[156] Ich träume mein Leben
Hinab in die Tiefen,
Ich tauch' in die Gründe
Des Schicksals den Blick.
Es glühen und schweben
Die Hieroglyphen –
Wer ganz sie verstünde,
Erführ' sein Geschick.
Wie mag ich sie deuten,
Die zuckenden Zeichen,
Bald leuchtend wie Flamme,
Bald schattenbedeckt?:[156]
»Du willst es erbeuten,
Du sollst es erreichen,
Du bist von dem Stamme,
Den Irrtum nicht schreckt.
Sonst lägest vernichtet
Du längst von Dämonen,
Die frech dich bedrängten
Mit furchtbarer Macht;
Sonst hättest verzichtet
Du droben zu thronen,
Und dich verhängten
Die Schatten der Nacht.
Nun bist du geborgen
Vor schmählichen Schlingen,
Sie liegen zerrissen
Von trotziger Kraft –
Kein zehrendes Sorgen
Soll je dich bezwingen,
Kein zages Gewissen
Dich wieder erschlafft.
Sprich, kannst du's verspüren,
Was leise wir raunen,
Kannst weise du lösen
Die Rätsel der Schrift?:
Dein Blut wird dich führen
Durch Zickzack und Launen,[157]
Bis grade dein Wesen
Sein Königtum trifft.
Denn du bist von jenen,
Die nimmer zu leiten
Von anderen Händen,
Bestimmung und Rat;
Selbsteigenes Sehnen
Muß stark dir bereiten
Und mutig vollenden
Den fährlichen Pfad.
So lasse dich walten
Und walte du deiner,
Mit wachem Besinnen
Dir selber vertraut!
Du sollst dich entfalten
Nur freier und reiner,
Und ganz sie gewinnen,
Die schönste, die flammenumschlungene Braut.«
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Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica
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