Vertrauen

[119] Herr! laß mich tief bedenken

Dein Lieben, Deinen Tod,

Die Sinne mein versenken

In Deine Wunden roth!


Mag bleichen und verschwinden

Des Lebens Flitterzier;

Sie soll mein Herz nicht binden,

Du, Jesus! stehst bei mir.


Giebst Du mir Ehr' und Freuden,

So halte mich Dir treu;

Giebst Du mir Schmach und Leiden,

So steh' mir siegend bei.


Herr! laß mich Dich nur finden,

Zieh ganz mich hin zu Dir;

Willst Du Dich mir verbinden,

Was gilt die Erde mir!
[120]

Laß mich nur treu verbleiben,

Ich weiß, Herr! Du bist mein.

Nichts soll von Dir mich treiben,

Dein will ich ewig sein. –


O wann – wann kommt die Stunde,

Da Dich mein Auge sieht,

Da vom erblaßten Munde

Der letzte Hauch entflieht? –


Ich kenne Deine Treue:

Einst werd' ich Dir vereint,

Wenn ich in Lieb' und Reue

Hier meine Schuld beweint.


Ich kenne Dein Erbarmen:

Es wird die Zeit erfüllt,

Da sich in Deinen Armen

Mein banges Sehnen stillt.


Und quält mich rastlos Sehnen,

Drückt schwer des Lebens Joch,

So fragen stille Thränen:

O Herr! wie lange noch?


Düsseldorf, 1820.


Quelle:
Louise Hensel: Lieder. Paderborn 41879, S. 119-121.
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