Frühlingslied

[154] Ringt um des Jubels Krone!

Die Sonne ruft zum Strauß

Vom blauen Himmelsraume,

Auch schaut aus jedem Baume

Der Frühling schon heraus.


Ringt um des Jubels Krone!

Das Veilchen ist schon da

Und sendet seine Düfte

Verschwendrisch in die Lüfte

Und würzt sie fern und nah'.


Ringt um des Jubels Krone!

Die Lerche trinkt den Hauch

Und schmettert ihre Lieder

In frohem Dank hernieder

Und weckt den Menschen auch.


Ringt um des Jubels Krone!

Das Mägdlein, das ihr lauscht,

Erglüht im tiefsten Herzen

Und fühlt die süßen Schmerzen,

Die sie noch nie berauscht.


Ringt um des Jubels Krone!

Der Jüngling ahnt sein Glück,

Und als er ihr mit Beben

Den ersten Kuß gegeben,

Giebt sie ihn halb zurück.[154]


Ringt um des Jubels Krone!

Ihr seht, daß jeder Lust

Ein Funke sich verbündet,

An dem sie weiter zündet

In einer fremden Brust.


Ringt um des Jubels Krone!

Dieß ist das Weltgebot.

Die trunkenste der Seelen

Wird Gott sich selbst vermählen

Durch sel'gen Freudentod.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Sämtliche Werke. 1. Abteilung: Werke, Berlin [1911 ff], S. 154-155.
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