[140] Empfangt mich, Fluren! Heilige Wälder, nehmt,
Dem Stadtgeräusch entronnen, den Wandrer auf,
Der hier in Euren Schatten Ruhe
Sucht und Erquickung! Gewährt sie hold ihm!
Heil Euch, Ihr grünen frohen Gefilde! Heil,
Des stillen Segens Wohnungen, Euch! Und Euch
Ihr reiz- und schmuckbekränzten Fernen,
Heil Euch und Allem, was in Dir lebet,
Du Aufenthalt glückseliger Menschen, die,
Entfernt dem Neide, ferne der Thorheit, hier
Unschuldig, still und froh und munter
Leben und, große Natur, Dich anschauen!
Natur! der Schönen Schönste, Du Gütige!
Allliebend, werth, von Allen geliebt zu sein,
Ganz göttlich, weisheitvoll, voll Anmuth,
Alles Erhabenen hoher Inhalt,
Der Gottheit Freundin, weise Statthalterin
Der Vorsicht, oder – Schöpferin, Schöpfer selbst? –
O Schöpfer, sieh, ich knie und bete,
Bete Dich an in der heil'gen Halle
Des hohen Tempels. Dein, o Erhabner, ist
Dies Schweigen; Dein ist diese Begeisterung,
Die mich, obwol in unharmonisch
Lautenden Tönen zu singen antreibt.
Der Wesen Einklang, Ordnung und Harmonie
Des Weltalls, die sich, o Unerforschlicher,
Du alles Schönen Quell und Ausguß,
Meer des Vollkommnen, in Dich sich auflöst,
[140]
In dessen Fülle alle Gedanken ruhn,
In dem die Schwingen jeglicher Phantasie
Ermatten, sonder End' und Ufer,
Ueberall Mittelpunkt, nirgend Umkreis.
So oft ich ausflog, kehrt' ich zurück in mich,
Von meinem Nichts, von Deiner Unendlichkeit
Durchdrungen; und ich wag' es dennoch,
Dich zu ergründen, Gedankenabgrund?
Dich zu erkennen, ewige Schönheit, Dich
Beherzt zu lieben, sehnend zu nahen Dir,
Dazu erschufst Du mich und gabst mir
Regung und Willen; o, gieb mir Kräfte!
Sei Du mein Beistand! Wenn ich im Labyrinth
Der Schöpfung forsche, leite den Forscher Du,
Der mich mit Geist und Lieb' erfüllte,
Führe den Liebenden zu Dir selbst hin!
Allbelebender Geist, o Du Begeisterer,
Kraft der Kräfte, Du Quell jeder Veredelung,
Quell auch meiner Gedanken,
Inhalt meiner Gedankenkraft,
Unermüdet und stets unwiderstehbar regst
Du zum neuen Genuß Alles im Reich der Macht;
Unter heil'gen Gesetzen
Wechseln Leben und leben neu.
Froh gerufen zum Licht, schauen sie und vergehn
Fröhlich schauend, damit Anderes auch den Strahl
Dieser Sonne genieße
Und am Leben sich Alles freu'.
Unerschöpflicher Quell, Allem mittheilend sich,
Unversiegbar; es stört nichts die geschäft'ge Hand,
Die kein Pünktchen verabsäumt,
Nichts verlässet mit ihrer Huld
[141]
Der Verwesung selbst grause Naturgestalt
(Schaudernd zittern von ihr Blick und Gedanken weg)
Ist die Pforte zum Leben,
Neuer Jugend Erschafferin,
Schauplatz ewiger Kunst! Alles ist Weg und Ziel,
Zweck und Mittel. Es gehn Welten in Welten auf
Unsern Sinnen; Unendlich
Kleines wird uns unendlich groß!
Welt der Wunder! In ihr strebet ein Wesen fort
(Ist's ein Wesen?), das, sich immer mittheilend, nie
Stirbt; es strebet in tiefster
Ruh'; wir nennen Bewegung es.
Dort ein ander Gespenst, unserm Begriff zu klein
Und zu groß: es entschlüpft jetzt wie ein Augenblick,
Schwillt jetzt, unserer Schranken
Spottend, auf bis zur Ewigkeit.
Wir begreifen es nicht; aber wir nennen's Zeit,
Uns was endlos umher Alles umfasset, Raum.
Und – o tiefes Geheimniß,
Unser Denken, Empfinden Du!
Uns das eigenste Selbst, und das gewisseste
Aller Wesen (es sei Alles ein Schattentraum,
Mein Empfinden ist Wahrheit;
Mein Gedanke, Vernunft besteht),
In ihm fühl' ich das Sein höherer, ewiger
Wesen; in ihm das Sein Deiner, o Urbild Du
Deiner Werke, Du wohnest
Höchstwahrhaftig in mir, in mir!
Du Sternenhimmel, funkelnder Sonnen Raum!
Wer zählt die Sonnen? wer, die noch Niemand sah?
Und mißt von Welten dort zu Welten,
Misset von allen den Raum zu uns dann?
[142]
O Unermessner! Jede der Sonnen regt
Ein Heer von Erden. Jede der Sonnen wallt
In Straßen, deren kleiner Schimmer
Uns ein Gewölk ist, in sich ein Weltall.
Dort unsre Sonne! Heiliger Tagesbrunn,
Lichtquell und Quell des wärmenden Lebens! Sanft
Und stark wirksame Flamm', ergossen
Ringsum und in sich gedrängt, ein Lichtball.
Allmächtig Wesen, Bild des Allmächtigen,
Des Weltenhalters, Grund der belebten Welt!
An Anmuth unvergänglich ewig –
Ewig ein Jüngling und schön und lieblich.
Kaum bist Du sterblich, hohes Geschöpf. Wer tränkt,
Die immer ausgießt, labende Ströme stets
Vergeudend, die stets unerschöpfbar
Segnet von oben, wer tränkt und stärkt Dich?
Erfreut zu werden, schweben in lebender
Bewegung viele Erden um sie. Zu ihr
Gezogen als zu ihrer Mutter,
Drängen sie sich, und ein anderer Zwang hält
Sie still umkreisend. Mächtiger Hausherr, welch
Ein Geist belebt sie! Gossest Du Seel' in sie?
Wie oder fügtest Du dem Aether
Mächtig sie ein und dem Hauch der Winde,
Der Winde, Deiner Diener? Wer hält den Bau
Jedweder Welt zusammen? und dreht den Ball
Der Erd' um ihren Punkt, indeß ihr,
Ihr und der Sonne getreu, der Mond folgt?
Was bist Du, Erde, zu dem Gewalt'gen dort?
Zur Sonne? was zum Heere der Sonnen? was
Zum Unermeßlichen? Und dennoch
Bist Du so groß zu dem Nichts, dem Menschen!
Dem Menschen, der, von himmlischem Geist belebt,
Von Dir sich aufwärts, auf zu dem Vater schwingt,
Zum Mittelpunkt der Seelen, sicher,
Wie sich der Körper zu seinem Punkt drängt.
[143]
O, drängten alle Geister zu ihrem Ziel
Sich so beständig! Doch der das Chaos schied
Und sang die Welt in Harmonieen,
Wird auch die Geister in Ordnung singen.
Unglückseliges Volk, Menschen! Warum entfloht
Ihr der lieblichen Flur lohnender Mühe? Stolz –
Oder hieß Euch ein Dämon
Ruh' verachten und elend sein?
Da kam Uebel und Noth über die Sterblichen!
Kranker, matter Begier ekelte, was die Erd'
Heimisch reichte; sie streiften
Plündernd über das Meer hinaus.
Von den Schätzen der Welt über der Erde Schooß
Ungesättiget, grub mühend die Thorenzunft,
Grub hinein in der Mutter
Eingeweide nach Reichthum hin.
Da auch, göttliche Kunst, herrschetest bildend Du,
In Verwandlungen hier, dort in untrennbaren
Ewig festen Gestalten,
Undurchdringlich dem Forschenden;
Aber giftiger Dampf, der die Geheimnisse
Deiner Werke, Natur, birget, umhüllte schnell
In der grausigen Werkstatt
Die Verwegnen mit Todesdampf.
*
Reine, liebliche Luft! freundliches Tagelicht!
Dich zu schauen auf Dich, Erde, zu treten froh,
Deine Schätze betrachtend –
Welche reinere, süße Luft!
Von der Sonne gewärmt, von dem belebenden
Hauch der Winde gekühlt, wenn sie die Pflanzen hier
Sanft erquicken und läutern
Dort der dampfenden Erde Dunst.
[144]
Regen strömen hinab, neue Befruchtungen;
Denn mit Kräften belebt, Erde, Du Nährerin
Deiner Kinder, die Luft Dich
Frisch, als bildete Gott Dich heut.
*
Und Du schwerere Luft, Wasser, o schön bist Du!
Hell durchscheinend und klar, aber auch harten Sinns,
Wenn Tyrannen Dich pressen;
Sanft geleitet, wie folgst Du gern!
Rinnst, ein spiegelnder Strom, lösest die lockere
Erd' auf, schwemmest der Flur stärkende Nahrung zu,
Die in heilsamer Zwietracht
Blüthen zeuget und Frucht gebiert.
Und zusammengedrängt tief in den Ocean,
Wanderst, leichtes Geschöpf, wieder gen Himmel Du,
Aufgezogen von Lüften;
Schwebst in Wolkengestalt umher,
Und kommst wieder herab, wieder zur lechzenden
Erd' erquickend und füllst Quellen und Ströme neu:
Ringsum lachen die Felder;
Alles Lebende lebt durch Dich.
*
Und Ihr Quellen des Lichts, Meere der leuchtenden
Feuerflammen, wer forscht, und wer umufert Euch?
Ausgegossen ins weite
Weltall, tief in der Erde Schooß
Eingeschlossen. Die Luft dienet Euch willig, trägt
Euch auf Fittigen. Trinkt selber die Sonne nicht,
Trinkt nicht alle das Sternheer
Eure Strahlen und glänzt von Euch?
Lichtquell, heiliger Brunn! Nenn' ich Dich Aether? Dich,
Den Durchdringenden, der Alles erhitzt und wärmt,
Unsern frostigen Erdball
Liebend wärmet bis in sein Herz.
Durch Dich bildeten sich alle Gestalten; Du
Giebst der Pflanze Gedeihn, fachst in der Athmenden
Brust die himmlische Flamm' auf,
Die empfindet und Leben heißt;
[145]
Baust, ernährest und sparst jegliches Werkzeug Dir,
Hältst in glücklicher Ruh', glücklich in Harmonie
Alle Wesen; sie freun sich
Deiner wärmenden Mutterhuld.
Aber brichst Du hervor wüthend in Flammen, brichst
Ueberwältigend Du jede Gestalt und Form,
O, so löset sich Alles
Auf und kehret zurück – in Dich.
Wie matt und träge blicket die Sonne dort
Nach jener schiefen Ferne des Erdenballs!
Lang ist die Winternacht, die dort liegt,
Wenig erfreuend der holde Morgen.
Da rasen Stürme, nimmer ermattend; da
Liegt in krystallnen Wellen das brausende
Unzähmbar-stolze Meer gefangen;
Thäler und Höhen bedeckt die Alpe
Das eis'gen Schneees. Unter ihm liegt der Strom
Erstarrt, erstarret Baum und Gesträuch und Land;
Hineingedrängt in finstre Höhlen,
Zittern die Menschen vor Frost, umheulet
Von hungernd-wilden Bestien. Doch (so groß
Ist Menschenmuth!) sie zittern und zagen nicht
Vor ihnen; Kunst und Klugheit hebt sie
Ueber Gefahren und Nacht und Mangel.
Denn endlich kommt die mächtige Sonne, schmelzt
Hinweg den Schnee und löst die Gefangenen,
Die dann auf einen künft'gen Kerker
Wieder sich rüsten und froh versorgen.
O Kunst und Klugheit! Göttliche Gabe! reich
Geschenk des Himmels! Waffe für jede Noth!
Eisberge schwimmen dort; die Sonne
Riß von einander die mächt'gen Berge,
Und zwischen ihnen drängen sich Ungeheu'r
Der Tiefe; seht! sie schwimmen wie Inseln, groß
Und stark und unbezwinglich Allem,
Göttliche Menschenvernunft, nur Dir nicht.
Hinweg, o Winter! Wende, mein Auge, Dich
Zu jenen holden Gegenden, die die Sonn'
Inbrünstig anblickt: wie verändert
Wirket sie dort! einen ew'gen Sommer.
Das Aug' erträgt nicht diesen erglüh'nden Strahl;
Die Luft erkühlt nicht diese gehobne Brust,
Die nach der Ruhe lechzt im Schatten
Kühler, erfrischender Abendwinde.
Der Schöpfer weigert Menschen und Thieren nicht
Die lang erseufzte stärkende Ruh' Ein Dach
Von Wolken steigt empor; erquicket
Athmen die Pflanzen, sie athmen Dank auf.
*
Du Land der Wunder! Edelgesteineland,
Von Würzen duftend! Aber wer schreitet dort
Um schönen Fluß? Ein Berg, belebet,
Reich an Empfindungen und Muth und Weisheit,
Dem Menschen dienend, selber in Schlachten ihm
Mehr Bundsgenoß als Sclave – der Elephant!
O Prachtgeschöpf! Und Prachtinsecten,
Schöne Bewohner der schönsten Pflanzen,
Vom kleinen Moose bis zum erhabenen Palm!
Und dort vor allen jenes Insect, das sich
Begräbt und spinnt den Menschen ihre
Seidnen Gewande, den Schmuck des Stolzes.
Mein Blick zieht weiter. Siehe, wie Balsam dort
Von Bäumen fließet! Dort das geduldige
Kameel; es hebt den Hals und senket
Nieder den Rücken, ein Schiff der Wüste.
Schau dort den Nilstrom! Bild der belebenden
Vielbrüst'gen Mutter, steckt er die Arm' umher,
Damit von seinen segensschwangern
Fruchtenden Wellen sich Alles labe.
Aus dürrer Wüste eilen die Thier' herbei,
Den Durst zu löschen, fröhlich zu paaren sich;
Die Inbrunst wirret die Geschlechter,
Neue Gestalten erzeugt die Sonne.
[147]
Tyrann des Stromes, schreckendes Ungeheu'r
Der Ufer, lauschend hinter dem Schilfe, dann
Den Schlafenden erhaschend (falsche
Thränen entrinnen dem frommen Mörder),
Verhaßtes Bild der trügenden Heuchelei
Des Aberglaubens, weinender Krokodil,
Der Pest, die Menschen gegen Menschen
Reizte, mit Wuth sich um Gottes willen
Zu würgen. Unhold, bleib in der Wüste dort,
Die Dich geboren! Halte den Gifthauch fern,
Der, um den Himmel zu bevölkern,
Länder verheert und entmenscht die Menschheit.
*
Hinauf zu jenen Höhen, wo Berge dort
Den Himmel tragen! Fels über Fels gethürmt
Erklimmen wir; die Ströme drunten
Tosen und brüllen im jähen Abgrund.
Verwittert hangt der drohende Fels auf uns!
Geborsten steht die Trümmer der ew'gen Höh'
Des Erdbaus. Prächtige Verwüstung!
Alter und Jugend der Welt enthüllst Du.
Uranfang suchen unsre Gedanken hier
Uns suchen in der Tiefe des Abgrunds dann
Der Wesen Ende. Nicht am Gipfel,
Laß uns in Mitte des Berges weilen!
Hier unter immergrünenden Fichten, hier
Im Cedernschatten! Selber des Mittags Strahl
Wird Dämm'rung hier; die tiefe Stille
Schweigend, sie spricht und enthüllt Gedanken.
Gedanken von wie mächtiger neuer Kraft!
Geheimnißreiche Stimmen ertönen! Hier,
Hier ist der Gottheit Tempel! Heilig –
Heiliges Wesen, mit Nacht umschleiert![148]
78 | Moralists, P. III. Sect. I. |
Buchempfehlung
Der aus Troja zurückgekehrte Agamemnon wird ermordet. Seine Gattin hat ihn mit seinem Vetter betrogen. Orestes, Sohn des Agamemnon, nimmt blutige Rache an den Mördern seines Vaters. Die Orestie, die Aischylos kurz vor seinem Tod abschloss, ist die einzige vollständig erhaltene Tragödientrilogie und damit einzigartiger Beleg übergreifender dramaturgischer Einheit im griechischen Drama.
114 Seiten, 4.30 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro