§. 117.


Schicksal

[105] seines Herrn war, wenn gleich weniger schimpflich, so doch um keinen Grad leichter. Er sah um drei Uhr Morgens, nachdem er in einer schrecklich finstern Nacht im Walde umhergeirrt war, Licht schimmern, und da er sein Auge an dasselbe hielt, so erreichte er eine Hütte, an die er überall neunmal neunmal anklopfen wollte, und nirgends neunmal neunmal anklopfen konnte. Diese Hütte hatte keine Thür, und so war es freilich unmöglich, sie zu finden. Endlich erfühlte der Ritter eine Leiter auf der Erde. Er ergriff sie, wiewohl ohne zu wissen, wozu er diesen Strohhalm beim Ertrinken anwenden sollte. Indem er sie ergriff, war es, als hörte er eine leise Stimme: ersteige den Eingang. Er setzte die Leiter eben da an, wo er sie gefunden hatte, und erreichte, wie es ihm vorkam, einen hölzernen Verschlag. Froh, eine Stelle gefunden zu haben, um seine neunmal neun Schläge, die ihm in den Fingern juckten, anzubringen, klopfte er, und eine hohle Stimme ließ sich hören: Wer ist da? »Ein Lichtsucher.« Die Stimme erwiederte: Hier ist Finsterniß; nur dem schimmert hier Licht, der inneres Licht mitbringt. Hast du Licht in dir gesehen?

Beim Worte »Ja« sprang dieser, dem äußerlichen Gefühl nach bloß hölzerne Verschlag mit einem Gerassel auf, als wenn hundert Ketten rissen und eiserne Pforten in ihren Angeln bewegt würden. Da stand nun der Ritter, wie er im Schimmerlichte sah, an einer Höhle, die man ihm hinabzusteigen gebot. Es schien ihm ein Abgrund; und doch stieg er getrost und fühlte endlich Boden. Ein alter ehrwürdiger Greis, mit schneeweißem Haar, hielt ihm eine kleine Laterne mit der Rechten vors Gesicht. Er fragte ihn, indem er mit der Linken noch eine tiefere Höhle zeigte: Ja?[106] oder Nein? Auf die entschlossene Antwort: Ja, gab er ihm die Laterne mit den Worten: Nimm hin, suche Menschen! Glaubst du, sie zu finden? »Ich glaube,« antwortete der Ritter. Dein Glaube helfe dir, sagte der Alte; gehe hin in Frieden und Gott behüte deinen Eingang und Ausgang von nun an bis in Ewigkeit! – Bei diesen Worten verschwand der Alte, indem neben an die Erde sich aufthat und das letzte Wort Ewigkeit dem Ritter schon wie ein Echo vorkam. Der Ritter stieg wieder getrost eine Menge Stufen hinab, bis er an eine eiserne Thür kam, die sich von selbst aufthat. Hier schwankte die Erde, auf der er stand; ihm war, als hörte er Meereswogen und Stürme heulen. Blitz und Donner brachten seine Sinne in Unordnung, und eine hohle, dumpfe Stimme erscholl: Ziehe aus deine Schuhe, denn diese Stätte ist heilig! Die Bewegung der Erde machte, daß er unwillkürlich sank; und als ihm etwas wie ins Ohr raunte, ohne daß er das mindeste sah: Was suchst du? und er geantwortet hatte: Menschen, so vernahm er in höchst unharmonischen Stimmen fragweise: Unter Geistern? Eben da, erwiederte der Ritter, weil Eldorado oben oder unten ist. »Was willst du von Geistern lernen?« (wieder eine unharmonische Stimme). Leben und sterben. (Ein höhnisches Gelächter ließ sich hören.) »Was nennst du leben?« Eine von den Flecken der Unwissenheit und des Lasters gereinigte Seele dem Geiste der Geister darbringen, näher wissen, was Gott ist und was ich bin, um durch diese Kenntniß zur vollkommenen Tugend zu gelangen, bei einem unsträflichen Wandel bloß mit meinem Leibe auf Erden und mit meiner Seele im Himmel seyn, mich in Gemeinschaft Gottes fühlen und mit Geistern wie mit Freunden umgehen. Das Toben der Elemente legte sich abwechselnd. Jetzt war es ganz still und der Ritter konnte durch die Diogenische Laterne, welche er in der Hand hielt, in tiefer Ferne eine angenehme Dämmerung erblicken, ohne die Wesen näher zu erreichen, die zuweilen[107] stimmenreich und zuweilen durch ein einziges Organ mit ihm sprachen.

Bist du vorbereitet? hieß es. Er erwiederte: Ich bin es. »Was nennst du vorbereitet?« Frei im Gewissen seyn und seinen Körper durch Fasten heiligen, um ihn zum Mitgenusse geistiger Seligkeit fähig zu machen. »Bist du frei in deinem Gewissen?« Ich bin es. »Den Schuldigen treffe Tod und Verderben! Wer hier eintritt, gehört nicht zu den Siebzigern, sondern zu den Zwölfen; und wer viel gibt, hat das Recht, viel zu fordern. Bist du bereit zu Aufopferungen?« Ich bin es. »Behältst du dir nichts vor?« Nichts als Sophien, meine Mutter und Rosenthal.

Bei diesen Worten waren alle Elemente wieder in Bewegung, und eine erschreckliche Stimme rief: Rette dich! Der Ritter fiel, da die Erde sich unter seinen Füßen bewegte, und lag fast ohne Besinnung, als der ehrwürdige Alte sich wieder zu ihm fand und ihm eine andere Laterne behändigte, nachdem er das Licht der Diogenischen Laterne, die auf der Erde lag, ausgelöscht und die Laterne zerschlagen hatte. So, sagte er, zerschlug Moses die Gesetztafeln, da er sein Volk auf Knien vor güldenen Kälbern fand. Nur allmählig kam der Ritter zu mehrerem Bewußtseyn und merkte, daß er durch einen andern Weg geführt wurde, wo keine sanfte Dämmerung sein Auge, wenn nicht stärkte, so doch zerstreute. – Rings um ihn war Nacht, und die neue Laterne, die man ihm behändigt hatte, strömte bei weitem nicht jenes herrliche Licht, wie die Diogenische. Nach einer stundenlangen Wanderung, während welcher der Alte kein Wort sprach, kamen sie an eine eiserne Thür. Hier klopfte der Alte dreimal drei an und es hieß: Wer ist da? Ein Menschensucher, antwortete der Alte, der noch zu sehr an der Welt hängt, um zum vollen Lichte zu gelangen. »Wird ihn das Fegfeuer läutern und zu höheren Geschäften heiligen? wird er hier vollenden?« ließ sich die Stimme vernehmen. Ich hoffe es, sagte der Alte; und[108] nun hieß es inwendig: Verlaß ihn, wenn du ihn zuvor geblendet hast. Der Alte verband ihm die Augen und gab ihm den Unterricht, sich stille zu halten und auf das, was man ihn fragen würde, klug wie eine Schlange und ohne Falsch, wie eine Taube, in alle Wege so redlich, wie es in seiner Seele vorginge, zu antworten. »Warum sind dir deine Augen verbunden?« erscholl eine Stimme. Ich weiß es nicht, sagte der Ritter. »Zum Beweise, erwiederte sie, daß du in dem Verhältnisse, in welches du dich selbst gesetzt hast, weniger erfahren wirst, und zum Zeichen, daß es bloß von deiner Veredlung und Abgeschiedenheit abhängt, weiter zu kommen. Entbinde deine Augen, und hast du dich geprüft, ob du stark genug bist, den schwächeren Grad der Erleuchtung zu ertragen, so klopfe dreimal und es wird dir aufgethan werden.« Der Ritter, freilich sehr unzufrieden, aus der paradiesischen Herrlichkeit gestoßen und zum zweiten Grade herabgesetzt zu seyn, glaubte in seiner Seele keinen Selbstvorwurf zu verdienen, weil er Sophien und seine Mutter nicht verläugnet hatte. Und wenn ich gleich, dacht' er, so wie mein Vater, Rosenthal im Sterben verlassen muß: wär' es weise, ein irdisches Jerusalem eher aufzugeben, als bis ich mich im Besitz des himmlischen befinde? Auch beruhigte ihn der Gedanke, daß, wenn er den geheimen Bund, von dem er, außer dem alten Manne, noch keinen zu kennen und zu sehen die Ehre gehabt, größerer Aufopferung würdig fände, er immer noch Zeit und Raum zur Buße behielte. Wer wird alles an einen Faden binden? Der Ritter sah sich, da die nach drei Schlägen von selbst aufgegangene Thür sich von selbst wieder zugemacht hatte, ganz allein in einem schwarz ausgeschlagenem Zimmer. Vergebens forschte er nach der Stimme, die sich mit ihm vor den drei Schlägen unterhalten hatte. Wo ist sie hin? rief er, da er auch nicht die mindeste Spur von heimlicher Thür entdecken konnte. Er fand einen Tisch, wo eine Bibel lag und ein Crucifix stand, an welches sich ein Todtenkopf[109] gelehnt hatte. – Die Offenbarung St. Johannis des Theologen war aufgeschlagen. – Ueber diesem Tisch standen die Worte: Sey getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. An der Thüre, die sich von selbst aufgemacht und zugeworfen hatte, und die der Ritter fest verriegelt fand, las er die Worte: Siehe, ich will einen neuen Himmel chaffen und eine nene Erde, daß man der vorigen nicht mehr gedenken wird, noch zu Herzen nehmen. Nach einiger Zeit erschien der Alte und wollte wissen, was er gedacht und wozu er sich entschlossen hätte. Der Ritter erwiederte: seine Gedanken und Entschlüsse wären der Lage angemessen gewesen, in die man ihn versetzt hätte. Da der Alte mehr in ihn drang und der Ritter sich näher zu entwickeln anstand, legte ihm der Greis schriftlich alles dar, was er gedacht hatte: versteht sich mit andern Worten. Der Ritter läugnete nicht. Ich hoffe, fügte er hinzu, bei billig Denkenden und billig Gesinnten Vergebung zu finden. Brach ich durch meine Gedanken und meine Entschlüsse die eingegangene Verpflichtung? Je mehr Vernunft, desto weniger Despotismus. Wahrlich! Vernunft ist das Hauptcapital, womit der Mensch Handel und Wandel treibt, womit er wagt – wenn gleich es auch hier heißt: wagen gewinnt, wagen verliert. Hat nicht die Vernunft, wenn sie durch uns selbst und andere verfälscht und verleitet wird, immer noch einen großen Ueberschuß der Wonne und des Selbstlohns? Wahr, mein Sohn, sagte der Alte; doch geht es mit ihr ein Haar besser, als mit der Dichtkunst, welcher Plato das Bürgerrecht abschlug? Wenn sie nicht bei der Darstellung der Schönheiten der Natur bleibt, sondern Leidenschaften malt oder pinselt: was macht die Dichtkunst aus Menschen? Unmenschen. Doch können, setzte er hinzu, Leidenschaften Engel der Vernunft werden, – so wie sie noch öfter ihre Teufel sind.

Es sey, daß die Vernunftslobrede oder die außerordentliche[110] Fassung des Ritters dem Alten anstößig war, plötzlich fing er an, wiewohl ohne aus seinem vertraulichen Tone zu kommen: Die vielen Vorbereitungen, denen man dich in andern Ordensverbindungen unterwarf, die indeß gegen die unsrige Spielerei sind, rüsten dich mit einer Art von Leichtsinn, der mir mißfällt. Auf seine Rechnung gehört der größte Theil von dem, was du dir selbst als vernünftige Fassung unterschiebst. Auch finde ich dich so lauter nicht, als du wähnst und es zu seyn dich überredest. Leichtsinn und Fassung sind verschieden, wie Engel und Teufel; und wenn Fassung auf Anspornung des Willens zu edlen Thaten wirkt, was wirkt Leichtsinn? Nichts mehr, nichts weniger, als Spinnen, Fliegen und Mücken, wenn sie in Speisen fallen und auch die ersten Leckereien ungenießbar machen. Der Trunkene ist laut; der Berauschte ist fröhlich und guter Dinge; der Besoffene sucht Händel; der Illuminirte guckt in einen optischen Kasten, und sieht in der Zukunft lauter Wunscherfüllung und Planerreichung. – Leichtsinn ist Trunkenheit. – Bin ich dir vielleicht dunkel? Wohlan! du wirst mich völlig verstehen, wenn ich durch That mit dir rede: die Sprache der Gottheit, auf welche Menschen Anspruch machen, je nachdem sie mehr oder weniger seinem Bilde ähnlich werden. – – Ich bin verbunden, den Geist zu entlassen, der dich bis diesen Augenblick begleitet hat. Der Alte machte einen Kreis in der Luft, in den er den Ritter einschloß, und nun schlug er drei Kreuze auch ins Freie, fiel auf sein Antlitz, küßte dreimal die Erde und sprach: Geist der Geister, der du lebest und regierest von Ewigkeit zu Ewigkeit, dir Lob und Ehre von Zeit zu Zeit, Hallelujah! Ich beschwöre dich, edler Ariel, lieber Getreuer! zum ersten-, ich beschwöre dich zum zweiten- und ich beschwöre dich zum drittenmal, daß du nach drei Minuten dich trennst von dem Menschenkinde, dem du zugeordnet warst Tag und Nacht!

Eine Stille.[111]

Der Ritter fühlte eine Trennung, die ihn äußerst wehmüthig machte –! – So ungefähr wird es dir seyn, sagte der Alte mit sanfter Stimme zum Ritter, indem er ihn bei der Hand nahm, wenn Leib und Seele scheiden. – – Er hauchte ihn an; nnd nun war es dem Ritter wirklich, als wenn eine Hauptkraft von ihm ginge.

Nimm meinen Dank, fuhr der Alte fort, guter Geist, und verzeih ihm alle trübe Stunden, die er dir machte zu Tag und Nacht, und jeden Leichtsinn. Der Ritter, in einer wirklichen Ekstase, reichte dem Geiste die Hand und sagte mit Thränen: Verzeihe!

Bleib sein Freund, setzte der Alte hinzu, und wenn sein Fuß gleitet, wenn seine Seele nahe ist dem Falle, laß sie nicht sinken und verderben! – Wenn dem Schisslein seiner Schicksale der Untergang droht, bedrohe Wind und Meer, daß es stille werde!

Der Ritter streckte wieder seine Hand aus. – Ich bitte, seufzte er.

Und wenn sein Stündlein kommt, und seine letzten drei, neun und zehn Minuten ablaufen, wenn sein Geist sich vom Körper trennt, wie du jetzt von ihm, – geleite ihn durch das finstere Todesthal und bringe ihn zur Stadt Gottes, zum Wasser des Lebens und zum Tische des Herrn, der dich und mich und uns alle lohnen und erfreuen kann von nun an bis in Ewigkeit!

Der Ritter sagte Amen und gab dem Scheidenden zum letztenmale seine Hand.

Nun fiel schnell ein Blitz, der, weil er dem ohnehin äußerst gerührten Ritter so unerwartet und neu war, wie die Entgeisterung ihn heftig erschreckte. – Du bist enthauptet, sagte der Alte, das heißt in unserer Sprache: der Geist hat dich verlassen, der dich geleitete!

Eine Stille.[112]

Der Alte fiel abermals auf sein Antlitz, küßte dreimal die Erde und sprach: Geist der Geister, der du lebest und regierest von Ewigkeit zu Ewigkeit, dir sey Lob und Ehre von Zeit zu Zeit, Halleluja! Bist du gefaßt? fragte ihn jetzt der Alte. Missethäter entfesselt man zu freien Bekenntnissen; Fassung ist Entfesselung der Seele. Bist du gefaßt? – Ich bin es, erwiederte der Ritter. So komm und vertheidige dich gegen deine Ankläger. Hier stieß der Alte mit dem Stabe, und in einem Augenblick befand der Ritter sich, ohne sich aus diesem schwarzen Zimmer zu begeben, in einer Gerichtsstube, wo sechs weiß gekleidete Männer an einem rothen Tische saßen, zu denen sich der Alte als sein Führer gesellte. Es traten wider ihn der Fremdling und der Frager auf, die ihn mit fast noch mehr Ränken ängstigten, als der Seelenhirte den Michael vor dem bestochenen oder verblendeten Richter. Nichts ist einem edlen Menschen unerträglicher, als sich durch halbwahre und gemißdeutete Umstände in die Enge getrieben zu sehen, obgleich bei einer gerechten Sache dem Scheine des Rechts und elenden Sophistereien unterzuliegen, nicht minder ein nagender Schmerz ist. Der entgeisterte Ritter verlor nicht das mindeste von der Fassung eines gerechten Mannes. Man beschuldigte ihn vorzüglich eines verrätherischen Leichtsinns in Rücksicht der ihm vorläufig anvertrauten Ordensumstände, und führte so künstliche und weithergeholte Beweise, daß man im Handwerk, Thatsachen pro und contra zu drehen, Meisterstücke machte. Vor mir Licht, hinter mir finster, war hier, wie in vielen Gerichtsstuben, die Losung; und man verstand, trotz dem geübtesten Richter, die hochlöbliche Taschenspielerei, schwarz und weiß zu künsteln, wie man wollte. Eifert nicht, Subordinationsfeinde, wider Stock und Degen, und wenn man sich ihrer als Beförderer von Treu und Glauben bedient; es gibt Seelentorturen, geistliche Stöcke und Degen. – Sollte es wohl eine Sache in der Welt geben, aus der[113] man nicht juristisch machen könnte, was man wollte? Und jene Wortvorhänge: außer Zweifel setzen, anstatt beweisen; zum Ueberfluß, anstatt: zur höchsten Noch; wer siehet es nicht ein? anstatt: die Sache ist äußerst ungewiß; und so weiter, statt: wehr weiß ich kein lebendiges Wort – welche herrliche Dienste leisten diese Nothhelfer!

Unser Ritter ermannte sich, und sprach: Herren und Richter, wäret ihr etwas anders als Menschen, so müßte ich mich bescheiden, so mit euch zu reden, wie ich reden will. – Ich bin ein Mensch. Ehe ich mich über den Grenzstein dieser Menschenbestimmung durch die väterliche Güte der mir unbekannten Obern dieses Ordensbundes erhoben fühle, vermag ich nicht anders, als menschlich zu denken, zu reden und zu handeln. Findet ihr, daß das Recht auf der Seite meiner Kläger ist, daß ich nicht Anlage habe Geist von eurem Geist, Seele von eurer Seele zu seyn, und daß ich auch zu dem Grade, zu welchem ich erniedrigt bin, nicht genug innern Beruf und Würde besitze, so laßt uns scheiden. Ich gelobe euch, von dem, was ich sah und hörte, nichts zu entdecken, vom Anfange aller Verhandlungen bis auf den gerührten Abschied, den ich vom edlen Ariel, dem lieben Getreuen, nahm, der, wie ich hoffe und wünsche, im Leben und im Sterben, wenn meine Noth am größten ist, mich nicht verlassen wird. – Bis jetzt glaubte ich (warum soll ich es läugnen?), Gottes Geistesvertraute stimmten sich durch Einfalt des Verstandes und des Herzens zu den großen Kenntnissen empor, nach denen meine Seele sich sehnte. Wo ich List und Ränke finde, da suche ich nichts; und wenn diese zwei Denuncianten mich so künstlich bei euch anklagen, so vertheidigt mich mein Herz natürlich: ich bin unschuldig.

Einer der Richter gebot ihm zu schweigen, und hieß ihn und beide Kläger abtreten. Man klingelte dreimal, und der Ritter erhielt den Befehl, seinen vorigen Platz wieder einzunehmen.[114]

Der Muth, mit dem du dich gegen deine beiden Ankläger vertheidigt hast, entscheidet nichts, sagte der Erste des Gerichts; wohl aber der Geist Ariel, der dir in der Stufe nicht gebührt, auf die du dich selbst herabgesetzt hast, ob wir es gleich nicht ungern sehen, daß er dir im Leben und im Sterben, wenn deine Noth am größten wird, beispringe. Sein Zeugniß erklärt dich, wo nicht würdig, so doch nicht unwürdig (ein großer Unterschied!) zur Stufe, zu der man dich vorbereitet. Wir haben zu deiner sittlichen Erziehung und deiner Einsicht das Zutrauen, du werdest dich von selbst bescheiden, nicht weiter, nach deinen von diesem ehrwürdigen Greise entlarvten Gesinnungen, den Orden auf die Probe setzen zu wollen, der dich zu probiren das Recht hat. Du wolltest uns den Krieg in unser eigenes Land spielen, und daran thatest du sehr unrecht.

Wenn ihr nicht bloß strenge, sondern väterliche Richter seyn wollt, antwortete der Ritter, werdet ihr scheel sehen, daß ich so verfahren, wie es unter Menschen Gebrauch ist? Wer uns examinirt, den examiniren auch wir; wer uns erforscht, wird wieder von uns erforscht; und wer fragt, wird gemeinhin, auch ohne daß der Antworter es listig darauf anlegt, zu Antworten gebracht. Auch seyd ihr Männer bei Jahren, und habt, wie ich vermuthe, Schutz- und Hülfsgeister um euch, welche eurer Schwachheit bei aller eurer Seelenstärke, die sich die Jugend nie zueignen kann, aushelfen, und euch da vertreten, wo euer eigenes Vermögen euch aufgibt. Mir ist sogar Ariel genommen, der mich, wie ich glaube, nur bloß beobachtete, ohne mir nach- und fortzuhelfen, ob ich ihm gleich seine Liebe und Güte nie genug verdanken kann. – –

Man eröffnete das Zeugniß des Geistes nicht näher, welches er dem Ritter gegeben; indeß fragte der Erste des Gerichts: Geist Ariel, du bestätigst dein Zeugniß? Ein sanfter Hauch säuselte: Ja!

Dank dir, fing der Ritter an, Dank dir, guter Geist, und[115] immerwährendes Andenken! Nicht also, sprach der Erste der Richter; warum Schmeichelei, die verflucht ist, wenn sie als ein wahrhaft unreines Thier der Gottheit selbst dargebracht wird? Ein Fluch, den der sich selbst anheimgestellte Mensch auf die Gottheit beim Schicksal ausstößt, das ihm, wie er sich überzeugt, unverdient mit der Thür ins Haus fällt, ein Fluch, sag' ich dir, ist der Gottheit angenehmer, wenn er aus ungeheucheltem Herzen ihn ausstößt, als ein Lexikon von ausgesuchten Worten. – Selbst ein Lexikon ausgesuchter Thaten sind ihr ein Greuel, wenn sie nicht rein sind! Sieh, mein Sohn, man kann rein vor Menschen in seiner Tugend seyn; allein man ist es noch nicht vor Gott. – Selbst wer das Gute Gottes wegen thut, ist ihm ein Greuel. – Wer nicht Gutes des Guten wegen thut, ist kein verklärter und vervollkommneter Mensch. – Hat die Furcht nicht Opfer erzeugt, um Gott zu versöhnen? Welch ein Greuel der Verwüstung an heiliger Stätte, die dem Betruge Thür und Thor öffnete, indem die Priester gewiß mit den besten Stücken sich mästeten! Und was kann der Mensch Gott geben, der alles hat? Welch ein Hocuspocus! Wenn aber Opfer eine Erhebung zu Gott versinnbilden, wenn ihr hoher Sinn in der Aufopferung seiner selbst liegt, wenn der Mensch hierdurch zum Entschlusse gebracht wird, sich selbst zu bekämpfen, und sich das Liebste zu entziehen: was meinst du, Sohn! würdest du Bedenken tragen, noch jetzt zu opfern? Wenn unsere Volksreligion, fern von knechtischer Furcht und Verehrung, bloß einen kindlichen Sinn, Zuneigung und Liebe erforderte, ich opferte heute. Gottlob! nur noch eine einzige Furcht ist geblieben: – jene kindliche, dem himmlischen Vater zu mißfallen. Verstehst du, was du hörest? – Ich verstehe, erwiederte der Ritter, der den Contrast dieser höchsten Moral mit den Ränken seiner Ankläger so wenig ins Reine bringen konnte, daß ihm, er wußte selbst nicht wie, war.[116]

Man hieß ihn abtreten. Es ward dreimal geklingelt, und nun erklärte man ihn in der zweiten Ordnung würdig. Seine Ankläger wurden zu einer dreitägigen Ordensstrafe verurtheilt; und als diese nach der ihnen eröffneten Sentenz aufs neue denuncirten, der Ritter habe Gewehr bei sich, so erwiederte der Erste der Richter: Wir wissen! und nun eine ernstliche Frage an den Ritter: Warum?

Meine Ankläger, erwiederte der Ritter, beweisen die Nothwendigkeit dieses Hülfsmittels, dessen ich mich nie, als nur dann bedienen werde, wenn man der Menschenwürde und dem Menschenrecht in mir zu nahe treten will. – Die Ankläger wurden zur Vollziehung der wider sie erkannten Strafe abgeführt; dem Ritter, welcher zurückbleiben mußte, ward es zur Pflicht gemacht, alles Gewehr abzulegen. Ich habe gesehen, erwiederte er, daß hier Richter sitzen, welche Gaukeleien der Sophisten verachten, und der menschlichen Unschuld (eine höhere kenne ich nicht) Gerechtigkeit erweisen. – Es sey! – Die hohen Begriffe von Tugend, welche der erleuchtete Präsident dieses Gerichts mir mitgetheilt hat, leisten mir Bürgschaft für alles. Beelzebub, der Präsident der Teufel, würde hier sicher seyn! – Jetzt legte er die drei Mordgewehre hin, die er bei sich trug, und plötzlich sah er sich wieder in das schwarze Zimmer gezaubert, in welchem er sich zuvor befunden hatte. Der Alte erschien, und verlangte zu wissen, was der Ritter erwartete. Dieser erklärte sich mit einer Freimüthigkeit, die selbst den größten Frevler hätte entwaffnen müssen; und der Alte schien wirklich ein gutes Geschöpf zu sehn, das seinen Mann kannte, und nichts wider ihn hatte. Du hast viel verloren, fing er an, weil du mit Rückhalten zu uns kamst. Wie glücklich wärest du, wenn du dich von diesen entledigt hättest! – Vater, erwiederte der Ritter, miß mich nicht nach dir. Deine Jahre haben dich die Welt kennen gelehrt, die man nicht anders als durch Erfahrungssammlungen[117] kennen lernt. Kann ein Volk zu dem möglichen Ziele der Vollkommenheit gelangen, ohne zuvor die ganze Schule zu machen? Fängt der Reformator sein Werk mit dem letzten Schritt an, wenn es gleich nicht seine Losung ist, mit Weile zu eilen? Es scheint, jeder Mensch sey dazu bestimmt, erst die Dinge wesentlich kennen zu lernen, ehe er über ihren Werth und Unwerth zu entscheiden vermag. Auch müssen die Leidenschaften ausgähren, ehe der Mensch zu jener Stille und Abgeschiedenheit gelangt, die hoher Tugend eigen zu seyn scheint. Auch glaub' ich nicht, daß Männer eurer Art durch das Unglück anderer ihr Glück machen wollen. Wer dieß zu können denkt, kennt wahrlich weder Glück noch Unglück.

Wir haben uns, versetzte der Alte, an dir geirrt; indeß ziehet dich an uns deine Gutmüthigkeit und der ganze Inbegriff deines Wesens, das du hier (hier hob er seine Stimme) in einem treueren Spiegel erblicken kannst, als alle die waren, die dir deine Gestalt zeigten. – (Hier bemerkt die Handschrift, der Ritter habe sich selbst gesehen, und zwar auf eine so verzerrte und widerliche Weise, daß er betheuern zu können versichert, nicht zu wissen, ob es bloß ein Spiegel, oder ob deine Rauchfigur vor ihm geschimmert; auch ist es ihm vorgekommen, als wäre er zwei Drittel entseelt, und nur ein Flämmchen Geist in ihm.) Das ist eine Seelensilhouette, sagte ihm der Alte, wahrlich nicht so rein und klar, als es jene Gegend war, die man dir in den Vorhöfen des Paradieses in der Entfernung zeigte. Du wirst sehen, viel sehen, alles sehen, allein nicht ohne den Schleier der Hieroglyphen. Du wirst wenig sehen, und viel glauben müssen. Auch versichern dich die Ordensrichter durch mich, daß man wohlbedächtig nicht heute schon deinen Namen auf ewig der Krone des Lebens für unwürdig erklärt hat. Diese Gesinnungen vrrbinden dich, das fühlst du selbst, zum Dank (den wir erlassen) und zur unerläßlichen Erklärung, dich mit dem[118] zu begnügen, was man dir im Verhältniß deiner Aufopferungen zu offenbaren im Stande seyn wird. – Er kehrte den Todtenkopf um, stieß mit seinem Stabe, und es sprang Wasser aus demselben. Der Greis fing eine Handvoll auf, trank, und besprengte mit dem übrigen den Ritter dreimal, den er sich zur Ablegung seiner Gelübde anschicken hieß. Entblöße deinen Arm, sprach er; lege dich mit dem Knöchel deines rechten Ellbogens auf die Offenbarung Johannis, und sprich, wenn du willst und kannst, folgende Worte mir nach:

Ich gelobe bei der Hoffnung der andern Welt, bei dem Troste im Tode, und bei der Barmherzigkeit am letzten Gerichtstage, mich mit dem zu begnügen, was der Orden der Welt Unbekannten, und nur Gott Bekannten, mir nach den Verhältnissen meiner Aufopferungen anvertrauen wird, den Befehlen meiner Obern treu und gehorsam zu seyn, und, bis auf meine Vorbehalte, nicht mir, sondern dem Orden zu leben, ihm zu leiden und ihm zu sterben; auch bei den fernern Offenbarungen desselben, die von mir abzufordernden Gelübde eben so unbedenklich zu leisten, als treu zu beobachten. Wenn ich dieß halte, sey dieß Wasser mir Wasser des Lebens, Gift der Vernichtung, wenn ich es breche! Amen.

Der Ritter sprach diese Worte nach; doch setzte er hinzu: Alles, insoweit es den Pflichten und Rechten des Menschen und der Menschheit nicht entgegen ist; er fing Wasser auf, wie vorhin der Greis, und trank. Der Alte schien über das Postscript verdrießlich; indeß hielt er entweder diese Worte für weniger bedeutend, oder glaubte, das neue Mitglied seines Ordens würde allmählig diese Bedingung aufgeben. Es gibt drei thierische Bedürfnisse, Speise, Trank und Schlaf, welche unser Orden zu heiligen versteht, sagte der Alte und bedeckte das Haupt des Ritters mit einem weißen Tuche. Nach wenigen Schritten riß er ihm die weiße Decke vom Gesicht, und beide befanden sich in einem zwar kleinen,[119] aber geschmackvollen Zimmer, wo bloß Gemüse und zwei Becher standen, in deren einem Wein und in dem andern Wasser war. Der Alte segnete Speise und Trank, und sie aßen aus Einer Schüssel und tranken gemeinschaftlich aus Einem Becher, ohne ein Wort zu sprechen, während dessen sich eine sanfte, das Herz bewegende Vokal-und Instrumentalmusik hören ließ, die zuweilen mit Chorälen aus Kirchengesängen abwechselte. Es gibt eine Sanftheit und Stille, die ausdrucksvoller ist, als geäußerte Empfindungen, welche, so rein sie auch seyn mögen, doch immer angreifen, und sonach nicht natürlich (im höchsten Grade nämlich) seyn können. Die Musik liegt in der Mitte zwischen dem Uebergange von Thierheit und Geist, von geistiger Tugend und Sinnlichkeit; und hier ist es, wie bei allen unteren Seelenkräften, der Fall, wo die Mitte eine Seligkeit (medium tenuere beati) bringt, die dem Menschen äußerst angenehm zu seyn scheint. Der Mensch dünkt sich hier zu Hause; er findet sich so getroffen und in einer so erfreuenden Gemächlichkeit, daß er darüber gern seine hohen Fähigkeiten wo nicht aufgibt, so doch aussetzt. Hier ist gut seyn, fühlt und denkt er. Die Unterhaltung des Alten, dir, wenn die Musik aufhörte, anfing, war eben so Musik, wie die Musik selbst; und ein solches Mahl hatte unser Ritter noch nie gehabt oder gesehen. Auf den Gesichtern ächter Brüder findest du, sagte der Alte, Gesundheit des Leibes und der Seele, Reinheit des Herzens und Seelenruhe (an hohen Festen Seelenwonne) Keinen geheimen Kummer, den nur Gott und der Kummervolle kennt, keinen verbissenen Schmerz von nicht überwundener Welt und allem dem, was in der Welt ist, der an den Herzen derer oft am meisten nagt, die der Welt entgangen sind, findest du hier. – Klöster sind jetzt selten, was sie vielleicht ursprünglich waren: Freiörter gegen Verführungen der Welt. In unserm Bunde findest du nicht Klöster, nicht Weltabsonderung, sondern das Ideal derselben: eine Weltüberwindung, die sich nur empfinden[120] läßt. »Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr und wie wohl denen ist, die auf ihn trauen!« war das Thema dieser Tischreden, die nichts ähnliches mit denen des guten Martin hatten, ob ich gleich unendlich lieber mit Luthern, als mit diesem Alten gegessen und getrunken hätte. Nach der vom Greise gesprochenen Danksagung warf er ein schwarzes Tuch über das Haupt des Ritters und führte ihn in ein grün behängtes Zimmer, wo ein äußerst einfaches Ruhebette stand. Es ist mir angenehm, sagte der Alte, daß ich dich mit einigen unserer Gesetze und Gebräuche bekannt zu machen im Stande bin. Alle Dinge, die bloß körperlich sind, und an denen der Geist keinen eigentlichen Antheil nimmt, werden von uns mit Gebet angefangen und geendigt. In der profanen Welt (außer uns, mein Sohn, ist alles profan, und selbst das, was die Welt das Allerheiligste unter dem Heiligen nennt) wird auch vor und nach Tisch, Abends und Morgens gebetet; doch lernte man diese Gewohnheit von uns, und ohne den Grund dieser Feierlichkeit zu wissen, der, wenn ich so sagen soll, den Leib von der Seele trennt. Die Herrnhuter suchen auch die Sophienleidenschaft (du wirst mich verstehen), da sie sich ihrer nicht so wie wir zu entschlagen wissen, durch Gebet zu beschränken, und erhalten einen Sieg über sie, der sie mit gesunderem und längerem Leben belohnt, als andere, obgleich ihre Tage an die unsrigen nicht reichen. Ich zähle neunzig Jahre, und fühle bei weitem jene Entkräftung nicht, die man in der profanen Welt, wenn's köstlich ist, im fünfzigsten wahrnimmt, wo es Fälle gibt, daß Jünglinge im fünfundzwanzigsten Jahre an Entkräftung sterben und die menschliche Natur wegen dieses zu kurz beschränkten Lebensziels einer Ungerechtigkeit, wiewohl höchst ungerecht, anklagen. Man will zwar, daß die Seelen an den Freuden des Tisches einen wesentlichen Antheil nehmen; allein man irret, und es ist Materialismus, wenn man behauptet, daß Geist und Körper zu gleicher Zeit genießen können. Tischfreuden[121] und Tischfreunde gehören zu Einer Klasse, und man versieht den Pythagoras nicht, wenn man sich an seiner heiligen Diätetik den Kopf stößt. Auf die Bohnenenthaltung konnte es ein Mann, der in der Geometrie Meister war, wahrlich nicht anlegen. Es ist nicht ohne Grund, daß er selbst Bohnen gegessen. Der hohe Sinn seiner Diätetik und aller seiner ächten Schüler und Nachfolger ist: Die Seele dem Körper zu entziehen, und ja nicht sich einzubilden, daß man durch Wein und Kaffee begeistert und zum ächten Arbeiten vorbereitet werde. Wein und Kaffee, und alle jene geistberauschenden Getränke schwächen den Geist mehr, als daß sie ihn stärken. Glaube, Sohn! unsere Vorbereitungen, so besonders du sie finden wirst, führen so sehr zum Zweck, wie alles, was bloß den Körper angeht, jenem Zweck entgegen ist. Die Bildersprache unserer Dichter, und selbst unserer Propheten, wodurch sie dem Fassungsvermögen der sinnlichen Menschen auf dem halben Wege zu Hülfe kommen wollen, hat viel Schuld an allem, und besonders an diesem Aberglauben. Ambrosia und Nektar, die schönen Diners und Soupers mit Abraham, Isaak und Jakob, und das große Abendmahl haben, ob sie gleich nichts mehr als wahre Schaubrode sind, mehr Schaden gethan, als man glauben sollte; und alles Uebel, das in der Welt geschah, begann bei der Tafel, oder kräftigte und gründete sich hier, oder ward hier vollbracht. – Die Köche in unserm Orden sind unsere Aerzte; und so lange diese beiden Geschäfte, Küche und Laboratorium, nicht eins und dasselbe werden, was ist von dem menschlichen Wohlbefinden zu erwarten? Pythagoras war kein Weinverfolger; aber er verfolgte die Unmäßigkeit. Honig und Früchte und Pflanzenreich waren hinreichend, ihn zu befriedigen; doch gab es auch unter seinen Schülern Klassen, die an mehr oder weniger strenge Diät gebunden waren. Genug für jetzt! – Siehe selbst diese Unterhaltung als eine Ueberwindung[122] des Bedürfnisses an; sie hielt dich vom Schlaf ab, dessen du bedarfst. Hier sprach der Alte einen Segen und entfernte sich.

Obgleich dem Ritter so viel in Kreuz und Quer durch den Kopf ging, so wirkte doch Gebet und Segen dieses Neunzigjährigen so viel, daß er den Augenblick, da der Alte das Schlafgemach verließ, so fest einschlief, daß er bemerkt, nie in seinem ganzen Leben so vortrefflich und so in einem Stück geschlafen zu haben. Beim Erwachen wußte der Ritter nicht, wie lange er geschlafen, wohl aber, daß er froh, heiter war und völlig ausgeschlafen hatte. Menschen, sagte ihm der Alte, die nach der Uhr schlafen, fünf oder sieben Stunden, wissen nicht, was sie thun. Iß, so lange dich hungert, trink, so lange du durstig bist, und sey kein Fünf- oder Siebenschläfer, sondern schlaf so lange, bis du ausgeschlafen hast; – das heißt bei mäßigen Menschen: so lange, bis du aufwachst. – Das besonderste war, daß in dem Augenblicke, da ihn der Schlaf verließ, und nicht früher und nicht später, der Greis wieder bei ihm stand, und diese Körpersache oder Leibesübung mit Gebet beschloß. Der Ausdruck: Morgensegen, war hier confiscirt. Noch, fing er an, ist uns eine Aehrenlese bei dieser Vorbereitung übrig, die ich nicht eher anfangen werde, als bis du dich gesammelt, und alles bei und in dir selbst wiederholt haben wirst, was du hier erfahren hast.

Nach geraumer Zeit (der Ritter wußte nichts von Tagen und Stunden) erschien der Greis wieder und fing an wie folgt: Man sagt im gemeinen Leben, daß an jedem Gerüchte, es sey so gut oder so arg als es wolle, etwas wahr sey, und man sagt die Wahrheit. Auch du wirst in manchem, was du in unserm Orden lernst, etwas bekanntes finden, doch so entstellt, wie das göttliche Ebenbild in uns. Im Wunderdoctor, im Schlangenfresser, im Gespenstercitirer, in Faust's Höllenzwang; in der Clavicula Salomonis, in der Theosophia pneumatica oder der sogenannten[123] Heiligengeistkunst, in der Skiamantie (Schattenwahrfagung, wo man die Schatten der Verstorbenen beschwört, zu erscheinen und künftige Dinge zu prophezeien), bei Hexereien, Irrwischen, wilden oder fliegenden Heeren oder Jägern, in der Nekromantie (Leichenbeschauung), Pyromantie (Wahrsagung aus dem Feuer, woraus die Kunst, das Feuer zu besprechen, abzuleiten, Aeromantie (Wetterkunde), Hydromantie, aus dem Wasser, Geomantie, aus der Erde, Chiromantie, aus der Hand wahrsagen zu können, sind mehr oder weniger Spuren von Wahrheit. Hast du nie von Priesterinnen des Alterthums gehört, die in heilige Haine gingen und auf das Gesäusel des prophetischen Baums Acht gaben, welche die Blättersprache, das Lachen und Wimmern der sich bewegenden Aeste verstanden, und hier jede Veränderung des Tons bemerkten, um des Orakels bedürftige Menschen zu lehren, zu warnen und aufzumuntern? Ueberall Licht, nur nicht das volle! Ueberall Wahrheit, nur mit Hieroglyphen bekleidet! – Wer die Sprache der Natur versteht, spricht mit Gott, und diese Sprachlehre – doch die Hand von der Tafel! Den alten Mythologien liegt ein Schatz guter Kenntnisse zum Grunde; und wenn Profane und Schulmänner sich begnügen, den Tapis derselben auswendig zu lernen, so verfehlen sie den tiefen Geist der Deutung fast unglücklicher als eine blinde Henne, die doch zuweilen ein Korn findet. In wieviel Dingen wird die heilige Zahl Drei entehrt, obgleich Dreifuß, Dreieck bis auf Dreieinigkeit Dinge sind, die mehr Aufschlüsse geben, als ich dir zu entdecken vermag. Die beliebte Figur Dreieck ist von allen Figuren bis zu Ecken ins Unendliche die erste Figur, die etwas einschließt. Ohne drei gerade Linien wenigstens wird kein Raum eingeschlossen. – Die meisten Erzählungen von Wechselbälgen, die du mit Recht unter die Aprilmährchen gezählt hast, enthalten Stoff der Wahrheit, und die Welt wäre nicht mehr, wenn nicht auf unbekannte Weise Kinder in der Geburt vertauscht würden, um die[124] Absichten der Vorsehung, die so wie wir im Stillen wirkt, auszurichten. Die Kunst, in sieben Tagen alle Krankheiten zu heilen, das Leben zu verlängern, die Wesen, welche in den Elementen sich befinden, zu personificiren, wahre Gotteserkenntniß, Mitwaltung und Regierung bis an ein Ziel, das sich Gott vorbehalten hat, die Kunst sich zu verjüngen und wieder zu gebären: alles sind Dinge, über welche du in der profanen Welt, so wie über Dr. Faust's Mantel und den Landtag auf dem Brocken in der Walpurgisnacht reden und lachen gehört haben wirst, und doch liegt in diesem nonsensikalischen Geschwätz, in diesem Galimathias Wahrheitsanlage, wozu den meisten Menschen die Erklärungen fehlen. Goldmachen, Universalmedicin, Zubereitung des Tranks der Unsterblichkeit: – o mein Sohn! mein Sohn! – Doch ich präambulire, ohne daß du das Textlied hören kannst. – Laß mich abbrechen, um dich eigenen Betrachtungen zu überlassen. – Wenn dieß Aehren sind, dachte der Ritter, was soll man von der Ernte denken? Der Magus dachte noch an Michaeln und versprach, daß wenn gleich die Anzahl ihrer Ordensmitglieder sehr eingeschränkt wäre, derselbe doch zu Licht und Leben gelangen sollte. Siehe da, mein Sohn, beschloß der Alte, das Ganze deiner Vorbereitung ist ein Bild der Ewigkeit. Du weißt nichts von Tag und Nacht, von Stunden und Minuten, und nur, wenn du aus meinen Händen kommst, wird sich wieder jener alltägliche Gang bei dir einstellen, den zwar die Sonne und der Mond einzuführen scheinen, der aber Geister und Menschen, die sich Geistern nähern, nicht bindet. Hungert dich, so dürstet dich auch. Wir trinken nie, wenn wir nicht auch essen, und wir essen nie, wenn wir nicht zugleich trinken. Beides thun wir auf einmal. Der Bauch ist nicht unser Gott; unsere Mahlzeiten währen nie länger als nöthig ist. – Es erfolgte wieder eine Mahlzeit, ebenso wie die beschriebene, und ein Schlafmahl, wie der Greis es nannte. (Alles hieß Mahl, was den Körper [125] vorzüglich anging.) Laßt uns mit Danksagung genießen, war die Antwort eines methodistischen Ehemanns am Brautmorgen auf die Frage: wie er sich in seinem neuen Stande befände? – Der Ritter schlief ebenso erquickend wie zum erstenmale, und der Greis hielt wieder die Minute seines Aufwachens. Nachdem er das Schlafmahl beschlossen hatte, sagte er ihm: Vergiß nicht, was du sahest und hörtest, und wenn dir unerklärliche Schwierigkeiten aufstoßen, so bedenke, daß du ein Mensch zwar berufen, aber nur zum zweiten Grade erwählt bist. Junge Leute von Fä higkeiten haben den Fehler, über Dinge abzusprechen, die oft das Nachdenken eines ganzen Lebens verdienen; allein sie sind es, die den ehrwürdigen Namen: Genie und Geist verdächtig machen und Schade um ihn! In allem ist Geist. Den Geist einer Sache kennen, heißt ihre Bestimmung umfassen. Nicht immer ist die Behauptung wahr, doch zuweilen. Je ungeheurer der Block, desto besser der Merkur; je wildfremder das Bild, desto ergötzender dem Kenner; je kühner die Idee, desto umfassender für den Nachdenker. Die welche lehren: der Schlüssel zu den alten Mysterien sey, die Menschen zu vergöttlichen und nicht das Volk, sondern den edlern Theil desselben mit dieser Idee bekannt zu machen, – waren nicht auf unrechtem Wege. Die Veredlung der Menschen, wenn nicht aller, so doch der Heroen, der zu Halbgöttern Erkornen – ist ein hohes Ziel! – Der Ritter war


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 105-126.
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