3.

[336] Horat. L. 1. Od. 2. Alles Unnütze und Nebenwerk bei Seite! nichts, als wahre und neue Erläuterung, suchend; ach! so – erläutert mich Hr. Kl. wieder aus dem Tone der Ode; er zerstört mir die Harmonie des Lyrischen Ganzen. Mich widert der Klumpe von locus communis,1 in welchem Allerlei August mit Merkur habe können würdig verglichen werden, denn er stürzt, wie eine einsinkende Bombe das ganze Gebäude des Gesanges nieder. Ich will mich erklären.[336]

Horaz fängt mit einer Erzälung schrecklicher Zeiten, grausamer Vorbedeutungen einer Göttlichen Rache, trauriger Wunderzeichen, und noch traurigerer Vorfälle an. Er wendet sich: wem wird Jupiter das Amt auftragen, das Volk zu entsündigen? Wird Apollo, oder Venus, oder Mars, oder Merkur erscheinen? Plötzlich bricht er ab, und wendet sich an Augustus, aber so geschickt, daß selbst der strengste Republikaner das Lob billigen, die Wendung schön finden konnte. Der schnelle unvermuthete Uebergang von Göttern auf den Kaiser, von rächenden, drohenden, schrecklichen Göttern auf den Vater des Vaterlandes, von Göttern, die am Blute der Römer Rache genommen, auf den, der sein Schwert gegen die Barbaren wandte – Dies ist der Gang der Lyrischen Muse, dies ist der Hauptzug des Horazischen Lobes.

Und wie schön weiß er die beiden Stücke des lobenden Gegensatzes zu verschränken. Das Land ist voll schrecklicher Vorboten, und voll Strafe der Götter gewesen: das Strafwetter ist vorbei; wer wird sich der Römer, sie zu entsündigen, annehmen? Apollo? Er ist augur Apollo. Venus? Sie ist die Mutter der Römer. Mars? Er ist der Vater derselben. Merkur? Er ist der Bote der Götter mit seinem Caduceus. Einer steige herab Rom zu entsündigen. Wer ists? hier ein verstolner Wink auf Augustus thut große Wirkung: der Bote der Götter ist da! Merkur in der Gestalt August. Als Bote der Götter, also hat er Cäsars Tod gerächet:


patiens vocari

Caesaris ultor


Als Bote der Götter giebt er jetzt Rom Entsündigung und Friede. Sogleich verschwinden Wunderzeichen, Götter und Rächer. »Lang, o Kaiser, und glücklich sei unter deinem Volke: und wende deinen Arm (von den Feinden deines Vorgängers und Hauses ab, lieber) auf die Feinde Roms, die Barbarn! Das sind Kriege, (nicht wie die, die du im Namen der Rachgötter geführet hast: bella non habitura triumphos, sondern) die dir Triumphe bringen können: dann bist du ein Vater deines Vaterlandes. – Irre ich nicht, so[337] ist das der Ton, der im Ganzen der Ode herrscht! und die Feinheit, die vorige Rache des Cäsars, den strafenden Göttern, die jetzige entsündigte Ruhe Roms dem Kaiser zuzuschreiben, ist gleichsam die lebende, die Römische Grazie der Ode.«

Nun komme jemand, und schreibe Seitenlang den Mythologischen locus communis aus: was Merkur für ein guter Mensch, daß er beredt, auch ein Erfinder der Citter, auch ein Aufseher der Kampfspiele, und was weiß ich mehr? gewesen, daß August wirklich mit ihm verglichen werden könne – elender Auswurf der Mythologie! So wenig, als mit Merkur, dem listigen Betrüger, dem Schafdiebe; so wenig wird er mit Merkur dem Erfinder der Citter, dem Aufseher der Kampfspiele u.s.w. verglichen. Hier ist Merkur »ein Bote der Götter,« Cäsars Tod zu rächen (patiens vocari Caesaris ultor) oder wenn man noch mehr will, Rom zu entsündigen; nichts mehr! Der Poet giebt auch nicht so eigentlich und ausführlich dem August die Prädikate Merkurs, daß ein künftiger Ausleger so manches Schöne darüber sagen könne: Augustus personam Mercurii induens pacifer, salus generis humani, eloquens etc. Wir von Gottes Gnaden, unter dem Bilde Merkurs, der Friedengeber, die Lust der Welt, beredt, ein Liebhaber der Musen, und was der Mythologische Kram uns vom Merkur mehr sagen möge. So viel ich sehe, so macht Horaz nur eine polite Einkleidung. Nicht August soll es seyn, der Cäsars Tod vormals gerächet: die Götter selbst sinds gewesen, und der Bote der Götter selbst. Hätte es dem Dichter gefallen, den rächenden Apollo oder den erzürnten Mars zuletzt zu setzen: so hätte er, nur mit umgeänderter Einkleidung, den Römern denselben Gedanken sagen können, der jetzt die Ode durch herrschet: »die Zeiten der Strafen und Strafbedeutungen sind vorbei: man denke nicht mehr an Unfälle, wobei die Götter selbst ihre Hand im Spiele gehabt: jetzt haben wir einen Entsündiger, einen Vater des Volks, einen August!« Und welche Ode konnte mit der Einkleidung, die Horaz gewählet, der Zeit würdiger seyn, die Geßner bei dieser Ode annimmt.[338]

Schon gesagt, daß ich mich über einzelne Wortstreitigkeiten nicht einlasse, aber welche unwürdige Schwierigkeit, die sich Hr. Klotz über die Worte macht:2


ulmo,

nota quae sedes fuerat columbis;


eine Schwierigkeit, bei der er so gar zum gefährlichsten Mittel greifen muß: quid prohibet, quo minus Horatio aliquid humani accidisse dicamus? Ich wollte wissen, wo Horazen denn hier Menschlichkeiten dörfen entfallen seyn. Ich bin kein Jäger, aber das weiß ich, daß mehr als eine Gattung von Tauben, die sogenannten Ringeltauben, oben auf Bäumen nisten; und columba ist ja ein Hauptgeschlecht. – Einige Blätter Harduinsche Nichtswürdigkeiten weggeschlagen, und da fallen mir wieder die schrecklichen Worte ins Gesicht:3 immo totus locus non recte intellectus ab interpretibus. Laß sehen!


L.I. Od. IV. dum graves Cyclopum

Vulcanus ardens urit officinas.


Nun höre man den Erläuterer: graves expono per sulphureas officinas;has officinas urit i.e. igne et flammis implet: Vulcanus ardens i.e. qui plenus est flammis, dum in loco, ubi omnia lucent igne, versatur. Quid prohibet, quo minus hunc locum ita interpreteris? Gilt die Frage: quid prohibet? auch mich: so antworte ich: alles ist zuwider! das ganze Horazische Bild verschwindet dannt. Jetzt sehe ich den vor Hitze und Arbeit glühenden Vulkan; nicht einen, dem der Glanz des Feuers das Gesicht röthet: nicht einen, der einen Feuersbrand in die Schwefelhöle trägt, und damit sie voll Flammen macht: sondern, der sichs sauer werden läßt (indeß daß seine Gemahlin tanzt) es sei nun, daß er das Feuer anfacht, oder bas glühende Eisen mit dem Ambose, auf der eigentlichen Werkstäte der Cyklopen, hammert. Gnug urit officinas, und zwar graves officinas; ich kann kein vielsagender kontrastirender Beiwort zu der in kühler Nacht bei stillem Mondscheine tanzenden Venus[339] finden. Die Klotzische Erläuterung kann gelehrt und Bergwerksmäßig seyn: sie kontrastirt nicht, sie ist nicht poetisch.

Iam te premet nox, fabulaeque manes.4 Das Comma, das mit so vielem Geräusche zwischen fabulae und manes gesetzt wird, ist nichts Neues: und doch lasse ich nicht einmal zu sehr commatisiren, denn sie gehören zusammen: »eine Todtenbekanntschaft, von der so viele Geschichtchen lauten.« Ich schlage einige Oden weiter, und wieder eine neue und vielleicht wieder verfehlte Erklärung:

Od. X, 3. steht unter Merkurs Lobsprüchen das Sabinische Wort: catus:


– – qui feros cultus hominum recentum

Voce formasti catus –


und wer weiß, was catus ist? Hr. Klotz soll es sagen.5 Non sola voce hoc fecit, sed catus h.e. acutus studia uniuscuiusque sectatus ad animos velut descendit, et callide ita quemque movere studuit, ut illius cupiditates poscere videbandur. Entweder ich verstehe Horaz nicht, oder Hr. Klotz hat ihn nicht verstanden. Merkur, denke ich, bildete die ersten Wilden, theils, daß er, der scharfsinnige Merkur, ihnen Sprache gab; theils daß er ihre Glieder bildete; jenes, nach der allgemeinen Tradition, die Menschen seyn durch die Sprache gesittet geworden; dies, um ihnen die thierische Plumpheit des Körpers abzugewöhnen. Ist dies der Verstand des Dichters: so ist das quomodo leniverit hominum animos wohl nichts; so ists wohl kein Gegensatz:, non sola voce hoc fecit, sed catus: so hat mein Commentator ein Non-sense gesagt. Ist dies aber nicht der Verstand des Dichters; wollte er sagen: Merkur habe den Thiermenschen täglich eine beredte Predigt gehalten, in der er catus auf die Neigungen und Gemüthsart jedes seiner respektiven Herren Zuhörer gesehen, sich zu ihnen herabgelassen, und nach vollbrachter Predigt sie zum Fechtplatze geführt – ist dies der Sinn des Dichters, so bitte ich, der ich nicht so catus wie Merkur bin, um Verzeihung.

[340] Od. XII. 42. 43. Horaz singt: saeva paupertas tulit hunc et illum etc. und wie bekannt, daß eine schwere Armuth, eine drückende Noth die größesten Männer hervorbrachte? Ecce autem supercilium dialectici distinguentis:6 saeva paupertas aliis videtur, non visa est Camillo Curioque. So genau eben wollte ich das nicht behaupten. Eben auch den härtlichen Römern konnte doch oft die Last der Dürftigkeit, des Elendes, der Verbannung empfindbar, würklich empfindbar seyn. Ein Camillus, ein Heinrich von Navarra, konnte würklich den Druck der Noth fühlen, und eben dies Gefühl, die Last der Notwendigkeit bildete sie, wie nach der bekannten Fabel, der gedrückte Palmbaum.

Noch immer beim ersten Buche des Horaz? Ja! und ich sehe die Striche am Rande meines Buchs sich nicht mindern: sondern mehren. Wenig Erläuterungen, die neu wären, Stich hielten, eine neue Ausgabe verdienten. Meistens strauchelt der Commentator, indem er erläutert, selbst aus dem Pfade der Ode Horaz, und die wichtigsten Rettungen gegen Harduin finde ich in der Geßnerischen Ausgabe Horaz schon vorgezeichnet, aber nach Geßnerscher Weise, das ist weise, kurz, und bündig – Wozu indessen soll die unselige Mühe, jeden Strich auf dem Rande meines Eremplars in viele Worte erst zu, verwandeln: hier Parenthesen, wo Seiten und Blätter nicht hergehören: dort Fragezeichen, wo ich ungewiß; hier Nullen, wo ich gegenseitiger Meinung bin, und dort ein öfters! zum Zeichen eines herzlichen Ohe. Ich will damit lieber auf die Lectiones Venusinas warten; jetzt eine allgemeine Anmerkung.

Der unverschämte Harduin spricht7 dem wohlklingendsten der Lyrischen Römer allen Wohlklang ab, alle Barbarei zu: Hr. Klotz also sollte Horazens Lyrischen Wohlklang retten; allein – er hat ihn nicht gerettet. Er wiederlegt Harduin durch Citationen, und durch einige schale Beispiele, daß dieser und jener Vers bei ihm ein Echo seines Sinnes sey; allein wem war an Etwas gelegen, was Stümpern oft mehr glückt, als Dichtern, wenigstens jene oft[341] gnug übertreiben. Er hätte uns auf den, dem Horaz eigenen, Lyrischen Wohlklang aufmerksam machen, in diesem und jenem Sylbenmaaße die Lieblingsgänge Horaz bemerken sollen, nach denen er die Worte stellet, und sich einen Perioden schaffet. Einmal wäre es Zeit, daß ein Deutscher Dionysius es entwickelte, wie das allgemeine Ding, was wir Periode nennen, nur eigentlich Reden zukomme, und daß übrigens, so wie jede Gattung des Vortrages, so auch jedes Hauptsylbenmaaß der Dichtkunst, gleichsam seinen eignen Perioden von Vinktur, Junktur, und Concinnität, das ist seine eignen Wortbindungen, Verschränkungen und Wohlklänge habe, worüber sich, wer sich wie Klopstock auszudrücken wüßte, bei Horaz gewiß zuerst die angenehmsten Betrachtungen machen ließen. An so Etwas hat Hr. Klotz nicht gedacht.

1

p. 77–82.

2

p. 69.

3

p. 93.

4

p. 94.

5

p. 112.

6

p. 122.

7

p. 51. 52.

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Kritische Wälder oder Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend, nach Maßgabe neuerer Schriften. 1769, in: Herders Sämmtliche Werke. Band 3, Berlin 1878, S. 336-342.
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