Spanische Atriden

[85] Am Hubertustag des Jahres

Dreizehnhundertdreiundachtzig

Gab der König uns ein Gastmahl

Zu Segovia im Schlosse.


Hofgastmähler sind dieselben

Überall, es gähnt dieselbe

Souveräne Langeweile

An der Tafel aller Fürsten.


Prunkgeschirr von Gold und Silber,

Leckerbissen aller Zonen,

Und derselbe Bleigeschmack,

Mahnend an Lokustes Küche.


Auch derselbe seidne Pöbel,

Buntgeputzt und vornehm nickend,

Wie ein Beet von Tulipanen;

Nur die Saucen sind verschieden.


Und das ist ein Wispern, Sumsen,

Das wie Mohn den Sinn einschläfert,

Bis Trompetenstöße wecken

Aus der kauenden Betäubnis.


Neben mir, zum Glücke, saß

Don Diego Albuquerque,

Dem die Rede unterhaltsam

Von den klugen Lippen floß.


Ganz vorzüglich gut erzählte

Er die blut'gen Hofgeschichten

Aus den Tagen des Don Pedro,

Den man »König Grausam« nannte.
[85]

Als ich frug, warum Don Pedro

Seinen Bruder Don Fredrego

Insgeheim enthaupten ließ,

Sprach mein Tischgenosse seufzend:


»Señor! glaubt nicht, was sie klimpern

Auf den schlottrigen Gitarren,

Bänkelsänger, Maultiertreiber,

In Posaden, Kneipen, Schenken.


Glaubet nimmer, was sie faseln

Von der Liebe Don Fredregos

Und Don Pedros schöner Gattin,

Doña Blanka von Bourbon.


Nicht der Eifersucht des Gatten,

Nur der Mißgunst eines Neidharts

Fiel als Opfer Don Fredrego,

Calatravas Ordensmeister.


Das Verbrechen, das Don Pedro

Nicht verzieh, das war sein Ruhm,

Jener Ruhm, den Doña Fama

Mit Entzücken ausposaunte.


Auch verzieh ihm nicht Don Pedro

Seiner Seele Hochgefühle

Und die Wohlgestalt des Leibes,

Die ein Abbild solcher Seele.


Blühend blieb mir im Gedächtnis

Diese schlanke Heldenblume;

Nie vergeß ich dieses schöne

Träumerische Jünglingsantlitz.
[86]

Das war eben jene Sorte,

Die geliebt wird von den Feen,

Und ein märchenhaft Geheimnis

Sprach aus allen diesen Zügen.


Blaue Augen, deren Schmelz

Blendend wie ein Edelstein –

Aber auch der stieren Härte

Eines Edelsteins teilhaftig.


Seine Haare waren schwarz,

Bläulichschwarz, von seltnem Glanze,

Und in üppig schönen Locken

Auf die Schulter niederfallend.


In der schönen Stadt Coimbra,

Die er abgewann den Mohren,

Sah ich ihn zum letzten Male

Lebend – unglücksel'ger Prinz!


Eben kam er vom Alkanzor,

Durch die engen Straßen reitend;

Manche junge Mohrin lauschte

Hinterm Gitter ihres Fensters.


Seines Hauptes Helmbusch wehte

Frei galant, jedoch des Mantels

Strenges Calatrava-Kreuz

Scheuchte jeden Buhlgedanken.


Ihm zur Seite, freudewedelnd,

Sprang sein Liebling, Allan hieß er,

Eine Bestie solzer Rasse,

Deren Heimat die Sierra.
[87]

Trotz der ungeheuern Größe

War er wie ein Reh gelenkig,

Nobel war des Kopfes Bildung,

Ob sie gleich dem Fuchse ähnlich.


Schneeweiß und so weich wie Seide

Flockten lang herab die Haare;

Mit Rubinen inkrustieret

War das breite goldne Halshand.


Dieses Halshand, sagt man, barg

Einen Talisman der Treue;

Niemals wich er von der Seite

Seines Herrn, der treue Hund.


O der schauerlichen Treue!

Mir erbebet das Gemüte,

Denk ich dran, wie sie sich hier

Offenbart vor unsern Augen.


O des schreckenvollen Tages!

Hier in diesem Saale war es,

Und wie heute saß ich hier

An der königlichen Tafel.


An dem obern Tafelende,

Dort, wo heute Don Henrico

Fröhlich bechert mit der Blume

Kastilian'scher Ritterschaft –


Jenes Tags saß dort Don Pedro

Finster stumm, und neben ihm,

Strahlend stolz wie eine Göttin,

Saß Maria de Padilla.
[88]

Hier am untern End' der Tafel,

Wo wir heut die Dame sehen,

Deren große Linnenkrause

Wie ein weißer Teller aussieht –


Während ihr vergilbt Gesichtchen

Mit dem säuerlichen Lächeln

Der Zitrone gleichet, welche

Auf besagtem Teller ruht:


Hier am untern End' der Tafel

War ein leerer Platz geblieben;

Eines Gasts von hohem Range

Schien der goldne Stuhl zu harren.


Don Fredrego war der Gast,

Dem der goldne Stuhl bestimmt war –

Doch er kam nicht – ach, wir wissen

Jetzt den Grund der Zögerung.


Ach, zur selben Stunde wurde

Sie vollbracht, die dunkle Untat,

Und der arglos junge Held

Wurde von Don Pedros Schergen


Hinterlistig überfallen

Und gebunden fortgeschleppt

In ein ödes Schloßgewölbe,

Nur von Fackelschein beleuchtet.


Dorten standen Henkersknechte,

Dorten stand der rote Meister,

Der, gestützt auf seinem Richtbeil,

Mit schwermüt'ger Miene sprach:
[89]

›Jetzt, Großmeister von San Jago,

Müßt Ihr Euch zum Tod bereiten,

Eine Viertelstunde sei

Euch bewilligt zum Gebete.‹


Don Fredrego kniete nieder,

Betete mit frommer Ruhe,

Sprach sodann: ›Ich hab vollendet‹,

Und empfing den Todesstreich.


In demselben Augenblicke,

Als der Kopf zu Boden rollte,

Sprang drauf zu der treue Allan,

Welcher unbemerkt gefolgt war.


Er erfaßte, mit den Zähnen,

Bei dem Lockenhaar das Haupt,

Und mit dieser teuern Beute

Schoß er zauberschnell von dannen.


Jammer und Geschrei erscholl

Überall auf seinem Wege,

Durch die Gänge und Gemächer,

Treppen auf und Treppen ab.


Seit dem Gastmahl des Belsazar

Gab es keine Tischgesellschaft,

Welche so verstöret aussah

Wie die unsre in dem Saale,


Als das Ungetüm hereinsprang

Mit dem Haupte Don Fredregos,

Das er mit den Zähnen schleppte

An den träufend blut'gen Haaren.
[90]

Auf den leer gebliebnen Stuhl,

Welcher seinem Herrn bestimmt war;

Sprang der Hund und, wie ein Kläger,

Hielt er uns das Haupt entgegen.


Ach, es war das wohlbekannte

Heldenantlitz, aber blässer,

Aber ernster, durch den Tod,

Und umringelt gar entsetzlich


Von der Fülle schwarzer Locken,

Die sich bäumten wie der wilde

Schlangenkopfputz der Meduse,

Auch wie dieser schreckversteinernd.


Ja, wir waren wie versteinert,

Sahn uns an mit starrer Miene,

Und gelähmt war jede Zunge

Von der Angst und Etikette.


Nur Maria de Padilla

Brach das allgemeine Schweigen;

Händeringend, laut aufschluchzend,

Jammerte sie ahndungsvoll:


›Heißen wird es jetzt, ich hätte

Angestiftet solche Mordtat,

Und der Groll trifft meine Kinder,

Meine schuldlos armen Kinder!‹«


Don Diego unterbrach hier

Seine Rede, denn wir sahen,

Daß die Tafel aufgehoben

Und der Hof den Saal verlassen.
[91]

Höfisch fein von Sitten, gab

Mir der Ritter das Geleite,

Und wir wandelten selbander

Durch das alte Gotenschloß.


In dem Kreuzgang, welcher leitet

Nach des Königs Hundeställen,

Die durch Knurren und Gekläffe

Schon von fernher sich verkünd'gen,


Dorten sah ich, in der Wand

Eingemauert und nach außen

Fest mit Eisenwerk vergattert,

Eine Zelle wie ein Käfig.


Menschliche Gestalten zwo

Saßen drin, zwei junge Knaben;

Angefesselt bei den Beinen,

Hockten sie auf fauler Streu.


Kaum zwölfjährig schien der eine,

Wenig älter war der andre;

Die Gesichter schön und edel,

Aber fahl und welk von Siechtum.


Waren ganz zerlumpt, fast nackend,

Und die magern Leibchen trugen

Wunde Spuren der Mißhandlung;

Beide schüttelte das Fieber.


Aus der Tiefe ihres Elends

Schauten sie zu mir empor,

Wie mit weißen Geisteraugen,

Daß ich schier darob erschrocken.
[92]

»Wer sind diese Jammerbilder?«

Rief ich aus, indem ich hastig

Don Diegos Hand ergriff,

Die gezittert, wie ich fühlte.


Don Diego schien verlegen,

Sah sich um, ob niemand lausche,

Seufzte tief und sprach am Ende,

Heitern Weltmannston erkünstelnd:


»Dieses sind zwei Königskinder,

Früh verwaiset, König Pedro

Hieß der Vater, und die Mutter

War Maria de Padilla.


Nach der großen Schlacht bei Narvas,

Wo Henrico Transtamare

Seinen Bruder, König Pedro,

Von der großen Last der Krone


Und zugleich von jener größern

Last, die Leben heißt, befreite:

Da traf auch die Bruderskinder

Don Henricos Siegergroßmut.


Hat sich ihrer angenommen,

Wie es einem Oheim ziemet,

Und im eignen Schlosse gab er

Ihnen freie Kost und Wohnung.


Enge freilich ist das Stübchen,

Das er ihnen angewiesen,

Doch im Sommer ist es kühlig,

Und nicht gar zu kalt im Winter.
[93]

Ihre Speis' ist Roggenbrot,

Das so schmackhaft ist, als hätt es

Göttin Ceres selbst gebacken

Für ihr liebes Proserpinchen.


Manchmal schickt er ihnen auch

Eine Kumpe mit Garbanzos,

Und die Jungen merken dann,

Daß es Sonntag ist in Spanien.


Doch nicht immer ist es Sonntag,

Und nicht immer gibt's Garbanzos,

Und der Oberkoppelmeister

Regaliert sie mit der Peitsche.


Denn der Oberkoppelmeister,

Der die Ställe mit der Meute

Sowie auch den Neffenkäfig

Unter seiner Aufsicht hat,


Ist der unglücksel'ge Gatte

Jener sauren Zitronella

Mit der weißen Tellerkrause,

Die wir heut bei Tisch bewundert,


Und sie keift so frech, daß oft

Ihr Gemahl zur Peitsche greift –

Und hierher eilt und die Hunde

Und die armen Knaben züchtigt.


Doch der König hat mißbilligt

Solch Verfahren und befahl,

Daß man künftig seine Neffen

Nicht behandle wie die Hunde.
[94]

Keiner fremden Mietlingsfaust

Wird er ferner anvertrauen

Ihre Zucht, die er hinfüro

Eigenhändig leiten will.«


Don Diego stockte plötzlich,

Denn der Seneschall des Schlosses

Kam zu uns und frug uns

Höflich: ob wir wohlgespeist? – –


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 85-95.
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