Ueber die geschnittnen Steine.

[473] Wo doch Hr. Kl. wahrhaftig alle seine Belesenheit, recht häßlich weite Gelehrsamkeit, und recht Honigsüßen Geschmack bewiesen hat? Habe er doch! Mein einziges Urtheil ist dies, daß, wenn ein Mann würklich so viel große, schöne, kostbare Werke nachgelesen,[473] nachgeschlagen hat, und nichts mehr, als die elenden, trivialen Anmerkungen, das halbkluge und verzuckertsüße Geschwätz herauslesen und herausaufschlagen kann, was Hr. Kl. hier vorzeiget: so schlage man ihm die Bücher zu. Mit allem seinen Lesen wird der belesene Leser in seinem Leben nichts Rechts herausbringen.

Ein denkender Schriftsteller, der da irrt; und ein irrender Schriftsteller, der da denkt; und ein strauchelnder Schriftsteller, der noch nicht gnug gelesen, aber lesen kann: der nehme Bücher in die Hand; er wird denken, er wird nützliche und große Sachen hervordenken: sein Geist wird wachsen. Aber der Anagnoste, der da lieset, um gelesen zu haben, und citirt, was er nicht gelesen, und mit allen seinen Citationen nichts herausbringt, als was nicht jeder Halbgelehrte weiß: an dem gebe man die Hoffnung auf; der flickt sich einen Rock von Citationen zusammen, um seine Blöße zu decken. – –

Für wen ich zu frei schreibe, der sage mir: was der Stein- Münzen- und Bilder- und Buchstabenbelesne Klotz denn bisher mit seiner Lecture Neues gesagt? Wer mit so vieler Belesenheit über Tyrtäus, und Homer, und Virgil, und Horaz, und den Geschmack auf Münzen, und den Nutzen der geschnittnen Steine nicht mehr sagt, als Er, der hat mir nichts gesagt: der sage Nichts.

Herr Klotz hat aus Ursachen, die ich nicht weiß, und nicht wissen will, den guten Vorsatz gehabt, die Lippertsche Dactyliothek der Welt und insonderheit den Schulen anzupreisen. Es sei guter Vorsatz. Es sei, daß dazu die Anpreisung unsrer halbhundert Deutschen und Lateinischen Journale, Bibliotheken, Akten, Zeitungen nicht gnug war: es sei, daß das eigne Lippertsche Verzeichniß, woraus ich mich nicht schäme, manches gelernt zu haben, nicht gnug war: es sei, daß die Anpreisung der Bibliothek d. sch. W., der Göttingschen Zeitungen, und aller der Journale, in denen Hr. Klotz, als ein Proteus, in mehr als einer Zunge und Sprache redet, nicht gnug war: aber warum mußte denn Hr. Klotz sogar Lipperten plündern, und was dieser in Reihen sagt, Seitenlang wiederkauen?[474] warum denn Caylus und Winkelmann plündern, die doch jeder Halbkenner kennet! warum so ein unordentliches Gemisch von Anmerkungen, wo man nicht weiß, ob der Steinleser mit Knaben oder mit Künstlern, oder Gelehrten, oder Liebhabern spreche? warum nach allen solchen Anführungen so arm, wie eine Kirchenmaus, erscheinen? – –

Es wird mir schwer, mich über Einzelnheiten zu erklären, und das wiederzufinden, was ich im Buche des Hrn. Kl. vorbeiging. Ohne Abschnitte und Theilungen watet man in ihm eine Strecke von zweihundert sieben und dreyßig Seiten, ich hätte beinahe geschrieben, Meilen, durch eine große Sandwüste, ohne Ruheplätze, voll lauter Mischmaterien, in denen der Autor bald mit der lieben Jugend, bald mit dem lieben Künstler, und bald mit dem Antiquariensammler ohne Geschmack, und bald mit dem Liebhaber voller Geschmack, und mit Einem, wie mit dem Andern redet – so wallet man eine Dürre von eignen Gedanken durch, um hinten auf ein sehr unterrichtendes Furienhaupt1 zu kommen, das mich nicht aus dem Gedächtniß herfragen sollte, was ich gelesen? So watete Alexanders Heer die Lybische Sandwüste durstig und in der Sonnenhitze gebraten durch, und fand – ein Ziegenbild, einen gehörnten Jupiter Ammon.

Fallen wir Deutsche nicht immer von einem Aeußersten aufs andre? Vor kurzem der Geschmack in Paragraphen: aus Paragraphen wurden zerschnittne Brocken von Capiteln à la Montesquieu: nun wieder Akademische Diskurse ein ganzes Buch durchweg, ohne Kopf und Hand, eine langgestreckte sich fortringelnde Schlange, ein liebes Bild der Unendlichkeit. In Kritischen Wäldern herumspatzieren, heißt freilich nicht wie ein Seiltänzer schreiben; aber in einem Werke, wie des Hrn. Klotz, wo er die Künstler lehret, und den Liebhabern vorschmecket, und den Antiquaren vorerklärt, und die[475] liebe Jugend umarmet, und überall so wichtig und vornehm spricht: da keinen Plan und Ordnung haben? – –

Doch ich weiß, warum ihn Hr. Klotz nicht haben mag; wenigstens darf ichs rathen. Ist ein Buch genau eingetheilt: steht jedes Chor unter seinem Hauptmanne: so ists leicht zu übersehen und, wenn ich dazu setzen darf, auch leicht zu prüfen. Das Auge läuft drüber weg, und da es jedes seine Stelle weiß, so weiß es auch: wo dieses her? warum jenes nicht da ist? Es hält scharfe Musterung im Einzelnen und im Ganzen, es prüft, wie viel jede Materie neu, wahr, vollständig sey. Wer seine Völker aber nach Codomannus Art, auf gut Scythisch oder Persisch stellt: freilich, der ist auf eine sehr eigne Weise unübersehbar.

Ich nehme z.E. das Winkelmannische Gebäude der Kunstgeschichte – welch ein großer ergötzender Blick, der sich an der Ordnung, Harmonie und Vollkommenheit der Theile und des Ganzen weidet! Einheit und Mannichfaltigkeit! Größe und Schönheit! zum Anstaunen und zur süßen Anschauung des Schönen! Ein Griechischer Pallast, an Materialien ein Werk der Cyklopen, an Bauart und Form ein Mächtniß der Götter, in Auszierung eine Arbeit der Grazien und Musen – wer wünschte sich nicht, es gebauet zu haben? Ich nehme Klotzens Buch über die geschnittnen Steine; mit allem seinem kleinen Mannichfaltigen ists ein Haufen kleiner Ruinenstücke und Scherbchen.

– – Und sein Vortrag, sein Styl? damit es nicht heiße, als suche ich mißgünstige Stellen auf: o so lese man den honigsüßen, bis zum Ekeln süßen Anfang:

»Wenn die gute Absicht, die ein Schriftsteller bei seiner Arbeit gehabt hat, zugleich für dieselbe eine Empfehlung seyn kann: so verspreche ich diesem Buche einigen Beyfall und ihrem (des Buchs oder der Absicht?) Verfasser von den Freunden der Künste und des Geschmacks Dank.« An guter Absicht hat es bisher, Gott sei Dank! noch keinem Schriftsteller gefehlt; und kann schon die gute Absicht nach Hrn. Kl. süßer Manier zu schreiben: Empfehlung seyn: so verspreche ich allen Betrübten[476] und Blöden Beifall, und von allen Freunden der Künste und des Geschmacks den ergebensten Dank.

»Dieses Bekänntniß macht nicht aus der Ursache den Anfang meiner Schrift, aus welcher es von vielen für ein wesentliches Stück ihrer Vorreden angesehen wird. Diese mögen allein und aus eigner Erfahrung die Stärke die ser Worte kennen, und man mißgönne ihnen die Kunst nicht, hiedurch entweder gutherzige Richter zu ihrem Vortheile einzunehmen, oder wenn ihnen diese Hoffnung mißlingt, das Publikum, dessen größerer Theil sich aus gewissen eignen Empfindungen auf die Seite des getadelten Schriftstellers schlägt, zum Mitleiden zu bewegen.« – Tand! lauter süßer Tand! Hr. Kl. will nichts mit dem gemeinen Haufen der Schriftsteller gemein haben, als was er mit ihnen gemein hat, und mit ihnen das nicht gemein haben, was er mit ihnen nicht gemein hat, und alles dies läuft in die kleinzähligen Brüche von Absichten, von Empfindungen ein, deren Aesthetometrie ich nicht verstehe.

»Ich rechne mir den aufrichtigen Wunsch, daß die gründliche Gelehrsamkeit etc. in meinem Vaterlande ausgebreitet werde, zu einem Verdienste an, dessen Werth ich nie verkennen werde, und dessen Bewußtseyn mir den Mangel andrer Verdienste ersetzen muß u.s.w.« Wie? so ist dies der ganze Unterschied des Verfassers von den vorigen Schriftstellern? So ist ein Wunsch, ein krüppelhafter Wunsch schon ein Verdienst? ein Verdienst, das man sich selbst vor den Augen des Publikum anrechnen, so kühn anrechnen kann, daß es der Welt bei dem Anfange der Schrift dreust vorschwöre: »ein Verdienst, dessen Werth ich nie verkennen werde, dessen Bewußtseyn mir den Mangel andrer Verdienste ersetzen muß.« Und das alles ein Wunsch? Und das alles heißt Urbanität, guter Ton, Patriotismus? –

»Eben um deßwillen halte ich es auch für meine Pflicht, die Lehrer der Wissenschaften auf gewisse Mittel, wodurch sie sich diesem Endzwecke, der auf das Wohl unsrer Mitbürger und das Glück der Nachkommenschaft abzielt, nähern können, aufmerksamer[477] zu machen, als sie es bisher gewesen sind, oder vielmehr haben seyn können.« – Und was sind diese geheimen gewissen Mittel, die so sehr aufs Große der Welt und Nachwelt gehen, die keiner bisher hat wissen können? – es kommt im Meteorenzuge: »Ist aber ein Mittel leichter, gewisser und edler, als wenn man ihnen behülflich wird, das Herz unsrer Jugend den sanften Eindrücken des Schönen zu öffnen, und welches allezeit eine Folge von der aufrichtigen und weisen Cultur der Wissenschaften ist, es selbst gegen die Reize der Tugend hierdurch fühlbarer zu machen? –« Und das ist alles: und wer hat dies Mittel nicht längst gewußt? nöthig erkannt? angepriesen? Von Quintilian bis auf unsre Quintiliane, wer hört damit etwas Neues? und wenn es, bestimmter als Hr. Klotz gesprochen, auf die Bildung der Kunst abzwecken soll: wer kennt nicht auch hierüber die vortrefliche Winkelmannische Abhandlung? Und was hat Hr. Kl. unter dem, was er geschrieben hat, und schreiben wird, was hiebei gestellt zu werden verdiente? Und was bleibt ihm also übrig, als sein frommer Christlicher Wunsch, und ein Honigsüßes Geschwätze?

Das letzte zieht sich fort: Er lobt die heutige Verfassung der Schulen, beklagt den Mangel an geschickten Männern, bekennet endlich, »daß einige vernünftige Männer das Glück gehabt (denn an den Siegen über Vorurtheile und Unwissenheit hätte das Glück einen viel größern Antheil, als unsre Kräfte und Arbeiten) andre zu überzeugen, daß der gute Geschmack – –« Gottlob! so gehört schon das außerordentlichste Wunderglück dazu, um das Publikum von der Nützlichkeit des guten Geschmacks zu überzeugen: so sind wir nicht weiter, als daß einige vernünftige Männer, und das blos durch ein Glücksspiel, andre davon überzeuget: so tief hätte ich mir doch nicht unsre Zeit gedacht!

Doch Hr. Klotz weiß es gut zu machen. Er frohlockt, wie weit man in Verbesserung der Schulen gekommen, malet eine Seitenlang verkleckte Aussicht über die Gelehrsamkeit, und empfiehlt sich folgender Gestalt: »Meine Schrift wird einsichtsvollen Richtern vielleicht nicht mißfallen, wenn man es ihr gleich ansieht, daß ihr[478] Verf. sie nicht mit der seufzenden und düstern Mine geschrieben hat, welche so viele unsrer Verbesserer der Schulen annehmen. Das Bewußtseyn meiner Absicht, und die Ueberzeugung von dem Nutzen, welchen mein Vorschlag nothwendig haben muß, gibt mir den Muth, mich unter dem Haufen derer, die einerlei Endzweck mit mir haben, hervorzudrängen, und zu verlangen, daß man mich anhöre – –« Sachte! sachte! Ueber nichts, als eine Schulmaterie, wer wird sich unter dem Haufen aller u.s.w. hervordrängen: über eine Materie, über die andre schon besser geschrieben, deren schüchterne Mine gewiß mehr gefallen wird, als die fodernde unsres Schreiers, der sich hervordrängt, und verlangt, daß man ihn höre: über eine Materie – Kurz! hier ist mein Urtheil:

Hat Hr. Klotz für Schulen geschrieben: so finde ich sein Buch weder zu einem bildenden Buche in die Hand der Jugend, noch in die Hand der Lehrer würdig. Für jene ein Ruinenhaufen von alten Schlössern, in dem sie wahrhaftig nicht werden umher klettern wollen: für diese ein Mengsel von unbestimmten, zusammengerafften Materien, wo eben das fehlt, was sie zu Bildung der Jugend deutlich, ausführlich, gründlich, bestimmt suchten.

Hat Hr. Kl. zu Lipperts Dactyliothek geschrieben: schlecht! Die schönsten und einzigen Anmerkungen sind aus Lipperts Commentar: und welcher Liebhaber, welche Schule diesen hat, wirft jenen weg.

Hat ers für Liebhaber, für Exoterische Leser geschrieben, wie etwa ein Algarotti, ein Fontenelle; – ich habe Proben seines schönen Styls, seiner Ordnung, seines guten Tons gegeben.

Soll es endlich für Gelehrte, für Künstler seyn –

Und da kommen mir eben Leßings Antiquarische Briefe, die ich gern eher gehabt hätte! Welch ein hinreissender Strom! welche Belesenheit! welche Känntniß des Alterthums! welcher Scharfsinn![479] – Schade, daß Ein Leßing seine Zeit verschwenden muß, um einem Klotz das zu sagen, was ihm jetzt mehrere von Gesicht ansehen werden.

In meinen Wäldern wird bisher wohl niemand eine Spur von Verabredung. und Einstimmung haben erträumen wollen, und daher so entfernt L. von mir lebt; so einen Stral von gutem Vorurtheile geben mir seine Briefe für manches, das ich an Klotz ausgesetzt. Ein Schriftsteller, wie dieser, von dem unser Lustrum bisher so willig gelernt, ist ja auch wohl werth, daß das zweite Lustrum an ihm lerne.

So wenig die Grazien im Styl des Hrn. L. meine Freundinnen seyn mögen; so wünsche ich doch mich in Entschuldigung meines oft scharfen, oft Antiquarischen Ausdrucks an ihn anzuschließen. Mit ihm sage ich: »der schleichende süße Komplimententon schickte sich weder zu dem Vorwurfe, noch zu der Einkleidung; auch liebt ihn der Verfasser überhaupt nicht. Die Alten kannten das Ding nicht, was wir Höflichkeit nennen. Ihre Urbanität war von ihr eben so weit, als von der Grobheit, entfernet.

Der Neidische, der Hämische, der Rangsüchtige, der Verhetzer, der ist, er mag sich noch so höflich ausdrücken, der wahre Grobe;« und wer in diesem süßen Tone seine Seichtigkeit und Halbgelehrtheit verbirgt, für alle, die er anlockt, sich nach ihm zu bilden, der schädlichste Gleißner. – Die Klotzische Episode in der Deutschen Litteratur Schande, wahre Schande!

– – Doch, wie viel Zeit habe ich verlohren – –

1

Ich habe es beigefügt, um Hr. Leßing zu überzeugen, daß die alten Künstler u.s.w. [S. 242]

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Kritische Wälder oder Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend, nach Maßgabe neuerer Schriften. 1769, in: Herders Sämmtliche Werke. Band 3, Berlin 1878, S. 473-480.
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