abzunehmen.

GREGORY.

Doch, wenn er um den Hals das Kreuz nicht trägt?

LEGAT.

Dann hättest du den Knaben schlecht gewarnt.

GREGORY.

Ich sagte ihm, sein Leben hinge dran,

Daß ers bewahre und es keinem zeige.[339]

LEGAT.

Ein Kind mit sieben Jahren merkt sich das!

GREGORY.

Doch, wenn es fehlt? Er hats verlieren können!

LEGAT.

Dann wirst du seinen kurzen Arm entdecken

Und schwören, er sei Iwans Sohn.

GREGORY.

Beteuern!

LEGAT.

Beteuern, wenns genügt, sonst aber schwören.

GREGORY.

Doch Iwans Sohn ward vor der Mutter Augen

Getötet.

LEGAT.

Iwans Sohn? Wohl nur der Knabe,

Den seine Mutter dafür hielt.

GREGORY.

Ists möglich?

LEGAT.

Es ist gewiß. Der echte Prinz ist hier.

GREGORY.

[Doch wie!

LEGAT.

Die Kinder wurden umgetauscht,

Bevor man noch das Wiegenkissen rückte,

Und was ermordet ward, ist Bauernfrucht.

GREGORY.

Ich weiß, daß du dein Netz als Meister strickst,

Ich bin ja selbst die erste Masche drin,

Doch darauf war ich nicht gefaßt.

LEGAT.

Es war

Voraus zu sehn, wie alles kommen mußte,

Wenn Iwan starb. Der kranke Feodor,

Der neben seinem Wüterich von Vater

Als blasser Schatten zitterte, versprach

Kein langes Leben, und dem jüngsten Prinzen

War seine Krone schon im Mutterleib

Gewiß.

GREGORY.

So dachte alles, das ist wahr.

LEGAT.

Wer Boris aber kannte, wußte auch,

Daß dieses Kind dem kaiserlichen Bruder

Im Tod voran gehn oder folgen würde,

Weil es ihm selbst den Weg zum Thron vertrat.

Dies stand so fest, wie der Planetentanz,

Sobald ein Knabe kam, und dessen sich

Sogleich bemächtgen, hieß ihn selbst für ewig

Zum Schuldner machen, seinen Retter aber

Zum Herrn des Zaren und des Zarenreichs.

GREGORY.

Er ist in deiner Hand. Du kannst ihn heben[340]

Und stürzen, wie du willst.]

LEGAT.

So ists. Es gilt

Das heilge Werk, das tausend Mal mißlungen,

Doch abertausend Mal mit frischen Kräften

Begonnen und vollendet werden muß,

Und legten wir auch erst am Jüngsten Tage

Den letzten Stein mit unserm letzten Schweiß.

Der Rock des Herrn, zerrissen und zersplissen,

Ist immer noch das teure Bild der Kirche,

Und ehe wir ihn neu zusammenstückten,

Ist nichts geschehn, wie viel wir auch getan.

Man muß des Übels Wurzel endlich treffen,

Und dazu hab ich eine Axt geschmiedet,

Wie sie der Papst noch nie geschwungen hat.

Der Zarewitsch ist unser, seinen Raub

Setzt ich als Preis der Absolution

Für einen Mord, der eingebeichtet ward,

Und er gelang; er ist bis diesen Tag

Noch ungetauft und braucht die Ketzerei

Nicht abzuschwören, die ihn nie befleckt.

Du rettest ihn noch heut vom zweiten Tode

Und öffnest ihm die Augen über sich,

Ich aber komme mit dem Fischerring

Und sprech ihm feierlich die Krone zu,

Die Boris sündgen Scheitel jetzt bedeckt.

Wird er nicht Wachs in meinen Händen sein?

Und darf ich, wenn ich das durch ihn vollbringe,

Was zwölf Jahrhunderte umsonst versuchten,

Nicht ganz so würdig, wie der große Gregor,

Der Deutschlands Kaiser-Zepter einst zerbrach,

Mich niedersetzen auf Sankt Peters Stuhl?

GREGORY.

Wenn du durch ihn das Schisma tilgen kannst,

Das Morgenland und Abendland gespalten,

So hast du mehr getan, als Hildebrand.

LEGAT.

Und warum sollt ich nicht? In Deutschland selbst,

Wo die verruchte Schlange, welche Adam

Zu Fall gebracht, noch spukt bis diesen Tag

Und, immer neue Ketzereien brütend,[341]

Ihr letztes Gift im Luther ausgeschäumt:

In Deutschland selbst ist man der Völker sicher,

Wenn man den Fürsten hat, denn diese müssen

Ihm in den Himmel, wie zur Hölle, folgen,

Und ob er dreimal wechselt mit dem Weg.

Wie denn erst hier, wo ein Wassiljewitsch,

Der seinen eignen Erben mit dem Hammer

Darnieder schlug und die Bojaren köpfte,

Als wärens Disteln, von der blöden Menge

Bis heut beweint wird, ja zurück ersehnt?

Der Zar von Moskau tut, was ihm gefällt,

Und Gott allein ist mächtiger, als er.

GREGORY.

Der Geist des Herrn sei über dir!

LEGAT.

Er ists!

Ich bin ein armes Bauernkind und habe

Die Schweine manches liebe Jahr gehütet,

Zufrieden, wenn mir keins im Herbste fehlte,

Und glücklich, wenn ich einen Sack erhielt,

Um meine Blöße kümmerlich zu decken,

Sobald der Winter das Quartier bezog.

Jetzt darf ich eines Werks mich unterfangen,

Vor dem die Kirche selbst verzweifelnd steht:

Wie käme das an mich, wenn nicht durch ihn?

Dies Wunder, das ich an mir selbst erfuhr,

Wiegt mir die andern alle auf, ich bin,

Wie ein beseelter Scherben, sollt ich staunen,

Wenn ich die Lahmen gehn, die Tauben hören,

Die Toten aus den Grüften schreiten sähe?

Ich selbst war lahm und taub und tot, wie sie.


Nach einer Pause.


Jetzt tu das Deinige! Ich folge nach.


Beide ab.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 339-342.
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