[241] Lange führeten die Brüder,
König Sancho in Kastilien,
In Galizien Don Garzia,
An der Reiche Grenzen Krieg.
Endlich trafen sie zusammen;
Und von beiden Seiten fielen
Tapfre Männer, bis Don Sancho,
Sancho selbst gefangen ward.
Nahe wars, daß, der mit Unrecht
Krieg begonnen, ihn mit Schande
Endigte; denn unter allen
Streitenden war König Sancho
Wohl an Leibeskraft der Stärkste,
Doch der Feigeste an Mut.
Alvar Fañez, er, der erste
Freund des Cid, kaum sieht den König
Er gefangen, drängt er stürmend
An den Platz des Unglücks ein.
»Laßt den König, ihr Verräter!«
Ruft er wütend, und sie flohen,
Die harten Asturier.
[241]
Frei stand also König Sancho.
Doch die Schlacht, sie war verloren;
Übrig waren dem Befreiten
Kaum sechshundert Kastilianer.
Wie? Sechshundert Kastilianer?
Für die ganze weite Erde
Sind sie gnug, wenn Cid sie führt!
An kommt er. Auf seinem Rosse,
Als ihn Sancho kommen siehet,
Ruft er laut zu seinem Heer:
»Auf, von neuem in das Treffen!
Bald ist jetzt das Schlachtfeld unser,
Denn der Cid ist da! Willkommen,
Cid! Ihr kommt zu rechter Zeit.«
Ernst antwortet ihm Rodrigo:
»Und Ihr, Herr, zu sehr unrechter
Trafet Ihr auf diesen Platz.
Besser wäret Ihr am Grabe
Eures Vaters stehngeblieben,
Betend, mit gefaltnen Händen,
Als im ungerechten Kriege
Mit dem Bruder einzuernten
Eures Vaters harten Fluch.
Ungern nehm ich Don Garcia
Jetzt gefangen; für die Ehre,
Für den Dienst muß ich es tun,
Muß ihn nehmen oder sterben
Als ein Kriegsmann. Euch, o König,
Bringet hier in diesem Felde
Weder Sieg noch Niederlage
Ruhm; Euch schändet dieser Krieg.«
Eben trat Garcia singend
Auf den Kampfplatz, tief unwissend,[242]
Was geschehn war und geschah.
Stracks erklangen die Drommeten,
Die Drommeten und die Zinken;
Neue Brüderschlacht begann.
Und in Mitte seiner Edlen
Ward Garcia bald gefangen.
»Ach, was tut Ihr, edler Cid?«
»König, was für Euch ich täte,
Wenn Ihr mein Gebieter wäret.
Jetzt will es das Schicksal also;
Unterzieht Euch ihm, wie ich!«
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