6.

[359] Nochmals gesagt: man müsse auch in Poeten den Gebrauch so aller, so auch der Kunstbelesenheit (Kunstkänntniß, Philosophie der Kunst, kann ichs wohl bei Hrn. Klotzen kaum nennen) sehr loben, wo er zu rechter Zeit kommt: aber daß eine Iliade in Steinen mehr, als die in Versen, des Poetischen Anblicks fähig, mehr als jene zur Bildung eines Poeten, oder auch nur zur Poetischen Illusion mit jener gleich energisch sey, das wolle mich niemand bereden. Kunst gewährt Kunstanblick; der ist mit der successionen Energie des Dichters gar nicht einerlei, kaum zu vergleichen, und Herr Klotz fechte immer in der Stille mit dem Schatten des Laokoons, nie zu verwirren. Ich wollte, daß Hr. Klotz durch seine Gelehrsamkeit und Kunsterläuterungen uns nie die Kraft des Dichters, die sich nur fortgehend äußert, gestöret hätte.

Ich schreibe über Horaz: wer will, der höre mich von meiner Erklärungsmethode dieses Dichters schwatzen. Zuerst ist das ausgemacht,[359] daß keiner meiner Horazianer aus Horaz Latein oder Römische Alterthümer lernen solle. Lieber komme ich jedem zuvor: lieber prävenire ich ihn unvermerkt, mit der Welt, in der ich ihn führen will, mit der Sprache, in der der Dichter sprechen wird: unvermerkt suche ich ihm die ganze Situation unterzuschieben, ihm den Pfad von Gedanken und Bildern von weitem zu zeigen, wo wir den Dichter finden werden. Ich fange an: und ohne Bemerkung einzelner Schönheiten, schöner Ausdrücke, gewählter Phrases, jage ich seine Ode hinab; ich fliege mit ihm, oder schwimme den Strom seines Gesanges hinunter. Unlieb, wenn mich mein Zuhörer störte, unlieb, wenn sein Auge an Kleinigkeiten hangen bliebe: denn so würde der ganze Zweck des Dichters, die Art von Täuschung gestört, in die mich sein Gesang setzen soll. Ich bin darinn gesetzt, ich bin zu Ende: das Ganze der Ode, Ein Haupteindruck, in wenigen, aber mächtigen Zügen, lebt in meiner Seele: die Situation der Horazischen Ode steht mir vor Augen, und – mein Buch ist zu. Nicht vom Papiere, aus dem tiefen Grunde meiner Seele hole ich diese wenigen, mächtigen Eindrücke hervor: nur ist die Ode ein Ganzes der Empfindung geworden. Dies bewahre ich: die wenigen zusammenfließenden Züge des Bildes bleiben in meiner Seele: dies ist Energie, die mir die Muse successiv bereitet, sie will ich um keine spätere Divertissements in Klotzischen Commentarien geben.

Das Buch wird wieder aufgeschlagen, und nun habe ich kleine Ruheplätze, Ausschweifungen, Umwege aber nicht. Der Lauf des Dichters ist nur Augenmerk, und wenn ich mir sage: hier war der Gesichtspunkt – wie reich, wie prächtig, wie anlockend! das alles nahm der Dichter ins Auge: so mußte er anfangen, und fortfahren. Jenes und dies kam dem Dichter in seinem Laufe zur Hand, und wie ein Strom, in den sich Ströme stürzen, wälzt sein Gesang sich prächtiger fort. Hier ein Fels: anprallend nahm er andern Weg, oder schlängelte sich durchs geblümte Thal: überall aber der Römer, der Römer seiner Zeit, als – Dichter. Ich sage, wenn ich mir dies jetzt deutlicher entwickle; so um des Gottes willen! denke ich an[360] keine Allgemeinregeln! an keinen Longin und Batteux, an keine Fächer der Odenfabrik. Dieser Römer, und dieser Dichter, und diese Situation, und diese Ode ist mein Alles jetzt. So weit das Odengenie und –

Noch denkts an keine Gelegenheit, selbst – wie? etwa Wortkritiken zu machen? etwa über einen Geßner, eines kleinen Fehltritts wegen, seitenlang die Achseln zu ziehen? etwa die Bentleys und Baxters und Sanadons zu verläunden? – o wer wird noch an so etwas denken? Es denkt selbst noch nicht an – eine Gelegenheit, diese Ode nachzubilden. »Das ist viel!« wird man sagen. Ja das ist viel! und vortreflich, daß es an so etwas nicht denkt. Einst stoße ihm eine Situation auf: Apollo wecke ihn mit der Leier: er wird singen, Horazisch oder – vielleicht mehr als Horazisch singen; ohne aber, daß dem geneigten Leser dabei nichts, als Purpurlappen des Römers, zu Gesichte kämen, ohne ihm die proelia virginum, und die iras faciles und das mea virtute me involvo etwa nachzulallen.

Nun gebe ich ihm einige sogenannte Horatios secundos in die Hand. Er läuft die erste Ode durch:1 »Ach der ganze Bau derselben schon bekannt; aber eins vermisse ich, Horaz den Baumeister. Freilich sind hier die fontes vitrei und der in nemore obvius Amor, und die gaudia, amantium, und die risus hilares, und die blandi oculi, und die colla lactea, und die mellea basia, und die grata silentia – – alle diese Horazische Blümchen sind hier auf einen Haufen, aber ach! zusammengelesen und verdorret.« Hier äußert sich der ignis insolitus, und die vis in pectore nova dadurch, daß der Dichter sich in seiner ersten Poetischen Wuth – »Nun! nicht etwa den Hals abschneidet, oder sich, wie jener Löwensche Romanzenpoet, mit dem Federmesser in die Augen läuft?« So böse nicht! daß er sich ein Myrthenkränzchen flechtet. »Nichts mehr?« Noch etwas! auf die Recommendation des Amors, (man denke! aber er kannte das Närrchen auch genau: es war der Gemmenamor, [361] alis conspicuus Amor) auf die Empfehlung desselben fängt der, der im Walde ruhig lag, auf einmal an, – seine Lateinische Chloe zu besingen,


ihre schöne schwarze Augen,

ihre süße Honigküsse,

ihre leichte drohnde Minen,

ihre – –


kurz, hundert Dinge, die er auf die Empfehlung Amors so unerhört und ungesehen singen kann, als der Ritter von der traurigen Gestalt seine Dulcinea. Ich sage singen; aber besser:


Die es ihm jetzt beliebt, in Versen vorzutragen,


(juvat dicere versibus.) Und dies beliebt ihm, so oft die stille Nacht anbricht, so oft die Luna ihr schönes Haupt vorstreckt, so oft es der Echo beliebt nachzuseufzen. – Mein unverdorbner Leser Horaz wirst solche Horaze zurück, es fehlt ihnen Eins: der Geist Horaz im Ganzen der Ode.

Wer aber kein Odengenie ist? der soll wenigstens ein Jüngling von Geschmacke werden. So sang der Römer, das ist seine Welt; so wir nicht – wer hat Vorzüge? So sang Horaz: das ist sein Wortbau, seine Lieblingsgegenstände, seine besten Uebergänge, die Composition seiner Gemälde, die Einpflanzung derselben in dies und jenes Sylbenmaaß: dies wählt er jetzt, dies irgendwo anders. Nun endlich – wie ausgesucht Alles! Gedanke, Wendung, Ausdruck, Wort! das ist seine Manier, das ist mein lieber Horaz! – Und wenn mein Jüngling auch von der Kritik Profession machte: wenn ich ihm auch nachher vollständiges kritisches Geräth zur Hand legte, und die vornehmsten Abwege der Kritiker zeigte – niemals weiche er doch aus dem Gleise, aus der Odenillusion des Dichters – – Wie weit sich Herr Klotz mit seinen bisherigen Horazischen Werkchen um diese verdient gemacht, beurtheile ein andrer.

1

Klotz Carm. Omn. Carm. I.

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Kritische Wälder oder Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend, nach Maßgabe neuerer Schriften. 1769, in: Herders Sämmtliche Werke. Band 3, Berlin 1878, S. 359-362.
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