Der Kirchenraub in der St. Anna-Capelle

[259] Könnt' ich doch mit hellen Engelzungen

Allen guten, frommen Menschenseelen,

Was mein Ohr vernommen, wieder sagen!


Ach! vielleicht, daß noch ein Herz erwachte,

Noch ein Auge weinte wie das meine,

Noch ein Seufzer auf zum Himmel strebte.


Doch weil Alle Andres sich erzählen

Und weil Niemand da, der mich verstände,

Will ich's dir, mein stilles Blatt, vertrauen.


Nicht gar fern vom schönen Strom des Rheines

Steht auf einer immer grünen Aue

Eine reich geschmückte Dorf-Capelle.
[259]

Und darin ein lieblich Bild der Mutter,

So die heil'ge Jungfrau uns geboren,

Die wir nimmer würdig preisen mögen.


Rings im Kirchlein stehn viel heil'ge Bilder,

Reich geschmückt mit lichten, bunten Steinen,

Auf den Häuptern zierlich goldne Kronen.


Und das Kirchlein birgt viel Goldgefäße,

Die geweiht sind, Christi Leib zu fassen,

Wenn der Priester Brod und Wein gesegnet.


Einst hatt' unter frommen Christen mitten

Sich ein teuflisch Herz hineingeschlichen,

Glaub' und Lieb' und fromme Demuth heuchelnd.


Als der Priester unsern Herrn emporhob,

Daß die Christenschaar Ihn betend ehre,

Hat er nur den goldnen Kelch beachtet.


Als die Frommen ihren Herrn empfangen,

Dankend dann zu ihren Hütten kehrten,

Da der Priester sprach das letzte Amen:
[260]

Lag er noch wie im Gebet versunken,

Sann am heil'gen Ort auf List und Tücke,

Heimlich lauschend nach der Hand des Priesters.


Dieser, unter heiligen Gebeten,

Legt, was übrig war an heil'gen Hostien,

In den prächtigsten Pokal des Altars.


Ging dann, sich noch einmal tief verneigend,

Fromm sich segnend mit dem Kreuzeszeichen

Und nahm Wasser aus dem Weihgefäße.


Und auch jener, der so gleißend kniete,

Kam, taucht' ein in's Gott geweihte Wasser,

Schlich dann heim in seine düstre Wohnung.


»Nicht verträgt das helle Licht der Sonne,«

Sprach er bei sich selbst, »so finstre Werke,

Wie ich heut zu thun beschlossen habe.«


»Darum in den Stunden nächt'gen Dunkels,

Wenn die Gegend einsam ist und öde,

Nehm' ich mir, was mir mein Herz genommen.«
[261]

Und er zählte ruhelos die Stunden,

Bis des lieben Gottes klare Sonne

Hinter Bergen sich versenken mußte.


Und nun kam er in der stillen Mai-Nacht

– Nicht den Duft der lieblichen Viole,

Nicht den Sang der Nachtigall vernahm er –


Stieg in's niedre Fenster der Capelle,

Brach mit frecher Hand den Tabernakel,

Nahm den Becher mit dem Hochgelobten.


Und nun ging er hin, ein zweiter Judas,

Trug das Heil'ge in unwürd'gen Händen,

Daß er heimlich selbst darob erbebte.


Doch er sprach, im Bösen sich zu stärken:

»Ei, mein Herz, wie bist du fromm und schüchtern;

Willst du etwa gut und gläubig werden?«


»Weißt du nicht mehr, daß kein Gott im Himmel,

Daß in diesem Brod kein Gott enthalten,

Daß das Gold dein Gott ist und sonst Keiner?«
[262]

»Sieh, im kühnen Frevel mich zu stärken,

Werf' ich lachend hier das Brod zur Erde,

Daß sich Wind und Regen darin theilen.«


Und er schleuderte die heil'gen Hostien

Höhnend nieder auf den thau'gen Boden,

Ging, den Kelch beim Juden zu verhandeln.


Aber sanft auf Moos und Frühlingsblumen

War im Fallen Christi Leib gesunken

Und die Blümlein freuten sich der Ehre.


Aber nicht, wie jener Frevler wollte,

Hat die zärtliche Gestalt des Brodes

Regen oder Wind zerstören mögen.


Nicht ein Tröpflein Thau's durft' Ihn berühren;

Denn der ew'ge Vater will nicht haben,

Daß »Sein Heil'ger die Verwesung sehe«.


Einst am schönsten, klarsten Sommermorgen

Kam ein frommer Schäfer mit der Heerde,

Sang ein Lied zum Preis des guten Hirten,
[263]

Brach im Gehn sich manche schöne Blume,

Freute sich des Duftes und der Farbe,

Dankte Gott, der sie der Erde schenkte.


Und er wollte längs den Schlehen wandeln,

Aber seine Heerde, sonst so folgsam,

War von dieser Stelle nicht zu locken.


Ja, wohl rührend muß es sein gewesen:

Als er umsah, knieten alle Schäflein

Fromm wie betend auf dem grünen Rasen.


Und er wußte nicht, wie ihm geschahe,

Und sein frommes Herz fing an zu beben,

Nieder zog es ihn zu seinen Schafen.


Und er kniet, und weiß es nicht, wie lange,

Betet, doch nicht weiß er, was er betet,

Freut sich, und nicht kennt er seine Freude.


Aber plötzlich sieht im Klee der Wiese

Und in Blumen er die Hostien liegen,

Wie vor Monden sie geraubet worden.
[264]

Ganz in Wehmuth will sein Herz sich lösen,

Doch ermannt er sich und läßt die Heerde,

Eilt zum Pfarrer, frohe Kunde bringend.


Dieser kommt mit allen seinen Priestern,

Fromm geschmückt mit kirchlichen Gewanden

Und umgeben von dem gläub'gen Volke.


Fromme Mägdlein, Kränz' und Kerzen tragend,

Nahen unter frohem Fahnenschwingen,

Um den Zug des Heilands zu begleiten.


Und der Priester mit geweihten Händen,

Sprechend alt-katholische Gebete,

Legt in reines Gold die heil'gen Hostien.


Schreitend unter seidnem Baldachine

Dann bei Glockenklang und heil'gem Singen

Trug er wieder sie zur Dorf-Capelle. –


Doch den Armen hat man nie gefunden,

Der den Herrn verwarf um Gold und Silber,

Und ich gönn' ihm seinen armen Götzen.
[265]

Aber wohl die demuthvolle Liebe,

Die der fromme Hirt im Busen hegte,

Wünsch' ich meinem Herzen auch zu haben.


Und auf jener Stelle, wo den Heiland

Man gefunden in des Grases Blumen,

Steht jetzt eine Kirche, Ihm zur Ehre;


Und darinnen hängt in vielen Bildern,

Fein gemalt von einem frommen Maler,

Die Geschichte von dem Kirchenraube.


Doch vor Allen rührend ist das Bildniß

Von dem Hirten und den frommen Schäflein,

Wie sie knien auf blumenreichem Rasen.

Quelle:
Louise Hensel: Lieder. Paderborn 41879, S. 259-266.
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Lieder (Ausgabe von 1879)
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