Fronleichnamsprozession

O weites Land des Sommers und der Winde,

Der reinen Wolken, die dem Wind sich bieten.

Wo goldener Weizen reift und die Gebinde

Des gelben Roggens trocknen in den Mieten.


Die Erde dämmert von den Düften allen,

Von grünen Winden und des Mohnes Farben,

Des schwere Köpfe auf den Stielen fallen

Und weithin brennen aus den hohen Garben.


Des Feldwegs Brücke steigt im halben Bogen,

Wo helle Wellen weiße Kiesel feuchten.

Die Wassergräser werden fortgezogen,

Die in der Sonne aus dem Bache leuchten.


Die Brücke schwankt herauf die erste Fahne.

Sie flammt von Gold und Rot. Die Seidenquasten

Zu beiden Seiten halten Kastellane

Im alten Chorrock, dem von Staub verblaßten.


Man hört Gesang. Die jungen Priester kommen.

Barhäuptig gehen sie vor den Prälaten.

Zu Flöten schallt der Meßgesang. Die frommen

Und alten Lieder wandern durch die Saaten.


In weißen Kleidchen kommen Kinder singend.

Sie tragen kleine Kränze in den Haaren.

Und Knaben, runde Weihrauchkessel schwingend,

Im Spitzenrock und roten Festtalaren.
[97]

Die Kirchenbilder kommen auf Altären.

Mariens Wunden brennen hell im Licht.

Und Christus naht, von Blumen bunt, die wehren

Die Sonne von dem gelben Holzgesicht.


Im Baldachine glänzt des Bischofs Krone.

Er schreitet singend mit dem heiligen Schrein.

Der hohe Stimmenschall der Diakone

Fliegt weit hinaus durch Land und Felderreihn.


Der Truhen Glanz weht um die alte Tracht.

Die Kessel dampfen, drin die Kräuter kohlen.

Sie ziehen durch der weiten Felder Pracht,

Und matter glänzen die vergilbten Stolen.


Der Zug wird kleiner. Der Gesang verhallt.

Sie ziehn dahin, dem grünen Wald entgegen.

Er tut sich auf. Der Glanz verzieht im Wald,

Wo goldne Stille träumt auf dunklen Wegen.


Der Mittag kommt. Es schläft das weite Land,

Die tiefen Wege, wo die Schwalbe schweift,

Und eine Mühle steht am Himmelsrand,

Die ewig nach den weißen Wolken greift.
[98]

Quelle:
Georg Heym: Dichtungen und Schriften. Band 1, Hamburg, München 1960 ff., S. 91-92,97-99.
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Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

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