46.

[288] Laut von Priestern und von Kriegern

Ward die Messe Cids gesungen[288]

Und das heilige Geheimnis

Mit Drommeten laut begrüßt;

Zimbeln klangen, Pauken schallten,

Daß die heiligen Gewölbe

Bebten; aller Krieger Herzen,

Der dreihundert Unverzagten,

Füllt ein neuer Heldenmut

Zu dem Kampf entgegen Mauren,

Mauren in Valencia.


Als geweihet war die Fahne,

Nahm der Cid sie in die Hand;

Also sprach er: »Arme Fahne

Eines armen und verbannten

Kastilianers, nach dem Segen,

Den auf dich der Himmel legte,

Mangelt dir nur Spaniens Achtung;

Und die sag ich dir vorher.«


Hiemit rollt er auf die Fahne,

Hebt sie schwingend in die Lüfte:

»Sieg und Ruhm wird dich begleiten,

Fahne, bis vielleicht du fliegest

Neben Königes Panier.

Don Alfonso, Don Alfonso,

Unter der Sirenen Sange

Schlummerst du; dir drohet Unglück,

Wenn du, wenn du nicht erwachst.


Krieger«, sprach er, »ists nicht also?

Wir sind aufgeweckt. Entehret

Wären wir, die etwas wert sind,

Dort, wo keiner etwas taugt.

Achtung und Verdienst, sie haben

Nur an ihrer Stelle Wert.
[289]

Eingewiegt von den Sirenen,

Schlummert dort der tapfre König;

Nutzen wir den tiefen Schlummer,

Die Boshaften zu erschrecken,

Nicht am Hofe sondern fern!

Fürchterlicher ist den Bösen

Nichts als derer, die sie hassen,

Fern erworbner schöner Ruhm.

Tausend edle Herzen seufzen,

Ingeheim verfolgt von Bösen;

Glücklich, wenn, sie zu enthüllen

Vor dem Angesicht des Weltalls,

Sich, wie uns, der Anlaß beut.


Edle Fahne, in den Lüften

Flattre stolz, die Zuflucht aller,

Die das Laster seufzen macht!«


Nieder senkt' er jetzt die Fahne:

»Tapfre Krieger, meine Freunde!

Rache des Vasallen gegen

Seinen angebornen Herrn,

Auch gerecht erscheint sie immer

Nur als Aufruhr und Verrat.

Die Beleidigung verschmerzen,

Ist das Merkmal höhrer Seelen,

Ob sie sie gleich tief gefühlt.

Gölt es Rache, mir entflöhen

Meine Feinde nicht; ich folgte

Ihnen nach zum Firmament.


Hier, o Krieger, in des Friedens

Und der Liebe heilger Wohnung,

Hier blas ich jetzt in die Lüfte

Das Gedächtnis meiner Schmach.

Jegliches Gefühl der Rache
[290]

Geb ich atmend hin den Winden;

Einzig trag ich meine Waffen,

Die ich für mich selbst anlegte,

Einzig trag ich für Kastilien

Sie und für die Christenheit.

Hab ich Stärke gnug, so pflanz ich

Meine Fahne gen Toledo,

Und was dort ich dann erwerbe,

Heiße Neu-Kastilien.


Unterdes für jetzt, ihr Freunde,

Da uns eine Herberg fehlet,

Ist uns baldigst die Erobrung

Eines kleinen Schlosses not.

Wer auf mehr als Ehre wartet,

Der verlasse mein Panier!«


Hiermit hob er auf die Fahne:

»Edle Fahne, schwinge, schwinge

Dich entfaltend durch die Lüfte!

Klarinetten und Drommeten,

Tönt! Ihr Trommeln und ihr Pauken,

Euer Samtgehall erschrecke

Nur die Schwachen und die Bösen

Und der falschen Heuchler Zunft!«

Quelle:
Herders Werke in fünf Bänden, Band 1, Weimar 1963, S. 288-291.
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