Mariä Heimsuchung

[233] O Jungfrau, welch ein sel'ger Gruß

Erfüllt Dein Herz mit Freude!

Wie eilt Dein leichtbesohlter Fuß

Hin über blühende Haide!


Es duftet süß der Thymian,

Gestreift von Deinem Saume.

Die Blumen sehn Dich wonnig an;

Wie rauscht's im Palmenbaume!


Leicht eilst Du über Bergeskamm,

Die Andacht giebt Dir Schwingen.

Die lieben Vögel wonnesam

Die schönsten Lieder singen. –
[234]

O nimm mich mit, o Jungfrau rein!

Will Dir Dein Bündlein tragen;

Will fromm auch und andächtig sein,

Kein einzig Wörtlein sagen. –


Da steht im Abendschein das Haus,

Drin walten Fried' und Segen,

Die greise Freundin schaut heraus

Und eilt Dir froh entgegen.


Ihr Gruß tönt Dir wie Engels Gruß,

Der noch im Herzen klinget.

Demüthig sinkt sie Dir zu Fuß,

Die zärtlich sie umschlinget.


Und hell erschallt Dein Hochgesang,

Das höchste aller Lieder;

Die Himmel lauschen seinem Klang,

Der Erdball hallt ihn wieder.

Quelle:
Louise Hensel: Lieder. Paderborn 41879, S. 233-235.
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Lieder (Ausgabe von 1879)
Lieder: Ausgabe von 1879
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