[An Fräulein Emilie Piaste]

[169] An Fräulein Emilie Piaste,

Die ich ach so gerne heut umfaßte,

Damit sie den wichtigen Brief auch bald hätte,

Schick ich ihn durch eine Pantoffel-Stafette.


Den Fingerhut ich schicke dir,

Das hübsche Liedchen auch allhier,

Und auch erfolgt ein Gruß von mir.


Gib Kind, Antonen diesen Kamm. –

Wenn deine Hand dies Briefchen nahm,

Sitz' ich an meinem Nähe-Rahm.


Und sticke auf den weißen Grund

Viel lustige Blümchen hübsch und bunt

Und denke dein zu jeder Stund.
[169]

Gern stickt' ich zarte Rosen mir,

Dann hätt' ich deine Wangen hier

Und sehnte mich nicht so nach dir.


Doch weil Mamsell la Garde gebot,

So stick' ich nach der neusten Mod'

Des garstigen Klatschmohns dunkles Rot.


Das ist zu meinem größten Leid,

Zu meiner tiefsten Bänglichkeit,

Kein Bild von dir, du ros'ge Maid!


Nun greif ich bald mit frohem Sinn,

Um deinen Wuchs mir zu erziehn,

Nach meiner Stengel sanftem Grün.


Doch alles will mich heut verwirr'n,

Nur dicke Knubel schafft mein Zwirn,

Kein Bild von dir, du schlanke Dirn.


Nun stellt' ich deiner Augen Blau

So gern der kranken Brust zur Schau

Und finde – rötlich blasses Grau.


Und was auch meine Sehnsucht klagt,

Und was auch meine Liebe wagt,

Kein Bild von dir, blauäug'ge Magd!


Nun sag mir eins noch ganz gewiß:

Hast Hoffnung du zu dem Servis?

Sag mir, o trautes Mägdlein dies.


N.S.

Grüß mir die muntre Schwester fein,

Auch Doris soll gegrüßet sein. –

Laß brennen gleich dies Briefelein.

Quelle:
Frank Spiecker: Luise Hensel als Dichterin. Evanston 1936, S. 169-170.
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