[Nachschrift]

[135] So weit die Unterredung, die wie es das Wort Gespräch ohnedies andeutet, jedem Lesenden sein Urtheil lassen, indem sie nur unter sich, nicht für Andre definiren.

Von je her hat es zwei Gattungen Philosophen gegeben, Philosophen aus Ueberzeugung und aus Ueberredung, Sach- und Wortphilosophen. Von der ersten, nicht von der zweiten Art war Spinoza. Er sagt: »Niemand, der eine wahre Idee hat, ist darüber unwissend, daß eine wahre Idee auch die größte Gewißheit einschließe; denn eine wahre Idee haben, heißt nichts Anders als die Sache recht und vollkommen erkennen. An einer solchen Sache kann gewiß nur Der zweifeln, der die Idee für ein stummes Gemälde an der Wand hält, nicht für eine Weise zu denken, nämlich für das Verstehen selbst; denn, ich bitte, wer kann wissen, daß er eine Sache verstehe, ohne daß er sie verstehe? d.i. wer kann wissen, daß er einer Sache gewiß sei, ohne daß er ihrer gewiß sei? Sodann, giebt es etwas Kläreres und Gewisseres zur Richtschnur der Wahrheit als eine wahre Idee? Gewiß wie das Licht sich selbst und die Finsternisse offenbart, so ist die Wahrheit Richtschnur ihrer selbst und Unterscheidung vom Falschen.73 – Ich maße mir nicht an, die beste Philosophie erfunden zu haben; aber daß ich die wahre Philosophie einsehe, das weiß ich. Fragst Du, wie ich das wisse, so antworte ich: wie daß die drei Winkel eines Triangels zweien rechten Winkeln gleich sind. Daß dies hinreiche, wird kein gesundes Hirn leugnen; denn was wahr ist, zeigt sich und zugleich das Falsche74 Ein Philosoph solcher Art hat mit Dialektikern nichts gemein, denen die Wahrheit zu setzen und wegzuräumen gleichgiltig ist, weil sie ihnen nur ein Wort kostet.

Um nichts gab sich also Spinoza so viel Mühe, als Einsicht und Einbildung, Begreifen und Dichten strenge zu sondern. Wie[135] hart er mit den Fictionen der Einbildungskraft umgeht, zeigt sein Theologisch-politischer Tractat; mehrere Scholien seiner Ethik, mehrere seiner Briefe zeigen, wie genau er Wissen vom Träumen und auch in jenem die verschiednen Stufen des Wissens, Erkennens und Einsehens unterscheide.75Am Klärsten zeigt es sein Tractat von Verbesserung des Verstandes,76 für dessen Vollendung man Manches geben würde. Ein Philosoph der Art konnte mit Blendwerken nichts zu thun haben, die auch in der Speculation als Schemate umhergaukeln sollen, den begreifenden, fassenden, verstehenden Verstand aus sich selbst in Irren umherzuführen. »Zu wissen, daß ich wisse, muß ich nothwendig zuerst wissen; die Weise, wie wir das formelle Wesen empfinden, ist die Gewißheit selbst. Zur Gewißheit des Wahren bedarf es keines andern Zeichens, als daß man eine wahre Idee habe; und was die höchste Gewißheit sei, kann nur Der wissen, der die vollständige Idee einer Sache hat; Gewißheit und das objective Wesen eines Dinges sind eins. Es ist also nicht die wahre Methode, ein Zeichen der Wahrheit zu suchen, nachdem man Ideen erlangt hat; die wahre Methode ist vielmehr der Weg, die Wahrheit selbst, d.i. die objectiven Wesen der Dinge oder die Ideen ( alle drei Namen bedeuten Eins und Dasselbe) in gehöriger Ordnung zu erlangen. Nothwendig muß also die Methode vom Verständniß (intellectione) reden; nicht, daß sie selbst das Vernunftschließen zum Verständniß der Ursachen der Dinge sei, viel weniger ist das Verstehen dieser Ursachen selbst; sie ist das Verstehen, was eine wahre Idee sei, indem sie diese von andern Vorstellungen unterscheidet und ihre Natur erforscht, so daß wir daher unsre Macht zu verstehen kennen lernen und unsern Verstand so innehalten, daß er nach dieser Norm alles Verstehbare verstehe; wozu sie ihm als Hilfsmittel gewisse Regeln giebt und macht daß er sich nicht mit nutzloser Arbeit ermüde. Methode ist also nichts als ein reflexives Erkenntniß, d.i. die Idee der Idee; und weil es keine Idee geben kann, es sei denn vorher eine Idee da, so kann es auch keine Methode geben, wenn nicht vorher die Idee da ist. Eine gute Methode wird also die sein die zeigt, wie nach der Norm einer gegebnen wahren Idee der Verstand zu leiten sei. Und da das Verhältniß zwischen zwei Ideen mit dem Verhältniß zwischen den formellen Wesen dieser[136] Ideen einerlei ist, so folgt, daß die reflexive Erkenntniß der Idee des vollkommensten Wesens vor der reflexiven Erkenntniß aller übrigen Ideen vorzüglicher sein muß; mithin wird die vollkommenste Methode die sein, die nach Norm der gegebnen Idee des vollkommensten Wesens zeigt, wie der Verstand zu leiten. Hieraus erhellt auch, wie, je mehr der Verstand versteht, er dadurch zugleich Werkzeuge gewinne, leichter und mehr zu verstehen; denn (wie aus dem Gesagten klar ist) vor allem Andern muß in uns eine wahre Idee als ein angebornes Werkzeug existiren, durch deren Verständniß zugleich der Unterschied begriffen wird, der sich zwischen einer solchen und jeder andern Vorstellung findet. Und da es durch sich klar ist, daß der Verstand auch sich selbst um so besser verstehe, je mehrere Dinge der Natur er versteht, so sieht man, daß dieser Theil der Methode um so vollkommener sein werde, je mehrere Dinge der Verstand einsieht, und daß die Methode dann die vollkommenste sein müsse, wenn der Verstand nach dem Erkenntniß des vollkommensten Wesens aufmerkt oder reflectirt. Je mehrere Dinge er kennt, desto besser versteht er seine eignen Kräfte und der Natur Ordnung; je besser er seine Kräfte versteht, desto leichter kann er sich selbst ordnen und sich Regeln vorschreiben; je besser er die Ordnung der Natur versteht, desto leichter kann er sich vom Unnützen zurückhalten; worin, wie wir gesagt haben, die ganze Methode besteht. Daß unser Verstand ein reines Abbild der Natur sei, muß er alle deine Ideen aus der Idee hervorbringen, die den Ursprung und Urquell der ganzen Natur darstellt, damit sie auch Quell aller andern Ideen werde.«77

So dachte Spinoza, und alle Geister, die wahrer Ideen, d.i. des Verstehens fähig und in dem Maße, als sie dessen fähig waren, dachten wie er. Sie entsagten der dichtenden Imagination und schieden sich von Blendwerken und Wortlarven. Verstandne Begriffe sind dem Spinoza das Wesenhafte, Lebendige, Wahre; Bildworte gelten ihm nichts; er gebraucht sie als algebraische Zeichen.

Was das Aeußere seiner Methode anlangt, so weiß Jeder, der die strenge synthetische Methode versucht hat, ihre Schwierigkeiten. Oft haben einzelne Glieder ihre Kette eine besondre Analyse und Deduction nöthig, die man, wenn uns ein dergleichen Glied als aus dem Vorhergehenden nicht-folgend auffällt, geduldig[137] anstellen, nicht aber, weil man sie nicht anzustellen vermag, leugnen oder verwerfen muß. Aus einem, dem reichsten und vollständigsten Begriff leitet Spinoza Alles her; in ihm hat und genießt er Alles.

Wiefern unter allen Nationen, in den verschiedensten Ausdrücken und Vorstellungsarten Andre, die Einfalt und Wahrheit liebten, d.i. denen die Idee des Einen, Wahren als Norm aller Erkenntniß und Methode lebendig eingeprägt war, an dieser großen und einfachen Denkart Theil nahmen: dies zu zeigen, wäre ein lehrreicher, aber zu weit führender Lustweg. Juden und Christen, Griechen und Indier, Speculanten mit Kopf und Herz, Scholastiker und Mystiker nahmen daran Theil; denn Spinoza's Philosophie war lange vor ihm und wird lange nach ihm bleiben. Oft waren Die, die am Schärfsten gegen ihn, d.i. gegen seine mißverstandnen oder übel gewählten Ausdrücke stritten, wenn sie sich selbst erklären wollten oder mußten, in seinen oder ihren eignen, jetzt besser, jetzt schlechter gewählten Ausdrücken seines Glaubens, des innern Glaubens nämlich an eine einzige, lebendig empfundene, Allem zum Grunde liegende Idee des Wahren, Guten und Schönen, ohne welche alle unser Sprechen und Schreiben Tand bleibt. Statt dieser zahlreichen Mitzeugnisse, die einem andern Ort aufgespart werden, stehe eine posthume Stelle Lessing's hier (die wenigstens zeigen mag, daß ihm Spinoza's System kein Scherz war) und, von Shaftesbury versificirt, ein Naturhymnus.

73

Ethic., P. II. Prop. 43, Schol. P. 80.

74

Epist. 74. P. 612.

75

Z.B. Schol. zu Prop. 40, 43, 44, 49 u.s.w.

76

P. 366-392.

77

De emend. intellect., p. 367 f.

Quelle:
Herders Werke. Berlin [o.J.], S. 135-138.
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