Deine Wimpern, die langen

An Hildegard K.


Deine Wimpern, die langen,

Deiner Augen dunkele Wasser,

Laß mich tauchen darein,

Laß mich zur Tiefe gehn.


Steigt der Bergmann zum Schacht

Und schwankt seine trübe Lampe

Über der Erze Tor,

Hoch an der Schattenwand,


Sieh, ich steige hinab,

In deinem Schoß zu vergessen,

Fern, was von oben dröhnt,

Helle und Qual und Tag.


An den Feldern verwächst,

Wo der Wind steht, trunken vom Korn,

Hoher Dorn, hoch und krank

Gegen das Himmelsblau.


Gib mir die Hand,

Wir wollen einander verwachsen,

Einem Wind Beute,

Einsamer Vögel Flug,


Hören im Sommer

Die Orgel der matten Gewitter,

Baden in Herbsteslicht,

Am Ufer des blauen Tags.
[315]

Manchmal wollen wir stehn

Am Rand des dunkelen Brunnens,

Tief in die Stille zu sehn,

Unsere Liebe zu suchen.


Oder wir treten hinaus

Vom Schatten der goldenen Wälder,

Groß in ein Abendrot,

Das dir berührt sanft die Stirn.


Göttliche Trauer,

Schweige der ewigen Liebe.

Hebe den Krug herauf,

Trinke den Schlaf.


Einmal am Ende zu stehen,

Wo Meer in gelblichen Flecken

Leise schwimmt schon herein

Zu der September Bucht.


Oben zu ruhn

Im Hause der durstigen Blumen,

Über die Felsen hinab

Singt und zittert der Wind.


Doch von der Pappel,

Die ragt im Ewigen Blauen,

Fällt schon ein braunes Blatt,

Ruht auf dem Nacken dir aus.
[316]

Quelle:
Georg Heym: Dichtungen und Schriften. Band 1, Hamburg, München 1960 ff., S. 277-278,315-317.
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