Waldeinsamkeit

[79] Ich hab in meinen Jugendtagen

Wohl auf dem Haupt einen Kranz getragen;

Die Blumen glänzten wunderbar,

Ein Zauber in dem Kranze war.


Der schöne Kranz gefiel wohl allen,

Doch der ihn trug, hat manchem mißfallen;

Ich floh den gelben Menschenneid,

Ich floh in die grüne Waldeinsamkeit.


Im Wald, im Wald! da konnt ich führen

Ein freies Leben mit Geistern und Tieren;

Feen und Hochwild von stolzem Geweih,

Sie nahten sich mir ganz ohne Scheu.


Sie nahten sich mir ganz ohne Zagnis,

Sie wußten, das sei kein schreckliches Wagnis;[79]

Daß ich kein Jäger, wußte das Reh,

Daß ich kein Vernunftmensch, wußte die Fee.


Von Feenbegünstigung plaudern nur Toren –

Doch wie die übrigen Honoratioren

Des Waldes mir huldreich gewesen, fürwahr,

Ich darf es bekennen offenbar.


Wie haben mich lieblich die Elfen umflattert!

Ein luftiges Völkchen! das plaudert und schnattert!

Ein bißchen stechend ist der Blick,

Verheißend ein süßes, doch tödliches Glück.


Ergötzten mich mit Maitanz und Maispiel,

Erzählten mir Hofgeschichten zum Beispiel:

Die skandalose Chronika

Der Königin Titania.


Saß ich am Bache, so tauchten und sprangen

Hervor aus der Flut, mit ihrem langen

Silberschleier und flatterndem Haar,

Die Wasserbacchanten, die Nixenschar.


Sie schlugen die Zither, sie spielten auf Geigen,

Das war der famose Nixenreigen;

Die Posituren, die Melodei,

War klingende, springende Raserei.


Jedoch zuzeiten waren sie minder

Tobsüchtig gelaunt, die schönen Kinder;

Zu meinen Füßen lagerten sie,

Das Köpfchen gestützt auf meinem Knie.


Tällerten, trillerten welsche Romanzen,

Zum Beispiel das Lied von den drei Pomeranzen,

Sangen auch wohl ein Lobgedicht

Auf mich und mein nobeles Menschengesicht.
[80]

Sie unterbrachen manchmal das Gesinge

Lautlachend, und frugen bedenkliche Dinge,

Zum Beispiel: »Sag uns, zu welchem Behuf

Der liebe Gott den Menschen schuf?


Hat eine unsterbliche Seele ein jeder

Von euch? Ist diese Seele von Leder

Oder von steifer Leinwand? Warum

Sind eure Leute meistens so dumm?«


Was ich zur Antwort gab, verhehle

Ich hier, doch meine unsterbliche Seele,

Glaubt mir's, ward nie davon verletzt,

Was eine kleine Nixe geschwätzt.


Anmutig und schalkhaft sind Nixen und Elfen;

Nicht so die Erdgeister, sie dienen und helfen

Treuherzig den Menschen. Ich liebte zumeist

Die, welche man Wichtelmännchen heißt.


Sie tragen Rotmäntelchen, lang und bauschig,

Die Miene ist ehrlich, doch bang und lauschig;

Ich ließ nicht merken, daß ich entdeckt,

Warum sie so ängstlich die Füße versteckt.


Sie haben nämlich Entenfüße

Und bilden sich ein, daß niemand es wisse.

Das ist eine tiefgeheime Wund',

Worüber ich nimmermehr spötteln kunnt.


Ach Himmel! wir alle, gleich jenen Zwergen,

Wir haben ja alle etwas zu verbergen;

Kein Christenmensch, wähnen wir, hätte entdeckt,

Wo unser Entenfüßchen steckt.
[81]

Niemals verkehrt ich mit Salamandern,

Und über ihr Treiben erfuhr ich von andern

Waldgeistern sehr wenig. Sie huschten mir scheu

Des Nachts wie leuchtende Schatten vorbei.


Sind spindeldürre, von Kindeslänge,

Höschen und Wämschen anliegend enge,

Von Scharlachfarbe, goldgestickt;

Das Antlitz kränklich, vergilbt und bedrückt.


Ein güldnes Krönlein, gespickt mit Rubinen,

Trägt auf dem Köpfchen ein jeder von ihnen;

Ein jeder von ihnen bildet sich ein,

Ein absoluter König zu sein.


Daß sie im Feuer nicht verbrennen,

Ist freilich ein Kunststück, ich will es bekennen;

Jedoch der unentzündbare Wicht,

Ein wahrer Feuergeist ist er nicht.


Die klügsten Waldgeister sind die Alräunchen,

Langbärtige Männlein mit kurzen Beinchen,

Ein fingerlanges Greisengeschlecht;

Woher sie stammen, man weiß es nicht recht.


Wenn sie im Mondschein kopfüber purzeln,

Das mahnt bedenklich an Pissewurzeln;

Doch da sie mir nur Gutes getan,

So geht mich nichts ihr Ursprung an.


Sie lehrten mir kleine Hexereien,

Feuer besprechen, Vögel beschreien,

Auch pflücken in der Johannisnacht

Das Kräutlein, das unsichtbar macht.
[82]

Sie lehrten mich Sterne und Zeichen deuten,

Sattellos auf dem Winde reiten,

Auch Runensprüche, womit man ruft

Die Toten hervor aus ihrer Gruft.


Sie haben mir auch den Pfiff gelehrt,

Wie man den Vogel Specht betört

Und ihm die Springwurz abgewinnt,

Die anzeigt, wo Schätze verborgen sind.


Die Worte, die man beim Schätzegraben

Hinmurmelt, lehrten sie mich, sie haben

Mir alles expliziert – umsunst!

Hab nie begriffen die Schatzgräberkunst.


Wohl hatt ich derselben nicht nötig dermalen,

Ich brauchte wenig, und konnt es bezahlen,

Besaß auch in Spanien manch luftiges Schloß,

Wovon ich die Revenuen genoß.


Oh, schöne Zeit! wo voller Geigen

Der Himmel hing, wo Elfenreigen

Und Nixentanz und Koboldscherz

Umgaukelt mein märchentrunkenes Herz!


Oh, schöne Zeit! wo sich zu grünen

Triumphespforten zu wölben schienen

Die Bäume des Waldes – ich ging einher,

Bekränzt, als ob ich der Sieger wär!


Die schöne Zeit, sie ist verschlendert,

Und alles hat sich seitdem verändert,

Und ach! mir ist der Kranz geraubt,

Den ich getragen auf meinem Haupt.
[83]

Der Kranz ist mir vom Haupt genommen,

Ich weiß es nicht, wie es gekommen;

Doch seit der schöne Kranz mir fehlt,

Ist meine Seele wie entseelt.


Es glotzen mich an unheimlich blöde

Die Larven der Welt! Der Himmel ist öde,

Ein blauer Kirchhof, entgöttert und stumm.

Ich gehe gebückt im Wald herum.


Im Walde sind die Elfen verschwunden,

Jagdhörner hör ich, Gekläffe von Hunden;

Im Dickicht ist das Reh versteckt,

Das tränend seine Wunden leckt.


Wo sind die Alräunchen? Ich glaube, sie halten

Sich ängstlich verborgen in Felsenspalten.

Ihr kleinen Freunde, ich komme zurück,

Doch ohne Kranz und ohne Glück.


Wo ist die Fee mit dem langen Goldhaar,

Die erste Schönheit, die mir hold war?

Der Eichenbaum, worin sie gehaust,

Steht traurig entlaubt, vom Winde zerzaust.


Der Bach rauscht trostlos gleich dem Styxe;

Am einsamen Ufer sitzt eine Nixe,

Todblaß und stumm, wie 'n Bild von Stein,

Scheint tief in Kummer versunken zu sein.


Mitleidig tret ich zu ihr heran –

Da fährt sie auf und schaut mich an,

Und sie entflieht mit entsetzten Mienen,

Als sei ihr ein Gespenst erschienen.
[84]

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 79-85.
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