Ich schaue nach den Bergen, von denen mir Hilfe kommt

[182] Ich lieg' im dunkeln Thale,

So öd' und schauerlich,

Und sehne nach dem Strahle

Des neuen Morgens mich.


Es hat mit Eis umgeben

Der Winter meine Brust;

Es schwieg in mir das Leben,

Der Liebe reine Lust.


Nach Dem ich mich muß bangen,

Der einzig treu und rein:

Ich kann Ihn nicht erlangen

Und kann nicht ohn' Ihn sein. –
[183]

Weht hin, ihr milden Lüfte,

Durch Seiner Locken Zier

Und bringt der süßen Düfte

Von Seinen Bergen mir! –


Ich schau' empor, die Hügel,

Sie stehn so eng' um mich;

O, hätt' ich Taubenflügel,

Mein Freund! ich fände Dich. –


Wann kommst Du, mein Verlangen?

Wann küsset mich Dein Mund?

Wann wird von stetem Bangen

Mein sterbend Herz gesund?


O, möcht' ich Deine Spuren

In dieser Wüst' erspähn:

Es würden bald die Fluren

In hellen Blüthen stehn.


O, dürft' ich Licht und Wonne

Aus Deinen Augen ziehn,

Mir brauchte keine Sonne

Am Himmel mehr zu glühn! –
[184]

Ohn' Ihn ist Alles trübe,

Das Herz so krank und schwer,

Kein Trost und keine Liebe

Auf weiter Erde mehr.


O, daß die Still' erbebte

Von Seinem süßen Ruf!

O, daß Er mich belebte,

Der mir das Leben schuf!


Sondermühlen, 1822.


Quelle:
Louise Hensel: Lieder. Paderborn 41879, S. 182-185.
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